Kommentar: Flucht ins „Mañana“

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Das hatte Spaniens Industrieminister Miguel Sebastián so nicht erwartet: Erstmals in seiner Amtszeit blies ihm ein scharfer Wind ins Gesicht, als er versuchte, das spanische Defizit in der staatlich gelenkten Stromwirtschaft mit einer rückwirkenden Sprengladung gegen die Photovoltaik zu einzudämmen. Sein Chef, Ministerpräsident Zapatero musste am Mittwoch in den Ring steigen, um deutschen, amerikanischen und heimischen Investoren zu versichern, dass "Retroaktivität“ in der Gesetzgebung ausgeschlossen werden könne.

Alles also ein Sturm im Wasserglas? Alles nur Hysterie? Mitnichten. Denn als Zapatero seine Beruhigungspille an die Märkte abgegeben hatte, da trat sein Minister bereits die Flucht nach vorne an: Gestern, am Donnerstag, überraschte er die spanische Öffentlichkeit, indem er einen "Staatspakt im Energiesektor" ankündigte und zwar gemeinsam mit der Oppositionspartei PP (Partido Popular). Konkret: Jetzt wird erstmal eine Arbeitsgruppe gebildet und die stellt das Kostensystem des gesamten spanischen Elektrizitätssektors auf den Prüfstand – und zwar ohne "rote Linien", wie beide Parteien in ungewöhnlicher Einigkeit ankündigten.

Rote Linien, das bedeutet erst mal: Es wird am 1. Juli keine Strompreiserhöhung geben, um das horrende Defizit der Stromwirtschaft von fast 20 Milliarden Euro aufzufangen. Damit stehen beide Parteien schon mal gut vor ihren Wählern da. Es bedeutet aber auch, dass das Wie und Wann der Einschnitte bei der Photovoltaik nun völlig in der Luft hängt, bis der Kassensturz abgeschlossen ist. Vor der Sommerpause Ende August ist hier nicht mit Ergebnissen zu rechnen. Die Börsen begleiten das "Hü" und "Hott" Fingernägel kauend: Als Zapatero sein "No" zu rückwirkenden Kürzungen abgab, ging es aufwärts mit Acciona und Co, nur einen Tag später, als Sebastián seinen Staatspakt ankündigte, rauschten die Werte wieder abwärts. Jetzt stehen erstmal alle Signale auf Halt.

Politisch ist das ein kluger Schachzug des Industrieministers. Denn sein erster Versuch, die Kürzung der Solarförderung am 1. Juli rückwirkend einzuführen, geriet für ihn zum politischen Desaster und kann gleichzeitig als ein erster Sieg der Solarstromgemeinde über die konventionelle Stromlobby gefeiert werden – ein Sieg allerdings, der ohne den starken Lobbydruck ausländischer Politik, großer Banken und Investorengruppen unmöglich gewesen wäre. Mit dem Staatspakt kommt Sebastian aus den Seilen, denn er entledigt sich fürs erste des Drucks, alleine für Strompreiserhöhungen oder drastische Kürzungen bei den erneuerbaren Energien verantwortlich zu sein.

Was wird die PP in die überraschend angekündigten Verhandlungen einbringen? Und wie betrifft das die Photovoltaik? Vorsicht ist angebracht, denn der PP geht es in allererster Linie um die Verlängerung der Laufzeiten bestehender Atomkraftwerke. Es ist durchaus denkbar, dass der kluge Sebastián versuchen wird, seine Forderung nach rückwirkender Kürzung mit Hilfe der Oppositionspartei und der großen Stromkonzerne als Tauschobjekt in eine zweite Runde zu bringen. Sollte die PP das vergiftete Bonbon schlucken, dann bekäme Sebastians Projekt den Charakter der Staatsraison; seine Flucht nach vorne, hin zur rückwirkenden Kürzung der Solarförderung, wäre dann nur schwer aufzuhalten.

Erst am Donnerstag kam er in einem Radiointerview wieder aus dem Schützengraben: "Es kann doch wohl nicht sein, dass die Stromkosten steigen, wenn die Sonne mehr scheint oder der Wind stärker bläst". Im Klartext: Alles ab 1.200 Kilowattstunden im Jahr an Solarstromproduktion gehört dem Volk, ein klares Indiz dafür, dass künftige Tarifsenkungen über die Mengenbegrenzung stattfinden sollen. Aber werden sie rückwirkend sein?

Zapateros Bekenntnis gegen einen Angriff auf den Vertrauensschutz sind jedenfalls mit Vorsicht zu genießen. Denn am gleichen Tag als der Ministerpräsident die Investoren beruhigte, da griff er auch zum Telefon um Mariano Rajoy, Spaniens Oppositionsführer, den Staatspakt in Sachen Stromwirtschaft anzubieten. Das ist reiner Zeitgewinn in einem Moment, in dem die Regierung alles außer Zeit hat, denn Investoren in und außerhalb Spaniens schauen mit zunehmender Sorge auf die Schachzüge des angeknockten Industrieministers. Aber es ist wie so oft in Spanien: Der Sommer beruhigt die Gemüter – und die bitteren Pillen kommen dann gerne nach einem großen Fußballturnier oder nach den Ferien – vor allem mañana. (Luis López)

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