Alles andere als nachhaltig: CCS und CCU erfordern gigantische Energiemengen

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Wie schön wäre es, das klimaschädliche Gas Kohlendioxid einfach verschwinden zu lassen, um den Klimawandel wenigstens abzumildern. Als Möglichkeit wird seit Jahren die CO2-Abscheidung aus der Luft und die Verpressung in unterirdische Schichten diskutiert – und bislang verworfen. Umweltminister Robert Habeck (Grüne), der bis vor Kurzem die Technologie noch ablehnte, will nun ein Endlager in der Nordsee einrichten. Das heißt: Der Atmosphäre bestimmte Kohlendioxid-Einträge entziehen, in transportierbare Form umwandeln, in Tankzügen nach Norwegen transportieren, aufs Meer zur Verpressungsstelle bringen und unter Druck dahin zurückschicken, woher es kam. In die Tiefe.

Allerdings spielen dabei bisher Berechnungen über die Energieeffizienz keine Rolle, denn angesichts der Ergebnisse solcher müssten die Pläne sofort eingestellt werden. Kurz gesagt: Die Bilanz ist verheerend. Somit sind solche Verfahren auch alles andere als ökologisch nachhaltig.

Dennoch hat nun auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (in Halle), ein Zusammenschluss von hochklassigen Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen, verlangt, dass in Deutschland etwa 100 Millionen Tonnen CO2 jährlich abgefangen, unter die Erde gepresst, dort endgelagert beziehungsweise teilweise chemisch genutzt werden sollen. Das Verfahren zur Endlagerung heißt CCS (Carbon Capture and Storage), die chemische Nutzung CCU (Carbon Capture Usage).

Mein Ansatz als Chemiker geht von einem neuartigen Gedanken aus, der gleichwohl auf etablierter Naturwissenschaft, der Thermodynamik, beruht: Es wird die Entropie analysiert. Das Ergebnis meiner Berechnungen ist: CCS und CCU sind in krassem Umfang nicht nachhaltig. Sie verursachen Schäden in anderen Bereichen der Umwelt, die um ein Vielfaches höher liegen als die erhofften positiven Beiträge zur Klimastabilisierung.

Das am stärksten niederschmetternde Resultat der Kalkulation: Man muss etwa sechsmal soviel Energie in CCS hineinstecken, wie bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen zu CO2 als nutzbare Energie gewonnen werden konnte. Das Sechsfache! Die Ursachen dafür liegen in den mehrfachen Wirkungsgradverlusten beim Einfangen, dem Transport und der Verpressung des klimaschädlichen CO2. Hier die reine Energiebetrachtung in vereinfachter Form (die Originaldaten und Quellen dafür sind hier zu finden):

Für die Absorption und Speicherung von einer Tonne CO2 (mittels CCS) sind insgesamt 16 Millionen Kilojoule Primärenergie erforderlich. Joule ist die Maßeinheit für Wärme, Primärenergie ist die Energie, die ursprünglich in den Energiequellen wie Erdöl, Kohle etc. vorhanden ist, bevor diese zum Beispiel zu Benzin weiterverarbeitet oder in Strom umgewandelt werden. Schon bei der Bereitstellung von Wärme und Elektrizität gibt es immer Wirkungsgradverlust: Entropie.

Wenn also eine Tonne CO2 per CCS „beseitigt“ wird, muss sechsmal soviel Energie aufgewendet werden, wie man an Energie nutzen konnte, als in einem Kraftwerk diese eine Tonne CO2 erzeugt wurde. Allein das müsste ausreichen, um jedem klarzumachen, dass CCS nicht nachhaltig ist.

Nun müssen wir das Ganze aber noch mit 60 bis 130 Millionen Tonnen CO2, die die Leopoldina mittels CCS/CCU zu entfernen für notwendig hält, multiplizieren. Wenn wir als Mittelwert 100 Millionen Tonnen für die Berechnung nehmen, kommen wir auf einen Primärenergiebedarf von unfassbaren 1.600 Petajoule – oder 1.600 Billiarden Joule. Das entspräche 15 Prozent des Primärenergieverbrauchs Deutschlands im Jahr 2023 oder gut 18 Prozent des für 2030 angestrebten Primärenergieverbrauchs. Der Bedarf an Primärenergie würde also entsprechend steigen müssen – ein Wahnsinn.

