Die Eroberung Australiens

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Nach wenigen Jahren auf dem Markt hatte der damalige Telekommunikationsgigant GTE bereits mehr als 1.000 solarbetriebene Repeater verkauft – ein weltweites Millionengeschäft hatte sich entwickelt. „Der große Reiz waren die Solarmodule“, so GTE-Ingenieur Bill Hampton. Die Arbeit seines Mitarbeiters John Oades stieß in der Telekommunikationsbranche auf Faszination, und so wurden Oades und Hampton auf der ganzen Welt zu Konferenzen und Tagungen eingeladen, um ihre Arbeit zu diskutieren. Eine Reise führte Oades nach Australien, wo das Interesse der Fachleute berechtigt war: Australien hat ungefähr die Fläche der USA, 1970 lebten dort jedoch weniger als zwölf Millionen Menschen. Der hohe Lebensstandard machte moderne Telekommunikationsverbin dungen erforderlich. Das Netzwerk in Australien musste sich über weite Flächen erstrecken, die zwar dünn besiedelt, jedoch sehr sonnig waren. Um das umzusetzen, stellte die australische Regierung der halböffentlichen Telecom Australia großzügig Geld zur Verfügung. Die nationale Politik in den frühen 1970er Jahren verfolgte das Ziel, jeden Bürger – unabhängig davon, wie abgelegen er lebte – mit Telefon und Fernsehen zu versorgen, wie es in Ballungszentren üblich war.

Technisches Dilemma

Michael Mack, Energietechniker bei Telecom Australia, erklärte das Dilemma, in dem man steckte: „Problematisch bei der Anbindung abgelegener Grundstücke ans Telefonnetz ist eine zuverlässige Stromversorgung. Und es gab viele weit abgelegene Grundstücke, die noch keinen Anschluss hatten.“ So installierten Telecom-Ingenieure thermoelektrische Generatoren, Dieselmotoren und mit Windkraft betriebene Maschinen. In einigen Fällen schlossen sie die Ausrüstung sogar an die Stromversorgung des Kunden an. Keine dieser Methoden brachte jedoch den gewünschten Erfolg. „Sie waren nicht zuverlässig“, beschwerte sich Mack. „Man war immer auf jemanden angewiesen, der den Windgenerator wartete oder die Gasflaschen nachfüllte. Auch beim Anschluss an die Stromversorgung des Kunden war die Qualität der Stromversorgung ungewiss.“

Arnold Holderness, leitender Energietechniker bei Telecom Australia, suchte nach einer besseren Lösung und hielt die Augen bei seinen Reisen nach Amerika, Europa und Japan offen. In der Zentrale des japanischen Elektronikherstellers Sharp sah Holderness Informationsmaterial über die photovoltaischen Module, mit deren Produktion die Firma gerade begonnen hatte. Am Ende nahm er ein paar Sharp-Module mit nach Hause.

„Uns war bewusst, dass Bedarf an Stromversorgung an abgelegenen Orten bestand. Angesichts des Regierungsauftrags, jeden anzuschließen, mussten wir innovativ denken“, sagte Holderness. Der hohe Preis der Sharp-Module von etwa 100 Dollar pro Watt beschränkte die Einsatzmöglichkeiten jedoch deutlich. Aber bereits ein gutes Jahr später kamen Module von Solar Power auf den Markt, die nur ein Fünftel des japanischen Produkts kosteten, und so gab Telecom Australia grünes Licht für den Einsatz der Photovoltaik. 1976 waren rund 20 kleine Solarsysteme installiert. Jedes System bestand aus einem Telefon, einem Sender und einem Empfänger und wurde mit Solar-Power-Modulen mit geringer Leistung betrieben. Die Anrufe wurden über eine Vermittlungsstelle mit Anbindung an das nationale Netzwerk übertragen. Die solarbetriebenen Telefone funktionierten so gut, dass die Belegschaft von Telecom Australia nach mehreren Einsatzjahren mit vollem Selbstvertrauen sagen konnte: „Der Einsatz der direkten photovoltaischen Energieumwandlung ist inzwischen praktikabel und die bevorzugte Energiequelle für Telefone an abgelegenen Orten.“

