Fell: Ausbau der Photovoltaik soll radikal ausgebremst werden

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Interview mit dem Energieexperten der Grünen, Hans-Josef Fell. Er ist Autor des EEG-Entwurfs, der im Jahr 2000 gegen viele politische Widerstände im Bundestag verabschiedet wurde.
Wie schätzen Sie die Vorschläge, die Röttgen und Rösler zur Solarförderung vorgelegt haben ein?
Die Vorschläge der beiden Minister zielen darauf ab, den Ausbau der Photovoltaik radikal auszubremsen. Das schadet der deutschen Solarwirtschaft und steht vollkommen im Gegensatz zum Klimaschutz und der Energiewende. Bekanntlich hatte die Bundesregierung ihre Ausbauziele für erneuerbare Energien nach dem Atomausstiegsbeschluss nicht angehoben. Damit hatte die Bundesregierung bereits gezeigt, dass sie nicht will, dass die Photovoltaik Atomstrom ersetzt. Minister Rösler setzt stattdessen auf die Subventionierung neuer Kohlekraftwerke. Und jetzt gelten nicht einmal mehr die Vor-Fukushima-Ziele für die Photovoltaik. Die Regierung fällt damit noch hinter ihre alte Energiepolitik zurück.
Was sind Ihre größten Kritikpunkte?
Der Gesetzesvorschlag zielt auf einen Ausstieg aus dem EEG. Erstmals soll nur noch ein Teil des erzeugten Solarstroms vergütet werden. Die Minister wollen sogar per Verordnungsermächtigung freie Hand haben, die Vergütungssätze weiter abzusenken und den Anteil des vergüteten Stroms zu reduzieren, ohne dass der Bundestag und Bundesrat damit auch nur befasst wären. Das soll sogar für alle anderen erneuerbaren Energien gelten. Es ist ein stufenweiser Solarausstieg vorgesehen:  ab 2014 soll jährlich noch weniger zugebaut werden. Besonders absurd ist daran, dass die Bundesregierung umso weniger zubauen will, je billiger die Photovoltaik wird.
Aber das ist nicht das einzig Kritische an dem Vorschlag der Minister.
Dann gibt es noch diesen willkürlichen Eingriff in den Vertrauensschutz der Investoren.
Jeder, der auf die Verlässlichkeit der Politik vertraut hat und eine Solaranlage bestellt hat, sieht sich jetzt mit dem 9. März als Frist konfrontiert, die er einhalten muss, wenn er noch die alte Vergütung haben möchte. Die Bürgerrechte und Investoren werden hier mit Füßen getreten. Planungssicherheit gibt es unter Schwarz-Gelb nicht mehr.  Zudem wirkt gleichzeitig eine Vergütungsbeschränkung auf 85 bzw. 90 Prozent. Ob die deutsche Solarwirtschaft Bestand hat, scheint die beiden Minister nicht zu interessieren. Daneben sind noch eine Vielzahl weiterer Punkte zu benennen. Aber das wäre ein Interview für sich.
Was bedeuten die Pläne für die Unternehmen der Solarbranche in Deutschland?
Große Teile der Wertschöpfungskette werden sich jetzt wohl aus Deutschland verabschieden. Zum Teil ist dies unter dieser Regierung ja bereits geschehen. Es handelt sich ja nicht um die erste Novelle, sondern um die vierte in dieser Legislaturperiode. Für die Installateure wird jetzt eine schwierige Zeit beginnen, bis ihre Kunden und sie selbst wieder genug Vertrauen gefasst haben. In den nächsten Monaten wird der Markt vermutlich lahm liegen, bis sich alle Akteure auf die neue Situation eingespielt haben. Ich hoffe, dass bis dahin nicht zu viel kaputt geht. In China geht die Regierung völlig anders mit dem Druck auf die Photovoltaik-Branche um. Sie verbessert laufend die Investitionsbedingungen im chinesischen Binnenmarkt. Die deutsche Regierung erwürgt hingegen die eigene Branche. Industriepolitische Strategien verfolgt sie sogar ausdrücklich keine, wie sie schon bei einigen meiner Anfragen bestätigt hatte.
Glauben Sie, dass sich im Laufe des parlamentarischen Prozesses noch viel an der sogenannten Formulierungshilfe ändern wird?
Darauf werden wir hinarbeiten. Ich hoffe, dass auch in den Regierungsfraktionen die Rufe nach Vertrauensschutz Gehör finden und man dort nicht jeden Unsinn übernimmt, nur weil ihn irgendjemand mit dem Begriff „Markt“ bezeichnet. Das sogenannte „Marktintegrationsmodell“ wird ebensowenig zur Marktintegration der Solarenergie führen, wie dies die Marktprämie getan hat. Hier gilt es, Aufklärungsarbeit zu leisten. Das Problem ist aber mal wieder der hohe Zeitdruck. Auch die vierte Photovoltaik-Novelle in dieser Legislaturperiode wird wieder durch den Bundestag gepeitscht werden, ohne dass die Abgeordneten sich mit allen Details wirklich gründlich beschäftigen können. Bei dieser Regierung hat nur eines Konstanz und das ist der Murks.
