Gebremstes Potenzial: Wie aktuelle Vorschriften den Ausbau von Photovoltaik-Balkonanlagen einschränken – ein Erfahrungsbericht

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Knapp 200.000 – so viele Photovoltaik-Balkonkraftwerke wurden bisher in Deutschland verkauft. Ein bis zwei Solarmodule, ein Wechselrichter mit maximal 600 Watt Leistung und eine Halterung – alles im Paket bestellt, angeschlossen, eingespeist und fertig ist der grüne Strom vom Balkon. Theoretisch, ganz einfach.

Sowohl für Mieter als auch Eigentümer gibt es dennoch einige Hürden. Dazu gehören unklare Anschlussbedingungen: Muss mein Stromzähler getauscht werden? Reicht ein Schutzkontaktstecker (Schuko-Stecker) oder muss es ein Wieland-Stecksystem sein? Für manche Solarfreunde wird auch die Anmeldung zur Barriere: Muss ich mein Balkonkraftwerk anmelden? Was will der Netzbetreiber wissen? Und für Mieter: Brauche ich das Einverständnis meiner Vermieter?

Wir haben selbst ein Balkonkraftwerk nach aktueller Regelung installiert und teilen unsere Erfahrungen – über Sackgassen und Unklarheiten. Das aktuelle Normungsverfahren bietet Chancen, die Nutzung von Balkonkraftwerken einfacher zu machen – ein wichtiger Baustein, um die Energiewende von unten zu entfesseln.

Installation eines Balkonkraftwerks – Ein Erfahrungsbericht

Mit einer eigenen, kleinen Photovoltaik-Anlage und ohne viel Aufwand einen Beitrag zur Energiewende leisten? Klingt super! Die 2022 rasant gestiegenen Energiekosten und das Versprechen bis zu 10 Prozent seines Strombedarfs mit einem Photovoltaik-Balkonkraftwerk selbst decken zu können, überzeugten uns und wir begannen die Planung.

Unsere Erwartung: Plug-and-Play – kaufen, montieren, in Betrieb nehmen und Strom erzeugen

Zum Glück haben sich vor uns schon viele Menschen mit der Anschaffung eines Photovoltaik-Balkonkraftwerks beschäftigt und nach kurzer Recherche wurden wir schnell fündig, wie man am besten vorgeht. Auch finden sich bereits viele Produktvergleiche zur Auswahl der passenden Anlage im Internet.

Als Mieter oder Mieterin sollte man also zuallererst mit dem Hausbesitzer oder der Hausbesitzerin abstimmen, ob eine Installation in Ordnung ist. Gesagt, getan. Unsere Vermieterin erlaubt die Installation unter einer Voraussetzung: durch die Außenwand und in die Balkonbrüstung darf nicht gebohrt werden. Da wir in unserer Mietwohnung keine Außensteckdose am Balkon besitzen, ist eine Bohrung durch die Außenwand die einzige Möglichkeit, um ein Kabel durch die Wand zu legen und Strom ins Hausnetz einzuspeisen. Sollte es daran scheitern? Wir setzten uns erneut mit der Vermieterin in Verbindung und überzeugten sie letztendlich einer fachgerechten Bohrung durch die Außenwand zuzustimmen. Das erste Hindernis war überwunden. Allerdings empfahl unsere Vermieterin dringend die Installation einer Wieland-Steckdose, um ,,sicherzugehen‘‘.

Realität: viel Recherche, unklare Regeln, unvorhergesehen Hürden, teurer als gedacht

Womit es nun schwieriger wurde. Die Debatte dreht sich aktuell stark um die Verwendung des „richtigen“ Steckers und der „richtigen“ Steckdose. Rücksprachen mit Experten und Besitzern von Balkonkraftwerken argumentieren ausschließlich für den Schuko-Stecker, jedoch ist die aktuell gültige Empfehlung nach der Norm DIN VDE V 0100-551 ein Wieland-Stecksystem, welches nicht vom Anwender selbst installiert werden darf. Aufgrund dieser widersprüchlichen Informationen waren wir unentschlossen und zögerten eine Entscheidung hinaus.

Ein weiterer, vorerst unklarer Punkt, ist die Verwendung eines Stromzählers ohne Rücklaufsperre. Unser Stromzähler ist ein alter Ferraris-Zähler und verfügt nicht über eine Rücklaufsperre. Mit dieser will der Netzbetreiber verhindern, dass sich der Zähler in Zeiten hoher, eigener Erzeugung und geringerem Verbrauch (wenn also Strom ins Netz eingespeist wird) rückwärts dreht und damit Nutzer von Balkonkraftwerken durch den eingespeisten Strom zusätzlich profitieren. Der Austausch des Zählers wird vom Netzbetreiber vorgenommen, kann aber unter Umständen zu weiteren Kosten führen. Gleichzeitig informierten wir uns, was es mit der Anmeldung beim Netzbetreiber auf sich hat. Unser Netzbetreiber stellt ein übersichtliches Anmeldeformular bereit, in dem man die wesentlichen, technischen Daten der Anlage, das voraussichtliche Inbetriebnahmedatum nennen und glücklicherweise auch einen kostenfreien Zählerwechsel beantragen kann! Gleichzeitig will der Netzbetreiber Auskunft über den Elektrofachbetrieb, der die Installation der Wieland-Steckdose vorgenommen hat.

