Schlafender Riese

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Um den russischen Markt für Solarenergie vollends verstehen zu können, muss man die gesamte Energieversorgung und die Ressourcen des Landes betrachten. Bereits 1992 erkannte die russische Regierung die Bedeutung der Energiepolitik und schaffte hierfür eine eigene Behörde. In den darauffolgenden Jahren unterzeichneten die Präsidenten zunehmend mehr Vorhaben. Als Wladimir Putin an die Macht kam, wurden neue Pläne bis zum Jahr 2020 eingeführt. Die Hauptziele waren eine bessere Kraftstoff- und Energiequalität sowie eine größere Wettbewerbsfähigkeit Russlands als Energielieferant auf dem globalen Markt. Die Umweltbelastung sollte ebenfalls gesenkt werden. Russland hat die größten Erdgasreserven weltweit, die zweitgrößten Kohlereserven und die achtgrößten Ölreserven. Das Land setzt Gas als Hauptenergiequelle zu einem viel höheren Prozentsatz ein als der Rest der Welt. Der größte Teil des Gases ist in Besitz und Verwaltung des Gazprom-Monopols, das insgesamt 94 Prozent der russischen und 25 Prozent der weltweiten Versorgung gewährleistet.
Zudem ist Russland der größte Ölproduzent, der nicht der OPEC angehört. Das Land hat 2009 mehrmals an die zehn Millionen Barrel Öl am Tag produziert.
Diese Zahlen können in den kommenden Jahren noch wachsen, trotz des drohenden Ressourcenrückgangs. Mit dem Schmelzen der arktischen Eiskappe als Folge der globalen Erwärmung erweitert Russland seinen Aktionsraum in Richtung Ozean und nutzt die sich bietenden neuen Möglichkeiten, dort nach Öl zu suchen. Schätzungen zufolge könnte die Region über ein Gas- und Ölvorkommen von bis zu zehn Milliarden Tonnen verfügen.
Abgesehen von den natürlichen Ressourcen erzeugt Russland auch eine große Menge an Strom. Das Land ist nach den USA, China und Japan der viert größte Stromproduzent weltweit. Mehr als die Hälfte des Stroms wird in Wärmekraftwerken erzeugt, gefolgt von einem fast gleichwertigen Anteil von Wasserkraft und Kernenergie. Russland erzeugt und nutzt seine Energie jedoch wenig effizient.

Eine Reihe gravierender Probleme

Trotz des Ressourcenreichtums meinen Experten, dass Russland ohne sofortige Maßnahmen seine Position als Energie-Supermacht nicht lange wird halten können. Aufgrund der Weite des Landes fallen hohe Transportkosten an, die die Exportmöglichkeiten für Energie einschränken. In Verbindung mit der relativ hohen Bevölkerungszahl wird Russland gezwungenermaßen bald auch auf andere Ressourcen als die gegenwärtig verfügbaren auf dem Weltmarkt zurückgreifen müssen. Es wird mehrere Jahre dauern, bis sich in Russland ein alternativer Energiemarkt entwickelt. Wenn man in Russland wartet, bis der gegenwärtige Vorrat an Ressourcen erschöpft ist, wird es zu spät sein. „Als Anhänger Russlands und aller ehemaligen Staaten der Sowjetunion kann ich mich nicht einfach zurücklehnen und zusehen“, sagt Prof. Dr. Klaus Thiessen, Photovoltaikberater aus Berlin-Adlershof und Ehrenmitglied des renommierten Physikalisch-Technischen Ioffe-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg.
2008 sagte der damalige Präsident Putin in einem Interview: „Eine riesige Geldmenge – mehr als 40 Milliarden Dollar – müssen aus dem Staatshaushalt für die Entwicklung der Atomenergie und der Atomwirtschaft bis 2015 bereitgestellt werden.“ Finanziert werden sollte das Projekt aus den hohen Öleinnahmen. Noch vor zwei Jahren konzentrierte
man sich sehr stark auf die Atomenergie und investierte hier viel Geld. Russland hat kein Photovoltaikprogramm oder eine Einspeisevergütung. Ein Grund dafür ist, dass es eine starke Lobby gegen alternative Energien gibt. Die Mehrheit der Oligarchen ist direkt am Öl- oder Gasgeschäft beteiligt und hat kaum Interesse, Geld in erneuerbare Energien zu investieren.
Erschwerend kommt für Unternehmen hinzu, dass es an einem ordentlichen Rechtssystem fehlt – zumindest in der Praxis. Da Bestechung weiterhin an der Tagesordnung ist, können Erpressungen weder verhindert noch vermieden werden. Das Rechtssystem ist nach wie vor unglaubwürdig und widersprüchlich. Es wird zwar viel getan bei der Photovoltaikentwicklung sowie an der theoretischen Front, die Anwendung findet aber praktisch nicht statt. „Es ist unbedingt notwendig, die gegenwärtige Rechtslage zu ändern, um den Unternehmen die Netzanbindung zu ermöglichen und für die Investitionen einen Amortisierungsmechanismus zu bieten“, fordert Anton Usachev, PR-Vertreter von Hevel Solar in Russland.
Viele Branchenexperten führen jedoch ein weiteres großes Hindernis an: Geldmangel. Matthias Seidel, Sales Manager beim deutschen Unternehmen Roth & Rau, sagt: „Die russischen Banken vergeben Kredite zu sehr hohen Zinsen, in der Regel zwischen zwölf und 14 Prozent. Das ist für neue Unternehmen zu teuer. Ausländische Investoren wollen sich aus mir unklaren Gründen nicht wirklich in Russland niederlassen, und inländische Investoren haben kein Interesse an erneuerbaren Energien.“ Klaus Thiessen bestätigt dies und räumt ein, dass die Suche nach Investoren die größte Herausforderung darstellt.
Es gibt aber ein paar Oligarchen, die trotzdem in die Produktion von Solarmodulen investieren. Ihr Ziel ist es jedoch, die Module nach Europa zu verkaufen. Nach Thiessens Ansicht ist das ein großer Fehler. Europäer würden nicht bei den Russen einkaufen, glaubt er. Sie hätten keinen Grund dazu, da sie selbst Module herstellen. Es wäre lohnenswerter, wenn die Russen sich um die Entwicklung ihres eigenen Photovoltaikmarktes bemühten.
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Die wichtigsten Photovoltaikakteure in Russland