Vertrauen und Erfahrung

Diese Mikro-Installationen hatten einen Kostenvorteil gegenüber allen anderen primären Stromquellen, die für den Einsatz in Frage kamen. Somit galt das erste Solarprogramm von Telecom Australia als erfolgreich abgeschlossen. Die Telecom-Ingenieure hatten nun das nötige „Vertrauen und die Erfahrung mit der neuen Stromquelle“. Jetzt waren sie zur „Entwicklung großer Solarstromsysteme“ bereit, um abgelegene australische Ortschaften an das australische Telefonnetz anzuschließen und mit Fernsehen zu versorgen.

Der deutlich niedrigere Energiebedarf beim Betrieb großer Repeater führte auch dazu, dass Telecom Australia den Solarbetrieb ganzer Telekommunikationsnetzwerke in Erwägung zog. Ein großer Schüssel-Repeater, der zuvor ein Kilowatt benötigt hatte, kam nun mit 100 bis 200 Watt aus. Verbesserte Solid-State-Anlagen brachten den Durchbruch ebenso wie die Unterbringung der Schaltungstechnik unter der Erde, wo die Temperaturen ganzjährig mild sind. Somit bestand kein Bedarf mehr an Klimatisierung oder einer Heizung. Diese Repeater hatten jedoch einen wesentlich höheren Strombedarf als Oades’ Erfindung, da die Telefon- und Fernsehsignale in Australien über hunderte von Meilen übertragen werden mussten. Darauf war die Lenkurt-Variante nicht ausgerichtet. 1976 konnte der benötigte Strombedarf zum Betrieb eines Groß-Repeaters mit einer Kapazität von hunderten, wenn nicht tausenden Gesprächen gleichzeitig erstaunlich gut mit Photovoltaik kostengünstig abgedeckt werden. Telecom Australia berichtete in jenem Jahr: „Um 100 Watt in einem abgelegenen Gebiet ohne Anbindung ans Stromnetz zur Verfügung zu stellen, ist Solarenergie günstiger als jede andere Energiequelle.“ Nur ein Jahr später war in einer Ausgabe von The New Scientist zu lesen, dass der Einsatz der Photovoltaik an abgelegenen Orten „für Lasten bis zu 200 Watt gerechtfertigt ist“.

Auch der deutlich niedrigere Wartungsaufwand der neuen Mikrowellenantennen steigerte das Interesse der Telecom an Solarstrom. Ein typischer Mikrowellen-Repeater mit Solid-State-Ausstattung – also ein Repeater mit elektronischen Komponenten, die zum Betrieb keine Wärme benötigen und ohne bewegliche Teile auskommen –, der Mitte bis Ende der 1970er Jahre gebaut wurde, konnte zehn Jahre lang relativ störungsfrei betrieben werden. Von der üblichen Stromquelle des Repeaters, die verwendet wurde, wenn keine Verbindung zum Stromnetz bestand, konnte man das nicht behaupten. Dieselgeneratoren müssen jährlich einer intensiven Wartung unterzogen und des Öfteren nachgefüllt werden. So waren die Dieselgeneratoren zeit- und arbeitsintensiv, während die Schüsseln selbst gar keiner Wartung bedurften. Die für die Mikrowellenschüsseln zuständigen Wartungstechniker standen einer autonomen Stromversorgung offen gegenüber. Mit anderen Worten: Sie waren bereit für die Photovoltaik.