Die Bundesregierung will die Neuregelung bereits ab 9. März in Kraft treten lassen. Wie sieht der parlamentarische Prozess aus, was lässt sich aus Sicht der Regierung bis dahin bewerkstelligen? Wie wirken sich eventuell rückwirkende Regelung auf Vertrauens- und Investorenschutz aus?
Wir haben dazu viele besorgte Anfragen in den vergangenen Tagen erhalten. Daher haben wir ein Papier erarbeitet, dass die Antworten auf die häufigsten Fragen gibt. Es ist online abrufbar unterwww.hans-josef-fell.de.
Was für Änderungen an der aktuellen Solarförderung sind aus Sicht der Grünen sinnvoll. Würden Sie diese geplanten drastischen Einschnitte im Falle eines Sieges bei den Bundestagswahlen und einer nachfolgenden Regierungsbeteiligung wieder rückgängig machen?
Änderungen, die die gefallenen Solarpreise widerspiegeln sind sinnvoll. Alles was darüber hinausgeht, ist schädlich. Es wäre Unsinn, dann die alten Vergütungshöhen wieder einzuführen. Die Solartechnologie und der  Markt werden 2014 anders aussehen als heute. Vorher werden wir im Falle eines Wahlsiegs bei der Bundestagswahl Ende 2013 nichts korrigieren können. Wir werden dann die Rahmenbedingungen wieder auf einen ambitionierten Ausbaupfad bei der Photovoltaik ausrichten, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen und die Energiewende erfolgreich umsetzen zu können. Einschränkungen der Vergütungen sowie die bereits festgelegte Begrenzung der Stromerzeugung auf 70 Prozent im Falle der Kleinanlagen sind schädliche Maßnahmen die nur zu höheren Stromerzeugungskosten führen. Das ist kontraproduktiv und wird von uns wieder abgeschafft. Gestrichen würde von uns auf jeden Fall auch die geplante Verordnungsermächtigung, sollte sie tatsächlich Einzug ins Gesetz finden. Wir brauchen auch noch Anreize, damit Photovoltaik-Anlagen auch für die Netzintegration beitragen. Batterien für Ausgleichs- und Regelenergie, Wechselrichter die auch nachts Blindstrom liefern etc. Es gibt viel zu tun. Bis dahin werden wir sicher noch einige Gelegenheit zu Interviews haben.
Sie hatten in der Bundestagsdebatte Mitte März zur Energiewende dem Bundesumweltminister vorgeworfen, zwar mit der Solarlobby zu verhandeln, selbst aber keine Konzepte vorzulegen. Wo liegt für Sie das Problem dabei?
Die Politik vertritt die Interessen des Allgemeinwohls. Sie sollte nicht mit Verbänden über Gesetze verhandeln. Gespräche sind das eine, Verhandeln ist etwas anderes. Verbände vertreten Partikularinteressen, die nicht immer gleichlautend sind mit dem Interesse des Gemeinwohls. Zudem hat der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) in den letzten Jahren bedauerlicherweise keine Vorschläge zur Regelung der EEG-Vergütung auf den Tisch gelegt, die die Herausforderungen des gesamten Ausbaus der erneuerbaren Energien angepackt hätten. Dies wird parteiübergreifend so gesehen.
Wo liegen aus Ihrer Sicht die strukturellen Schwächen und Stärken bei der politischen Vertretung der Photovoltaik?
Die Vereinigung der Solarverbände war zunächst hilfreich, da die Vielzahl der Verbandsstimmen abgenommen hat. Zugleich ist der Verband aber immer handlungsunfähiger geworden, weil sich seine Mitglieder auf keine Strategie einigen können und oft mit eigenen unabgestimmten Vorschlägen auf die Politik zugehen. Die Solarwirtschaft wird als vielstimmiger, dissonanter Chor wahrgenommen und schwächt sich somit selbst. Ein Problem ist auch, dass die Solarbranche ihrer eigentlichen energiepolitischen Bedeutung nicht gerecht wird.
Welche wäre das?
Es kann nicht nur darum gehen, Module zu produzieren oder Solarstrom zu erzeugen. Das muss alles energiewirtschaftlich zusammenpassen. Die Energiewirtschaft muss rund um die fluktuierenden Energien Wind- und Solarenergie passend gemacht werden. Das wurde von der Solarwirtschaft bisher meist nicht als Aufgabe betrachtet oder dem Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) überlassen.
Kann der BEE dies leisten?
Der BEE wiederum ist personell total unterbesetzt. Er hat nicht einmal zehn Mitarbeiter und damit weniger Angestellte als die eine oder andere Lobbyvertretung einzelner Solarfirmen in Berlin. Auf jeden BEE-Mitarbeiter kommen mehr als drei Mitarbeiter im BSW-Solar und mehr als 30 Mitarbeiter im BDEW, der vor allem das Sprachrohr der konventionellen Energiewirtschaft ist. Zugleich darf der BEE sämtliche Angriffe gegen das EEG abwehren, die aktuell wieder laufen. Die Branche der erneuerbaren Energien insgesamt ist aktuell so aufgestellt wie eine Fußballmannschaft mit 7 Torhütern, 3 Verteidigern und einem Mittelfeldspieler. Wer soll da die Tore schießen?
