Schräges Kraftwerk

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„Das Produzieren von Energie wird eine selbstverständliche Aufgabe von Gebäuden werden“, sagt Günther Schleiff. Photovoltaikbauteile und niedrige Energieverbräuche gehören für den Kasseler Architekten der Planungsgruppe HHS zum Tagesgeschäft. Am Firmensitz des Wechselrichterhersteller SMA in Niestetal hat er ein schräges Seminargebäude entworfen – im wahrsten Sinne des Wortes: Der langgestreckte Baukörper steht auf leicht nach innen gekippten Stelzen. Fassaden und Dachflächen des scheinbar schwebenden Volumens neigen und verkanten sich gegeneinander. Aber das eigentlich Besondere ist: Die Solarakademie versorgt sich selbst mit Strom. Beleuchtung, Frischluftzufuhr, Beamer und 120 Laptops für die Schulungsteilnehmer funktionieren unabhängig vom öffentlichen Netz.

Gebäude und Marketingobjekt

„Bei dem Academy-Gebäude war ganz schnell klar, dass es etwas Besonderes sein soll“, sagt Schleiff. Nämlich ein Seminarzentrum mit hohem Komfort, gleichzeitig aber auch ein Marketingobjekt, das die Produkte von SMA in der Praxis zeigt. Da kam es dem Architekten sogar gelegen, dass das Objekt im Überschwemmungsgebiet der Fulda stehen sollte. Betonstelzen heben die Akademie über die triste Realität parkender Autos und betonen das Inselprinzip der Stromversorgung. Wenn alle paar Jahre der Parkplatz unter Wasser steht, werden im ebenerdigen Eingangsbereich die Schotten dicht gemacht. Dynamik erhält das Gebäude außerdem von der scheinbar willkürlichen Ausrichtung zum Hauptgebäude und zu den Parkflächen. Denn wie eine Kompassnadel zeigt es exakt nach Süden – allerdings mit der Breitseite, um möglichst viel Sonnenlicht für die Stromproduktion einzufangen. Eingefasst von einer weiß schimmernden Aluminiumhaut zieht sich die blauschwarze Photovoltaikfläche auf der Südseite von der Fassade über das Dach.

90,4 Kilowatt Photovoltaikleistung haben die Architekten direkt in die Hülle des Gebäudes integriert. Die fast fünf Meter hohe Isolierglasfassade neigt sich um zehn Grad der Sonne entgegen. Drei Viertel der Glasfläche sind mit polykristallinen Zellen belegt. Wenn die Besucher in den Pausen zwischen den Lehrveranstaltungen den Flur hinter der Südfassade entlanglaufen, können sie durch vier lange Klarglasschlitze nach draußen schauen. An der Oberkante des Gebäudes knickt die Fassade in die Dachebene ab und bildet über Kopf einen schmalen Glasstreifen aus, der ebenfalls photovoltaisch aktiv ist.

Auf der opaken Dachfläche führen die Architekten die dunkelblaue Solarfläche als hinterlüftete Kaltfassade weiter. Dafür musste Fassadenhersteller Schüco viele der 154 Module mit unterschiedlicher Form und Zellenbelegung produzieren. Denn die nach zwei Seiten leicht geneigte, polygonale Dachfläche sollte komplett belegt werden. Lediglich die Bereiche, die vom aufragenden Technikraum verschattet werden, haben die Planer in Klarglas ausführen lassen. „Von der Architektur her wäre es schöner gewesen, die Photovoltaikmodule durchlaufen zu lassen, um eine gleichmäßig blaue Fläche auszubilden, die sich von der Fassade über das Dach zieht“, sagt Matthias Schäpers, Projektleiter des Bauherrn. Aber SMA möchte seinen Kunden die Solartechnik wohl ehrlich präsentieren. Schließlich sind diese ja vom Fach. Wie die Südfas sade besteht auch das Glasdach des Technikraums mit knapp 150 Quadratmetern aus Isolierglasmodulen.