Trotz all dieser überwältigenden Argumente für den Umstieg auf Solarenergie wurde die Entscheidung von Telecom Australia, auf Sonnenenergie als überwiegende Stromquelle zu bauen, von vielen mit Überraschung aufgenommen. „In den 1970ern galt das als sehr riskant“, erinnerte sich Michael Mack. „Es war eine echte Neuheit.“ Der Erfolg hing nun von der Wahl der richtigen Solaranlage ab. Holderness und Mack waren auf der Suche nach einer photovoltaischen Vorrichtung, mit der die brillante Leistung der Solid-State-Ausrüstung verdoppelt werden konnte. Es sollte ein Modul mit einer Betriebsdauer von zehn Jahren und mit minimalem Wartungsbedarf sein, das heißt etwa alle sechs Monate. Zudem sollte es unter harten Bedingungen laufen: in Wüsten mit Tagestemperaturen von mehr als 49 Grad Celsius und Nachtfrost, oder in den Tropen, wo die Luftfeuchtigkeit nie unter 90 Prozent sinkt. Mit dieser Zielsetzung führten sie eine ausgedehnte Versuchsreihe durch.

Bei den ersten Feldversuchen schieden bereits fast alle Module auf dem Markt aus, denn für die meisten Module wurde damals Silikon als Einkapselungsmaterial und für die Beschichtung verwendet. Telecom Australia hatte herausgefunden, dass die in Australien einheimischen Papageien und Kakadus Silikon als Delikatesse ansehen. Ein weiteres Problem bei Plastikmodulen war, dass sich durch Stürme aufgewirbelter Schmutz leicht auf dem Silikon ansammelte und das Sonnenlicht abschirmte. Der Einsatz von Glas schaffte Abhilfe: Es schützte das Plastik vor Vogelschnäbeln, und Schmutz hielt sich nicht auf der glatten Oberfläche. Daher fassten Holderness und Mack den Entschluss, dass alle von der Telecom Australia eingesetzten Module mit Glas abgedeckt sein müssten.

Harte Materialtests

Diese Anforderung ließ Mitte der 1970er Jahre nur eine Wahl zu: das RTC-Modul von Philips Electronics. Das war machbar, denn Philips hatte eine Fabrik in Australien. So konnten die Ingenieure der Firma eng mit Holderness und Mack zusammenarbeiten. Das erste RTC-Modul, das dem von Holderness entwickelten Extremtest unterzogen wurde – Teil des Tests waren Temperaturwechsel zwischen -25 und +85 Grad Celsius sowie Dampfbäder –, fiel komplett auseinander. Philips behob die Probleme und entwickelte eine korrosionsbeständige Zelle. Die Ingenieure verringerten zudem die Anzahl der im Modul verwendeten Materialien. Das stoppte den Bruch von Zellen und Zellverbindungen, der aufgetreten war, weil sich die verschiedenen Einkapselungsmaterialien bei Temperaturschwankungen in unterschiedlichem Maße ausdehnten und zusammenzogen. Die überarbeitete RTC-Lösung wurde zum Standard-Stromversorgungsgerät der Telecom Australia bei Installationen in abgelegenen Gebieten.

Als Module, Batterien und Steuerung den Anforderungen entsprachen, sah sich Telecom Australia in der Lage, das erste große solarbetriebene Telekommunikationssystem aufzubauen. 1978 wurden 13 solarbetriebene Repeater mit jeweils 40 Kilometer Abstand zueinander aufgestellt. Sie verbanden das bestehende dieselbetriebene Netzwerk bei Tenant Creek mit dem Ferienort Alice Springs. Dabei wurden Zwischenpunkte mit bunten Namen wie etwa Devil‘s Marbles, Tea Tree und Bullocky Bone ans australische Telefonnetz und die Fernsehversorgung angebunden. Die Menschen in den umliegenden Orten waren bei Ferngesprächen nicht mehr auf die Vermittlung angewiesen und mussten nicht mehr ins Telefon schreien, um gehört zu werden. Zudem mussten sie nicht mehr darauf warten, bis die Nachrichtenbänder bei den Lokalsendern eintrafen, um diese erst Stunden nach dem Rest Australiens anzusehen.