Es gibt wichtige und interessante Akteure, die am Aufbau des Photovoltaikmarkts in Russland beteiligt sind. Wie die folgende Übersicht zeigt, sind es relativ wenige. Nitol Solar: Ein internationales Unternehmen, 1998 in Russland gegründet. Schwerpunkt und Aktivitäten des Unternehmens umfassen die wissenschaftliche Entwicklung und Herstellung von Produkten, die bei der Erzeugung von Sonnenenergie Verwendung finden. Hevel LLC: Ein Joint Venture zwischen der Russian Corporation of Nanotechnologies (Rusnano) und der Renova Group of Companies. Hevel wurde 2009 gegründet, um mit einer neuen Generation von Anlagen des Unternehmens Oerlikon Dünnschichtmodule in Russland zu produzieren. PR-Mitarbeiter Anton Usachev teilte mit, dass die Mission des Unternehmens im Aufbau einer starken russischen Photovoltaikbranche bestehe, die schließlich integraler Bestandteil des globalen Photovoltaikmarkts werden soll. Pro Jahr sollen 130 Megawatt produziert werden. Zusammen mit dem Ioffe-Institut wird Hevel ein Forschungs- und Entwicklungszentrum gründen, um den Wirkungsgrad von Solarmodulen zu erhöhen und die Produktionskosten zu senken. Roth & Rau: Der Maschinenbauer kam vor drei Jahren auf den russischen Markt, nachdem ein Kunde Interesse bekundet hatte. Konti Group: 1992 gegründet von einem Team russischer Photovoltaikspezialisten, die viel Erfahrung mit Hightech und Weltraumprogrammen haben. Das Unternehmen stellt Photovoltaikprodukte aus Materialien inländischer und ausländischer Anbieter her. Solar2Ru: Eine Initiative der Stadt Moskau in Zusammenarbeit mit Eurosolar Russland. Sie bietet eine einzigartige Networking-Plattform für alle Menschen, die an Photovoltaik beteiligt sind. Eurosolar Russia: Die Europäische Vereinigung hat eine russische Abteilung, Russian Corporation of Nanotechnologies (Rusnano): Ein staatliches Non-Profit-Unternehmen, 2007 gegründet. Ziel ist die Vermarktung der russischen Entwicklungen in der Nanotechnologie. NPP Kvant: Ein führendes autonomes Energieunternehmen in Russland und im Ausland. Es bot eine Lösung in Energieversorgungsfragen für das russische Raumfahrtprogramm und ist auf die Umwandlung verschiedener Energieformen – einschließlich Solarenergie – in Strom spezialisiert.
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Trotz der Schwierigkeiten und Rückschläge, welche die Photovoltaikindustrie in Russland erleidet, gibt es eine Reihe interessanter Projekte und Entwicklungen, die Hoffnung machen und Fortschritt signalisieren. Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft wird Sponsor des „Quartz Project“, eines Joint Ventures von Nitol Solar und der Staatlichen Technischen Universität im sibirischen Irkutsk. Das Projekt befasst sich mit der Herstellung von hochreinem Quarz-Füllstoff für elektronische Elemente. Die russische Sberbank, der größte staatliche Kreditgeber, hat Nitol Solar zwei Kreditlinien in Höhe von insgesamt neun Milliarden Rubel gewährt. Mit dem Geld soll ein Gemeinschaftsprojekt mit Rusnano, der Bau der ersten großtechnischen Anlage für polykristallines Silizium, finanziert werden. Die Konti Group hat eine Vereinbarung mit der russischen Stadt Tula für den Bau eines Solarkraftwerks unterzeichnet.
Beim Photovoltaikforum SEMICON Russia 2010 gab es ein spürbar gestiegenes Interesse an Solarenergie. Offiziellen Statistiken zufolge gab es sowohl bei laufenden Projekten als auch bei zukünftigen Projekten im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs. Ein Vertreter von Nitol Solar warnte dennoch, dass die inländische Nutzung der Sonnenenergie noch einen starken Anschub brauche. An der Staatlichen Universität Omsk erforscht die Fakultät für experimentelle Physik die Produktion von energieeffizienten Photovoltaikzellen.
Im April 2009 hat das in Berlin ansässige Unternehmen Wista-Management einen Vertrag mit Repräsentanten der Stadt Zelenograd nahe Moskau unterschrieben, um eine zwölfmonatige nichtkommerzielle Partnerschaft zu bilden. Gemeinsam wollen beide Parteien Investoren finden.

