Wachstumsraten bei der Elektromobilität eröffnen gewaltiges Potenzial für Netzdienstleistungen

Teilen

Christopher Hecht ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen. Seine Forschung konzentriert sich auf die Interaktion von Elektrofahrzeugen und dem Stromnetz mit besonderem Fokus auf die Nutzung von öffentlicher Ladeinfrastruktur. Themenfelder sind intelligentes Laden und Vehicle-to-Grid.

Foto: RWTH Aachen

Wie hat sich der Markt für Elektrofahrzeuge in Deutschland in den vergangenen Monaten entwickelt?

Christopher Hecht: Der Markt für Elektrofahrzeuge hat ab etwa Mitte 2020 ein exponentielles Wachstum erlebt. Zwischen Anfang und Ende 2020 hat sich die Anzahl an Elektroautos im Bestand beispielsweise etwa verzweieinhalbfacht. Auch wenn das Wachstum in absoluten Zahlen seitdem weiterhin hoch war, ist die Wachstumsgeschwindigkeit etwas zurückgegangen. Während sich die Zahlen von 2020 auf 2021 verdoppelt haben, zeigte das erste Halbjahr 2022 lediglich ein Wachstum von knapp 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Setzt man dieselbe Wachstumsrate für das Gesamtjahr an, entspräche dies lediglich 48 Prozent Wachstum (siehe auch Abbildung 1). Bis Anfang des Jahres war das Verhältnis zwischen rein batterieelektrischen Fahrzeugen und Plug-In-Hybriden im Bestand zunächst ausgewogen. In 2022 wurden anteilig jedoch mehr batterieelektrische Fahrzeuge zugelassen. Brennstoffzellenfahrzeuge spielen im PKW-Markt noch immer eine nahezu vernachlässigbare Nischenrolle und eine Änderung ist aufgrund der Dynamik in der batterieelektrischen Sparte nicht abzusehen.

Haben sich dabei der Mangel an Chips und die allgemeinen Lieferprobleme weltweit bemerkbar gemacht?

Jan Figgener: Die Lieferzeiten von Elektrofahrzeugen liegen mittlerweile bei bis zu 18 Monaten. Hier kommen natürlich eine hohe Nachfrage und einige Probleme zusammen, aber der weltweite Chipmangel ist mit Sicherheit ein großer Faktor. Elektrofahrzeuge benötigen mehr Steuerungselektronik im Vergleich zu einem Verbrenner und sind somit an dieser Stelle besonders betroffen. Aber auch unabhängig von den Lieferproblemen ist eine solche Steigerung der Produktion Jahr für Jahr natürlich herausfordernd für die gesamte Produktionskette. Die langen Lieferzeiten bedeuten aber im Umkehrschluss auch, dass viele Fahrzeuge, die im Laufe des nächsten Jahres ausgeliefert werden, heute schon bestellt wurden. Ohne Liefermängel könnte der Fahrzeugbestand dementsprechend schon deutlich höher sein.

 

Abbildung 1: Anzahl batterieelektrischer (BEVs) und Plug-In Hybrid (PHEVs) PKWs in Deutschland.

Grafik: RTWH Aachen

Was glauben Sie, wie lange der Markt dadurch beeinträchtigt ist und wirkt sich das auf die Preise aus?

Hecht: Der Hochlauf der Elektromobilität erfordert zugleich einen Hochlauf sämtlicher Zuliefererketten. Die Produktion von elektronischen Chips ist allerdings ein hochautomatisierter Prozess, der vergleichsweise wenig Flexibilität bietet. In vielen anderen Produktionsketten können kurzfristige Nachfragespitzen beispielsweise über das Einrichten eines Mehrschichtbetriebs oder zusätzliche Produktionslinien abgefangen werden. Bei einer vollautomatisierten Fabrik, wie sie bei der Chipfertigung zum Einsatz kommt, sind die Möglichkeiten zur Produktionssteigerung deutlich geringer. Der Bau neuer Fabriken wiederum kostet Jahre. Aus diesem Grund ist im Bereich der Chipproduktion auch weiterhin mit einem sehr knappen Markt zu rechnen. Verschärfend dazu gibt es mittlerweile auch Berichte, dass der Chipmangel wiederum dazu führt, dass Akteure wertvolle Chips horten. Dadurch wird die Nachfrage vermutlich zusätzlich angekurbelt. Neben dem Chipmangel kann es auch temporär zur Knappheit in den Fertigungsketten für Batterien kommen. Hier sind Fertigungskapazitäten in der Größenordnung von hunderten von Gigawattstunden pro Jahr geplant. Da aber parallel auch die Nachfrage massiv steigt, bleibt abzuwarten, ob Angebot und Nachfrage in einem passenden Verhältnis stehen. Dazu gehören alle Bereiche der Lieferketten bis hinein in die Rohmaterialien. Insbesondere die Ausweitung von Bergbaukapazitäten braucht Zeit. Insgesamt werden diese Entwicklungen dafür sorgen, dass die Preise für Elektrofahrzeuge nicht so schnell fallen werden, wie es ansonsten möglich wäre.

Die RWTH Aachen veranstaltet die Konferenz „Vehicle-to-Grid und Smart Charging“ im April 2023 in Aachen, um aufzuzeigen, die die Batteriekapazitäten sinnvoll genutzt werden können.