Noch irrer wird es, wenn man sich die globale Dimension vor Augen führt. Allein um die im Jahr 2030 nicht vermeidbaren CO2-Emissionen aufzufangen und abzuspeichern, bräuchte man eine Industrie, die etwa zwanzigmal so groß sein müsste wie die heutige Ölindustrie. Das Zwanzigfache der Anlagen, Systeme, Gebäude, Leitungen, Transportwege der Ölindustrie weltweit.

Noch absurder ist das Resultat der Berechnungen hinsichtlich der chemischen Nutzung von CO2. Weil dieses Gas wegen der Entropie praktisch am Ende einer absteigenden Stufenleiter von Nützlichkeit steht, muss man unglaublich viel Energie in Prozesse hineinstecken, wenn man CO2 zum Beispiel wieder zu Brennstoffen oder zu nützlichen chemischen Rohstoffen zurückverwandeln will. Man würde 55 Prozent der gesamten regenerativen Stromerzeugung benötigen, um nur zehn Prozent der nicht vermeidbaren CO2-Emissionen umzuwandeln.

Das gilt aber nur für die chemische Umwandlung des CO2! Vorher muss es ja noch eingesammelt und verflüssigt werden. Dann gerät die Bilanz noch absurder, denn: Bei den derzeit jährlichen CO2-Emissionen von etwa 36 Gigatonnen benötigen wir allein für die Stabilisierung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf aktuellem Niveau etwa zwei Drittel der gesamten für das Jahr 2030 prognostizierten Stromerzeugung von etwa 33 Petawattstunden. Wohlgemerkt: hier ist der Gesamtstrombedarf gemeint, nicht nur der aus regenerativen Energiequellen. Mit welchem Strom soll dann die weltweite Infrastruktur und Industrie betrieben werden? Es blieben ja nur noch neun Petawattstunden Strom – konventioneller zusammen mit regenerativer Erzeugung – übrig für alles, was im Jahr 2023 knapp 30 Petawattstunden erforderte.

Bisher werden diese Technologien zur Klimastabilisierung überwiegend positiv beurteilt, zuletzt auch von den Grünen, einigen Naturschutzverbänden, von der Industrie sowieso. Kritiker führen zumeist politische Argumenten an, zum Beispiel: „CCS darf kein Freifahrtschein für die fortgesetzte Verbrennung fossiler Brennstoffe sein!“ Oder es wird bezweifelt, dass Kohlendioxid unterirdisch wirklich sicher gelagert wird und nicht wieder austreten kann. Auch die Kosten werden kritisch betrachtet.

Aber bisher wurde nicht untersucht, ob CCS oder CCU wirklich aus ökologischer Sicht nachhaltig sind. Meine Analyse zeigt, wie dargelegt: Sie sind es in krassem Umfang nicht. Das bedeutet, dass künftige Diskussionen nicht länger durch den Austausch von Meinungen oder das Darlegen von Haltungen dominiert sein können. Den Entscheidungen über extrem kostspielige Strategien müssen realistische Berechnungen auf Grundlage von Fakten und wissenschaftlich eindeutigen Tatsachen zugrunde liegen.

Bernhard Weßling— Der Autor Dr. Bernhard Weßling ist promovierter Chemiker und seit Jahrzehnten neben seinem Beruf im Umwelt- und Artenschutz (inkl. Klima) aktiv tätig (wie man auch auf seiner Website erkennen kann). Er hat sich aus seiner eigenen hauptberuflichen chemischen Forschung und Produktentwicklung heraus sowohl mit Thermodynamik als auch mit Nachhaltigkeit beschäftigt und bei SpringerNature ein Sachbuch über Thermodynamik veröffentlicht. 1990 war er Mitgründer und größter Investor des ersten Windparks in den damals Neuen Bundesländern (am Kap Arkona auf Rügen), hat selbst privat seit 2018 eine 10-Kilowatt-Photovoltaik-Anlage, fährt seit sechs Jahren ein Elektroauto und ist seit 2009 Investor und Mitgeschäftsführer eines Biohofes mit inzwischen 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. —

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