Faszinierender Schattenwurf

Der Lichteinfall durch die Solarfassade sei faszinierend, schwärmt Architekt Schleiff, denn ständig änderten sich die Schattenwürfe. Aber die komplett verglaste Südseite stellte Bauherrn und Planer auch vor ein Dilemma. Denn der Wärmeeintrag, der in den Übergangszeiten und im Winter Heizenergie einspart, kann im Sommer zur Last werden. Damit es nicht zu heiß wird im Flur hinter der Fassade und an den Solarzellen, testete das Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Zusammenarbeit mit Ingenieuren vom Planungsbüro Energydesign aus Braunschweig vier unterschiedliche Isolierglasaufbauten. Als am wenigsten wärmedurchlässig und am günstigsten für die Stromproduktion stellte sich ein dreiteiliger Aufbau dar: Die Solarzellen

sind zwischen Einscheibensicherheitsglas (ESG) auf der Außenseite und Sonnenschutzglas auf der Zellenrückseite eingebettet. Zum Innenraum schließt die zweite Glasschicht aus ESG mit Low-E-Beschichtung ab. Die Low-E-Beschichtung reflektiert große Teile der Wärmestrahlung des Sonnenlichts zurück nach draußen. Diesen Aufbau hat Schüco schließlich für alle Glasbauteile der Solarakademie umgesetzt.

Im Sommer kühlt Brunnenwasser aus 40 Meter Tiefe die Zuluft. Dafür muss lediglich die Pumpe elektrisch betrieben werden. Schulungsteilnehmern und Lehrenden sollen mit möglichst wenig Energie behagliche Raumtemperaturen und eine gute Luftqualität zur Verfügung stehen, die den Aufenthalt in der Solarakademie angenehm gestalten. Dafür saßen alle Fachplaner frühzeitig mit am Tisch. „Um so ein Projekt durchzuziehen, muss man kommunikativ sein und es ertragen können, dass ein starker Haustechniker unbedingt zum Team dazugehört“, weiß Architekt Schleiff aus Erfahrung.

Technik zum Anfassen

SMA zeigt den Handwerkern anhand der Praxis des Schulungszentrums, wie Wechselrichter die Energieströme leiten. Die Teilnehmer können die Leistung der roten Sunny Boys, die wie Kunstobjekte auf der langen, weißen Flurwand angeordnet sind, den unterschiedlichen Photovoltaikflächen zuordnen. Hinter einem Schaufenster im Treppenaufgang haben die Architekten das Kernstück der

Inselversorgung in Szene gesetzt: die Sunny-Island-Schaltzentrale. Zwölf Batterie-Wechselrichter regeln hier die Stromversorgung des Schulungszentrums und stellen ständig das Gleichgewicht zwischen Stromproduzenten und Stromverbrauchern her. Sie überwachen den Ladezustand der wuchtigen Batterien und die Leistung der Photovoltaik.

Produzieren die gebäudeintegrierten Module mehr Strom, als Haustechnik und Seminarteilnehmer gerade verbrauchen, dann lenken die Sunny-Island-Wechselrichter den Strom zur Zwischenlagerung an die Batterien, die fast einen eigenen Raum belegen. Brauchen die Laptops und Beamer gerade mehr Strom, als die Solarbauteile liefern, dann zapfen die Wechselrichter die Batterien an. Sollte das Niveau der Batterien zu niedrig sein, werden die neun Solarbäume mit einer Gesamtleistung von rund 60 Kilowatt, die auf dem Parkplatz vor dem Neubau stehen, zugeschaltet. An kurzen, trüben Tagen unterstützt ein biogasbetriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW) mit variabler Drehzahl die Solaranlagen bei der Stromproduktion. Die Wärme, die das BHKW dabei produziert, wird im Pufferspeicher gesammelt und zirkuliert als Heizwärme in den Betondecken und -wänden.

In der glasüberdachten Technikzentrale zeigen SMA-Mitarbeiter den Handwerkern an einem großen Bildschirm die Funktionsweise des autarken Stromnetzes. Die Seminarteilnehmer können Batterien, Wechselrichter und das BHKW in Aktion erleben. Wie viel Energie produziert gerade ein String der Südfassade im Vergleich zur Dachanlage? Wie ist der Ladezustand der Batterien? „Wir wollten das Gebäude als Kraftwerk anschaulich machen“, sagt Matthias Schäpers. „Das kommt bei den Kunden sehr gut an.“ Als zusätzliches Gimmick leuchten LEDs den Technikbereich grün oder rot aus, je nach Ladezustand der Batterien.

Die Photovoltaik spielt im Gesamtkonzept der Solarakademie eine zentrale Rolle, funktional wie gestalterisch. Architekt Günther Schleiff wundert sich, dass seine Kollegen so wenig auf das Thema anspringen. „Das wird die Zukunft sein, das ist jetzt schon klar“, meint der 56-Jährige. Denn EU-weit sollen Häuser ab 2018 die Energie selbst erzeugen, die sie verbrauchen.

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