Langfristig werden jedoch noch deutlich sinkende Preise für Batterien erwartet. Ist dieser Trend weiter intakt?

Jan Figgener ist Abteilungsleiter am Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen und unterstützt ACCURE Battery Intelligence bei Analysen rund um den Batteriespeichermarkt. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Markt- und Technologieentwicklung, die Netzintegration und die Alterung von Batteriespeichern.

Foto: Peter Winandy

Figgener: In diesem Jahr haben wichtige Rohstoffe wie Nickel und Kobalt hohe Preisspitzen erreicht, auch wenn sich die Märkte mittlerweile wieder etwas beruhigt haben. Beim Lithium hingegen haben wir gerade deutlich angezogene Preise am Weltmarkt. Ein direkter Übertrag auf die Batteriepreise ist aber durch parallel existierende bilaterale Lieferverträge mancher Hersteller nicht ohne weiteres möglich. Die Gesamtsituation hat nach einigen Angaben aus der Industrie jedenfalls zu erhöhten Batteriepreisen geführt. Das ist insofern bemerkenswert, da wir zuvor ausschließlich Preisdegressionen gesehen haben.

Liegt das nicht auch daran, dass die Nachfrage das Angebot gerade deutlich übersteigt?

Figgener: Es gibt derzeit einen absoluten Anbietermarkt und die Zellhersteller können ihre Marktmacht im Moment dazu nutzen, gute Preise durchzusetzen. Langfristig existieren aber gerade durch weitere Skaleneffekte, den vermehrten Einsatz von günstigen Zellchemien wie Lithium-Eisenphosphat oder perspektivisch auch Technologien auf Natrium-Basis noch Kostensenkungspotenziale. Dazu kommt durch den Einstieg neuer Akteure und den Aufbau weiterer großer Produktionskapazitäten ein verstärkter Wettbewerb. Aufgrund des exponentiellen Wachstums sowohl auf Angebots- als auch auf Nachfrageseite bleiben die konkreten Entwicklungen der nahen Zukunft aber spannend.

Wieviel Kilowattstunden Batteriekapazität rollen denn bereits über deutsche Straßen?

Hecht: Mittlerweile sind bereits über 50 Gigawattstunden an Batteriekapazität in elektrischen PKWs in Deutschland verbaut. Obwohl nur die Hälfte der PKWs reine Elektroautos sind, entfallen 41 Gigawattstunden auf diese Gruppe und übertreffen die Kapazität in deutschen Pumpspeicherkraftwerken mit etwa 39 Gigawattstunden deutlich. Im Schnitt sind damit 52 Kilowattstunden in einem batterieelektrischen PKW verbaut. Zum Vergleich: Ein handelsüblicher Photovoltaik-Heimspeicher hat selten mehr als 10 Kilowattstunden verbaut. Ein Blick in den Koalitionsvertrag verrät, dass die Bundesregierung sich das Ziel von 15 Millionen batterieelektrischen Fahrzeugen in 2030 bei einem Marktanteil von 80 Prozent der Neuzulassungen im gleichen Jahr gesetzt hat. Legt man heutige Batteriekapazitäten zugrunde, kommt man damit auf 780 Gigawattstunden, wobei dieser Wert vermutlich noch zu niedrig angesetzt ist, weil die Batteriekapazität pro PKW immer weiter steigt. Ein solches Potenzial ist ein Novum in der Energieversorgung und bietet gewaltiges Potenzial für die Integration von erneuerbaren Energien und eine Stabilisierung der Netze. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, um das Potenzial zu heben.

 

Abbildung 2: Batteriekapazität der batterieelektrischen (BEVs) und Plug-In Hybrid (PHEVs) PKW in Deutschland. Da einige Fahrzeugmodelle mit verschiedenen Batteriekapazitäten ausgeliefert werden, besteht eine gewisse Unsicherheit bei den geschätzten Werten.

Grafik: RTWH Aachen

Was muss sich ändern, damit die Elektroautos auch zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen können? Und wann wird das aus ihrer Sicht soweit sein?

Figgener: Rein technisch sind viele Hersteller schon extrem weit. Im Frühjahr wurde der wichtige Kommunikationsstandart ISO 15118-20 definiert, der Fahrzeuge und Ladestationen dazu befähigt, komplexe Ladepläne festzulegen. Auch die in vielen Fahrzeugen verbaute Hardware ist zumeist grundsätzlich dazu in der Lage, intelligent oder sogar bidirektional zu laden. Intelligent bedeutet dabei zum Beispiel, dass der PKW Überschussstrom aus der eigenen Photovoltaik-Anlage lädt oder die Ladung zu Zeiten günstiger Strompreise durchführt. Bidirektionales Laden führt diesen Gedanken noch einen Schritt weiter und ermöglicht es, das Fahrzeug zu entladen, wenn zum Beispiel die Strompreise besonders hoch sind oder, wenn man den eigenen Photovoltaik-Strom im Haus verbrauchen möchte. Es gibt bereits einige Pilotversuche, wie solche Konzepte umgesetzt werden können. Wir erwarten den Start des Markthochlaufs gegen Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres – zumindest für Anwendungen, die heutigen Photovoltaik-Heimspeichern ähnlich sind. Bis Konzepte rund um die Stromnetzstabilisierung wirklich in der breiten Masse ankommen, vergehen vermutlich noch ein paar Jahre, da die Regulatorik hier der Technik hinterherhinkt.

Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.