Das macht die Atom- und Kohlewirtschaft völlig anders. Dort wird nicht um einzelne Firmeninteressen gekämpft, sondern gemeinsam für den Erhalt der konventionellen Energiewirtschaft, also gegen die erneuerbaren Energien. 
Mangelt es aber nicht auch an guten Vorschlägen vonseiten der Solarwirtschaft?
Wir haben doch seit Jahren das Problem, dass aus der Solarwirtschaft viel zu viele Vorschläge kommen, die fast sämtlich nur Partikularinteressen dienen. Die Unternehmen, die sich auf Kleinanlagen spezialisiert haben, wollen, dass die Freiflächenanlagen geopfert werden, und die Unternehmen des Freiflächensegments wollen bei den kleinen Dachanlagen ran. Ja, es gibt sogar Kämpfe einzelner Techniksparten untereinander. Wir Politiker werden rauf und runter lobbyiert, ohne dass wirklich strategische Vorschläge geliefert werden. Zudem versucht man nur, möglichst viel vom Status quo über die jeweils laufende EEG-Novelle zu retten. Wenn das gelungen ist, erweist es sich als Pyrrhussieg, weil dadurch die nächste EEG-Novelle wieder initiiert wird. Der BSW-Solar hat viele Pyrrhussiege errungen, die insgesamt der Sache geschadet haben, weil sie den Gegnern der Photovoltaik in Union und FDP immer wieder neue Munition gaben. Im Bereich Industriepolitik muss der Verband seine Hausaufgaben noch machen. Wo bleiben da die Konzepte, wie die Politik die Branche gegen die internationale Konkurrenz, vor allem aus China, stärken kann?
Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Glaubwürdigkeit der Solarwirtschaft bestellt?
Die Akzeptanz der Bürger für den Ausbau der Solarstromerzeugung ist ungebrochen. Doch sie steht auf dem Spiel, da die Glaubwürdigkeit der Solarbranche in den letzten Jahren gelitten hat. Bei jeder EEG-Novelle bekommen die Abgeordneten Dutzende Schreiben mit unterschiedlichen Vorschlägen von den unterschiedlichsten Unternehmen auf den Tisch. Vor allem wird für den Erhalt der momentan gültigen Vergütungshöhe geworben, weil ansonsten der Solarmarkt zusammenbrechen würde. Das ist nie eingetreten, und dennoch gibt es diese Schreiben. Manche halten bis heute an dem Mantra fest, dass nicht stärker als fünf Prozent im Jahr gekürzt werden dürfe, egal wie stark die Modul- und Systempreise sinken. Und dann ist die Installation am Ende doch jedes Jahr wieder gestiegen. Ist es ein Wunder, dass solche Schreiben in der Politik nicht mehr ernst genommen werden? Wer glaubt der Lobby noch, wenn es mal wirklich brennt, wie bei den Vorschlägen der Deckelung der Photovoltaik, wie sie von Rösler und dem Wirtschaftsflügel der Union permanent vorgelegt werden?
Was hätte die Branche tun sollen?
Wieso hat die Branche nie gesagt, wir sind erfolgreicher mit der Kostensenkung als vor wenigen Jahren gedacht, wir können auch mal stärker mit der Vergütung runter? Hätte sie dies vor Jahren getan, sie hätte heute einen ganz anderen Stellenwert in der Politik und müsste sich nicht täglich um das EEG sorgen oder einen Deckel abwehren. Wieso stellen sich die Unternehmen heute nicht hin und sagen, dass sie die Mitnahmeeffekte aus der Marktprämie nicht wollen. Dass es ihnen peinlich ist, solche überhöhten Mitnahmeeffekte zu haben, ohne dass ein energiewirtschaftlicher Vorteil daraus entstünde? Wieso schlägt der Verband angesichts der erfreulichen Kostensenkungen nicht wenigstens vor, den Eigenverbrauchsbonus an Qualitätskriterien zu orientieren, wie den Einbau einer intelligent gesteuerten Batterie?
Wir haben viel über die Lobbypolitik des BSW-Solar gesprochen. Wie bewerten Sie die Arbeit des BDEW?
Der BDEW hat bis heute die Photovoltaik nicht unterstützt. Erst wollte er die Photovoltaik nicht ernst nehmen, dann hat er sie wegen der Kosten abgelehnt und jetzt will er sie lieber wegdeckeln, als sich konstruktiv mit dem Thema auseinander zu setzen. Der BDEW betreibt hier nichts anderes als Anti-Solarpolitik. Wir haben bereits 25 Gigawatt Photovoltaik-Leistung in Deutschland, was dem Mehrfachen der verbliebenen Atomkraftwerke entspricht und der BDEW tut nichts, aber auch gar nichts, um mit der Solarwirtschaft gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie alt und neu aufeinander abgestimmt werden könnten. Stattdessen verordnet sich die Geschäftsführerin eine Denkpause von zwei Jahren, indem sie eine zweijährige Deckelung des Solarausbaus einfordert.
Das Interview führte Sandra Enkhardt.

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