Kohleboom macht deutsche Energiewende zur Farce

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Nach dem Unglück von Fukushima war Deutschland angetreten, mit einer hastig verkündeten Energiewende zum Vorbild für die Welt zu werden. Neben dem Ausstieg aus der Kernenergie wollte man auch weiterhin ambitionierte Klimaschutzziele verfolgen. Nun schaut uns die Welt zu und muss sehen, dass die Kohleindustrie die Energiewende immer mehr zur Farce werden lässt. 2012 wurde gut fünf Prozent mehr Kohlestrom produziert als noch im Jahr zuvor. Die Folgen sind katastrophal: Die energiebedingten Kohlendioxidemissionen kletterten 2012 um 2,2 Prozent. Wenn wir die Klimafolgen in einem in einem noch vertretbaren Rahmen halten wollen, sollten die Emissionen aber eigentlich um mindestens drei Prozent pro Jahr fallen.

Schon der strenge Winter dürfte 2013 eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen deutlich erschweren. Der weitere Ausbau der Kohlestromerzeugung macht Klimaschutz praktisch unmöglich. Im ersten Quartal 2013 wurde erneut deutlich mehr Kohlestrom produziert als im gleichen Vorjahreszeitraum. Und im Laufe des Jahres 2013 drängt noch mehr Kohlestrom ins deutsche Netz. Laut letztem Monitoringbericht der Bundesnetzagentur gehen in diesem Jahr über 6300 Megawatt an neuen Kohlekraftwerken ans Netz. Lediglich 364 Megawatt an alten Meilern sollen dafür stillgelegt werden. Damit werden die deutschen Kohlendioxidemissionen dieses Jahr wieder nach oben schnellen und alle Einsparungen der letzten acht Jahre wieder zunichtemachen. Jede Zunahme, die unter drei Prozent liegt, wäre schon ein Wunder.

Da auch Solar- und Windkraftanlagen im letzten Jahr kräftig zugebaut wurden, braucht Deutschland trotz Stilllegung mehrerer Kernkraftwerke den zusätzlichen Kohlestrom eigentlich nicht. Als Folge müssen immer mehr Gaskraftwerke ihren Dienst einstellen, da sie im Betrieb teurer als die Kohlekonkurrenz sind. Das treibt die Kohlendioxidemissionen weiter nach oben, da moderne Gaskraftwerke weniger als die Hälfte an Treibhausgasen ausstoßen wie mäßig effiziente Kohlekraftwerke. Außerdem werden neue Gaskraftwerke für die Energiewende dringend benötigt. Nur sie sind flexibel genug, um die in der Übergangszeit zu einer vollständig erneuerbaren Energieversorgung die schnellen Schwankungen der für den Klimaschutz dringend benötigten Photovoltaik- und Windkraftanlagen auszugleichen. Die Bundesregierung hat ihre eigenen Schlüsse aus dem Dilemma bereits gezogen: Sie fordert eine Reduzierung des Zubaus an Solar- und Windenergieanlagen. 

Die Auswirkungen des deutschen Kohlebooms machen nicht einmal an der Grenze halt. Der Export von Strom aus Deutschland in die Nachbarländer nimmt kontinuierlich zu. So verdrängen deutsche Kohlekraftwerke inzwischen sogar Gas- und Wasserkraftwerke im Ausland und erschweren auch dort zunehmend den Klimaschutz. Zahlreiche neue Übertragungsleitungen werden derzeit geplant und gebaut, um angeblich die Energiewende voranzutreiben. Der Ausbau der Übertragungsleitungen in Deutschland wird den Kohleboom noch weiter unterstützen. Zwar können die Leitungen langfristig helfen, Solar-und Windstrom in Deutschland zu verteilen. Momentan werden sie aber eher gebraucht, damit die Kohlekraftwerke bei viel Sonne und Wind noch ihren Strom loswerden können und nicht mehr gedrosselt werden müssen. Eine sinnvolle Netzplanung für einen hohen Anteil dezentraler regenerativer Kraftwerke gibt es nicht. Werden erneuerbare Energien dort installiert, wo der Strom auch gebraucht wird, sinkt der Leitungsbedarf erheblich. Unter dem Deckmantel der Energiewende werden mit den neuen Übertragungsleitungen nun aber die Voraussetzungen für eine Verlängerung des Kohlezeitalters in Deutschland geschaffen.

Dabei sind die steigenden Kohlendioxidemissionen nicht einmal die größten Probleme des Kohlebooms. Andere Schadstoffemissionen von Kohlekraftwerken wie Feinstaub, Stickoxide oder Quecksilber nehmen ebenfalls zu. Eine aktuelle Studie von Greenpeace zeigt, dass Abgase von deutschen Kohlekraftwerken bereits für über 3000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verantwortlich sein könnten. Betrachtet man die enormen Schadstoffeinträge in die Luft, ist das durchaus plausibel. Der überwiegende Anteil der Quecksilberemissionen in Deutschland stammt von den Kohlekraftwerken. Allein das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde  bei Cottbus pustet pro Jahr so viel Quecksilber in die Luft, wie in 237 Millionen Energiesparlampen enthalten ist. Und wir schieben zu Hause schon Panik, wenn eine einzelne Lampe zerbricht.

Die einzige Chance, dem deutschen Kohleirrsinn ein Ende zu setzen, wäre eine faire Kostenbeteiligung der Kohlekraftwerke an den Umwelt- und Klimaschäden. Das Umweltbundesamt beziffert alleine die Kosten für Klimafolgeschäden auf 70 Euro je Tonne Kohlendioxid. Bei den deutschen Kohlekraftwerken kommen damit über 20 Milliarden Euro pro Jahr an nicht gedeckten Klimafolgeschäden zusammen. Andere Umwelt- und Gesundheitsschäden kommen noch hinzu. Eigentlich sollten Kohlendioxidzertifikate die Kosten für klimaschädliche Kraftwerke nach oben treiben. Die deutsche Kohleindustrie hat es aber mit Unterstützung der deutschen Politik geschafft, den Zertifikatehandel so zu verwässern, dass die Preise auf unter fünf Euro pro Tonne Kohlendioxid eingebrochen sind.

Müssten Kohlekraftwerke die realen Umwelt- und Klimafolgekosten tragen, würde sich der Kohlestrom so verteuern, dass Kohlekraftwerke kaum mehr wirtschaftlich zu betreiben wären. Stattdessen wälzen wir enorme Belastungen und Kosten auf künftige Generationen um, die kaum mehr in der Lage sein werden, die Schäden zu beheben. Eine verantwortungsvolle Energie- und Klimaschutzpolitik wäre eigentlich kein Hexenwerk. Solange der europäische Zertifikatehandel nicht funktioniert, könnte eine nationale Kohlendioxidabgabe die nötigen Impulse für eine nachhaltige Entwicklung geben. Die Politik scheint sich aber mehr für die Interessen der deutschen Kohleindustrie als für nachfolgende Generationen zu interessieren und nimmt damit auch in Kauf, dass die deutsche Vorzeigeenergiewende immer mehr zur Lachnummer verkommt. Es wird Zeit, dass wir im nahenden Wahlkampf den nötigen Druck auf die Kandidaten aller Parteien aufbauen, diese fatale Entwicklung zu beenden.

– Volker Quaschning ist seit 2004 Professor für das Fachgebiet Regenerative Energiesysteme von der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin. Er befasst sich seit mehr als 30 Jahren intensiv mit dem Thema erneuerbare Energien. Aktuelle Beiträge veröffentlicht er regelmäßig auf seiner Webseitewww.volker-quaschning.de. –

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