Die hohen Anforderungen der Telecom Australia machten sich bezahlt. Das solarbetriebene System für Tenant Creek–Alice Springs funktionierte gut. „Das Konzept erwies sich als so erfolgreich“, berichteten Michael Mack und sein Kollege George Lee zehn Jahre später, „dass die Telecom Australia daraufhin 70 ähnliche Solarstrom-Pakete über das gesamte Netzwerk verteilt installierte.“ Alle Installationen hatten „erfreuliche Ergebnisse“, da nach zehnjährigem Betrieb „keine Systemausfälle aufgetreten“ waren. Das Kimberley Project verbindet entlegene Städte im Nordwesten Australiens, die sich im Aufschwung befinden. Es ist das weltweit größte solarbetriebene Mikrowellensystem. 43 solarbetriebene Repeater mit einem Abstand von 57 Kilometern zueinander überbrücken eine Entfernung von 2.420 Kilometern. Die Repeater versorgen nicht nur die Städte in ihrer Reichweite mit einer Fernverbindung, auch die Menschen an abgelegenen Gehöften und Gemeinden im Umkreis von 48 Kilometern können mit solarbetriebenen Telefonsystemen eine Verbindung zu den Repeatern aufbauen.

Durch die großangelegten Solarprojekte war die Telecom Australia in den späten 1970ern und in den 1980er Jahren einer der weltweit größten Abnehmer von Photovoltaik. Photovoltaikunternehmen, die mit der Telecom Australia zusammenarbeiteten, war ein gutes Geschäft gewiss, wenn sie ein Produkt anboten, das sich mit dem Vergleichsmodul von Philips messen lassen konnte. Die Solar Power Corporation erreichte diese Stufe. Sie deckte ihre Module mit Glas ab und stattete sie mit weiteren robusten Eigenschaften aus. Diese Verbesserungen kamen für die Australier gerade zum richtigen Zeitpunkt. Die Nachfrage nach den zuverlässigen Modulen war exponentiell gestiegen, und ein zweiter passender Anbieter sorgte für Wettbewerb. Auch andere Hersteller nahmen die Produktion widerstandsfähiger Module auf, was Michael Mack auf einer internationalen Telekommunikationskonferenz im Jahre 1984 zu folgender Aussage veranlasste: „Die Photovoltaikbranche ist in den letzten Jahren gereift. Inzwischen gibt es am Markt viele Module mit hoher Zuverlässigkeit.“

Ende der Exotik

Auf derselben Konferenz sagte Mack vor seinen Kollegen: „Wir hatten auf einer Stufe begonnen, als Solarenergie noch als exotische Stromquelle betrachtet wurde. Jetzt haben wir die Stufe erreicht, wo Solarenergie neben konventionellen Stromquellen eine wichtige Rolle spielt.“ Die Telecom Australia verhalf der Solarbranche zu dieser weitreichenden Akzeptanz. Mack beschreibt es so: „Die Erfahrungen in Australien ermunterten Menschen auf der ganzen Welt zum Einsatz der Photovoltaik. Telekommunikationskonzerne konnten zuversichtlich auf Australien verweisen und sagen: ‚In Australien funktioniert es, und das trotz der harten Umweltbedingungen.‘“ Oder mit den Worten von Arnold Holderness: „Wir haben der Welt gezeigt, wie Solarenergie im großen Stil zum praktischen Einsatz kommen kann.“ Und die Welt verstand es. Ein Telekommunikationsexperte teilte 1985 seinen Kollegen mit, dass Solarsysteme „bei der Kommunikation an abgelegenen Orten zur bevorzugten Lösung avanciert sind“.Telecom Australia brachte die Übertragungsausrüstung samt Batterien in den Versand-Containern unter, die die photovoltaischen Module trugen.

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