Womit wir wieder beim Stecker wären: Es gibt also nach allgemeinem Verständnis und aktuellen Regelungen keine offizielle Möglichkeit, den Schuko-Stecker zu verwenden und damit ein Balkonkraftwerk selbstständig und unkompliziert zu installieren. In unserem Fall argumentieren die Vermieterin, der Netzbetreiber und der VDE für den Wieland-Stecker. Es bleibt uns deshalb nichts weiteres übrig, als eine Elektrofirma zu beauftragen, mit einigen zusätzlichen Kosten und dementsprechend längerer Amortisationszeit der Anlage sowie längerer Wartezeit aufgrund des Fachkräftemangels. Oder wird es bald doch einfacher?

Gute Aussichten – viel Bewegung in der Debatte

Wer sich einen Balkonkraftwerk anschaffen will, muss also darauf vorbereitet sein, dass die Plug-and-Play-Idee unter aktuellen Voraussetzungen nicht zutrifft. Die momentanen Hürden tragen zu einem Ausbremsen der Energiewende bei und wirken auf Menschen abschreckend, die zwar an einem Photovoltaik-Balkonkraftwerk interessiert sind, aber wenig Zeit für lange Hintergrundrecherchen haben. Es braucht Änderungen – und diese scheinen endlich auf dem Weg.

In unserem Fall war die Notwendigkeit eines Wieland-Stecksystems die größte Hürde. In einer Pressemitteilung vom Januar 2023 hat der VDE nun sehr begrüßenswerte Vorschläge gemacht. Dazu gehören die Duldung des Schuko-Steckers, die Aufhebung der Notwendigkeit eines Zählerwechsels, vereinfachte Anmeldung und die Erhöhung der Bagatellgrenze von 600 auf 800 Watt. Die Änderungsvorschläge wurden bereits von der Bundesverband Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) begrüßt. Mittlerweile haben sich auch das Bundeswirtschaftsministerium und das Umweltbundesamt für diese Vereinfachungen ausgesprochen.

Insbesondere die Duldung des Schuko-Steckers sorgt unserer Erfahrung nach für starke Vereinfachung und erlaubt die eigene Installation ohne Elektrofachkraft und zusätzliche Kosten. In Österreich, den Niederlanden und der Schweiz ist die Nutzung eines Schuko-Steckers bereits ausdrücklich erlaubt. Schadensfälle durch Nutzung eines Schuko-Steckers sind trotz einer hohen Anzahl an Nutzern nicht bekannt. Der Verzicht auf einen Zählerwechsel würde die Installation sogar ökonomisch noch attraktiver machen.

Alle relevanten Akteure sprechen sich nun für diese Vereinfachungen aus. Ein sehr starkes Signal! Unser Praxisbeispiel zeigt anschaulich, an welchen Stellen diese Veränderungen in der Praxis hilfreich sind. Wir unterstützen die geplanten Vereinfachungen und begrüßen eine Umsetzung dieser Vorschläge im aktuell laufenden Normungsverfahren, das bis Ende 2023 finalisiert werden soll.

Balkon-Photovoltaik hat bei stimmigen Rahmenbedingungen viel Potenzial

Die komplizierte, aktuelle Situation rund um die Balkonkraftwerke kann als Symbol für die verzögerte Energiewende verstanden werden. Das sollte so nicht sein. Die geplanten Änderungen könnten den Balkon-Photovoltaik-Boom nun endgültig lostreten und das volle Potenzial dieser Technologie entfesseln. Ein Balkonkraftwerk, sollte in der Installation nicht komplizierter sein als eine Waschmaschine: kaufen, auspacken, anschließen, fertig. Theoretische ganz einfach – in der Praxis hoffentlich auch bald.

Mittlerweile läuft unsere Anlage auch und produziert Strom. Aufgrund des trüben Winterwetters sind die Erträge noch gering, nehmen aber mit längeren Tageszeiten und Sonnenstunden stetig zu. Letztendlich hat sich der Aufwand gelohnt, für den Moment, in dem die erste Kilowattstunde an eigenem Strom ins Hausnetz eingespeist wurde. Mit einem Ostbalkon produziert die Anlage hauptsächlich in der ersten Hälfte des Tages. Wie lange es dauern wird, bis sich die Anlage amortisiert hat, wird sich nun zeigen. Der Energiewende hilft es in jedem Fall.

Über die Autoren:

Philipp Diesing forscht am Energiesystemwende-Kolleg der Reiner Lemoine Stiftung und der LUT University in Lappeenranta, Finnland zur Defossilisierung des deutschen Industriesektors. Er beschäftigt sich zudem mit der Modellierung von 100 Prozent erneuerbaren Energiesystemen mit hohem Anteil an Photovoltaik.

 

Ricardo Reibsch forscht am Energiesystemwende-Kolleg der Reiner Lemoine Stiftung und an der Technischen Universität Berlin an neuen Anwendungen für Speichertechnologien. Im Fokus steht die Rolle dezentraler Batteriespeichersysteme zum Gelingen der Energiesystemwende in Niederspannungsnetzen unter Einbeziehung von Elektromobilität und elektrischen Wärmeerzeugern.

 

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