Potenzial und Hoffnung

Da mag sich die Frage aufdrängen: Welches Potenzial hat Russland, und lohnt es sich tatsächlich, es zu nutzen? Die Antwort ist ein sehr klares Ja. Nach Angaben von Anton Usachev bei Hevel Solar ist die Sonneneinstrahlung in Russland stärker als in Deutschland, wo bereits im Gigawattbereich Solarstrom erzeugt wird. Das sollte, so Usachev, auf ausländische Investoren sehr einladend wirken, besonders weil der Markt vollkommen ungesättigt ist. „Zudem gibt es im Land abgelegene Gebiete, die regelmäßig Probleme mit der Stromversorgung haben.“ Diese Gebiete würden von der Solarenergie profitieren und Investoren zusätzliche Gewinnmöglichkeiten bieten.
Auch Seidels Prognose fällt sehr optimistisch aus: „Russland blickt beim Einsatz der Photovoltaik in der Raumfahrt sowie bei Halbleitern im Allgemeinen auf eine lange Geschichte zurück. Es gibt einige äußerst interessante Ideen, die nur der richtigen Umsetzung bedürfen.“ Klaus Thiessen drückt hauptsächlich Hoffnung aus, gelegentlich ist er jedoch wütend und frustriert. „Wir müssen Russland nach Kräften dazu drängen, erneuerbare Energien ins Programm aufzunehmen“, sagt er.
Es scheint, als habe der Kampf gerade erst begonnen. Laut einigen Umfragen sehen 22 Prozent der Russen Solarenergie als Ersatz für Öl. Im Allgemeinen glauben bis zu 57 Prozent der Befragten, dass alternative Energien die beste Zukunftsstrategie seien, anstatt neue Ölfelder zu erschließen, wie es die Regierung vorhat. Es ist nur bedauerlich, dass die russische Regierung dazu neigt, die öffentliche Meinung zu ignorieren.
Der Nordkaukasus, die Regionen um das Kaspische Meer und das Schwarze Meer, der Ferne Osten sowie die südlichen Teile Sibiriens sind die Regionen mit der höchsten Sonneneinstrahlung. Es gibt eine Menge Möglichkeiten für netzferne Solarenergie- oder Hybrid-Anwendungen in abgelegenen Gebieten. All diese Möglichkeiten und Potenziale sind weitgehend ungenutzt.
Politiker geben erste positive Zeichen und unternehmen erste Schritte in die richtige Richtung. Der russische Präsident Dmitri Medwedew scheint stark auf neue Technologien und deren Bedeutung für Russlands Zukunft fokussiert zu sein. In den vergangenen Monaten haben er und Putin, jetzt Ministerpräsident des Landes, ihr besonderes Interesse an „grüner Wirtschaft, Energieeinsparung und Energieeffizienz“ betont.
Aktuell liegt der Anteil von Energie aus alternativen Quellen bei weniger als einem Prozent. Im Rahmen einer kürzlich aufgestellten Strategie soll dieser Wert im Jahr 2020 bei 4,5 Prozent liegen. Die Zeit wird zeigen, ob etwas hinter den Worten steckt.

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