Ist die gesetzliche Kürzung des EEG-Tarifs europarechtlich zulässig?

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Einleitung

In Deutschland wird immer wieder bemängelt, dass die Strompreise zu den höchsten in Europa zählen. Als einer der Gründe gilt die mit dem Strompreis zu zahlende EEG-Umlage, aus der die Vergütung für den eingespeisten Strom, unter anderem aus Photovoltaik-Anlagen  gezahlt wird. Was liegt also näher, die Vergütung zu reduzieren, was ein Absinken der EEG-Umlage zur Folge hätte und damit der Strompreis für die Verbraucher sinken würde. Aber geht dies rechtlich auch? Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.

Am 29.10.2020  hat der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in einem Schlussantrag dafür plädiert, dass die rückwirkende Änderung der Einspeisetarife für erneuerbarer Energien  zum Nachteil der Betreiber  mit Art. 16 und 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden „Charta“) vereinbar sei, wenn die Begünstigten nicht erwarten durften, dass die gesetzlich gewährten Einspeisetarife während der Laufzeit der Photovoltaik-Anlage unverändert bleiben.

Gegenstand des Verfahrens vor dem EuGH ist das italienische Gesetzesdekret Nr. 91/2014 vom 24.06.2014 (im Folgenden „Dekret“). Mit dem Dekret hat der Gesetzgeber die Förderung für Photovoltaik-Anlages mit einer Nennleistung von mehr als 200 Kilowatt, die auf der Grundlage des italienischen Conto Energia (vergleichbar dem deutschen EEG) errichtet wurden, mit Wirkung ab dem 01.01.2015 reduziert. Für bereits bestehende Einspeisezusagen zwischen der in Italien zuständigen GSE und den Betreibern der Photovoltaik-Anlages, die ähnlich wie in Deutschland eine Laufzeit von 20 Jahren haben, bedeutete dies eine Absenkung der ursprünglich gesetzlich gewährten Einspeisetarife.

Nachdem Betroffene Beschwerde gegen das Dekret eingelegt hatten, hat das zuständige italienischen Verwaltungsgericht das Verfahren an den EuGH verwiesen, um zu klären, ob das Dekret mit EU-Recht vereinbar ist. Nach Auffassung des Generalanwalts beim EuGH ist dies nicht der Fall, sofern die Photovoltaik-Anlagenbetreiber nicht erwarten durften, dass der Betrag der gewährten Einspeisetarife während der Laufzeit dieser Verträge unverändert bleibt. Die endgültige Entscheidung des EuGH steht noch aus, jedoch zeigt die Entscheidungspraxis, dass die Richter dem Schlussantrag des Generalanwalts in mehr als 95 Prozent der Fälle in ihrem Urteil folgen.

Reduzierung der Einspeisetarife für Bestandsanlagen

Im Folgenden soll die Frage beleuchtet werden, ob eine Herabsetzung der durch das EEG gewährten Einspeisetarife für Photovoltaik-Anlagen, die zum Beispiel in den Jahren 2005 bis 2017 in Betrieb genommen wurden, für die Restlaufzeit des Gewährungszeitraums von 20 Jahren durch EU-Recht gedeckt wäre?

  1. Vereinbarkeit mit Art. 17 Abs. 1 der Charta

Nach Art. 17 Abs. 1 der Charta hat jede Person das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums.

  1. Art. 17 Abs. 1 ist in einem weiten Sinn zu verstehen. Neben dem klassischen Eigentum an Sachen werden auch vermögenswerte Rechte, aus denen sich eine gesicherte Rechtsposition ergibt, erfasst. Zu den vermögenswerten Rechten zählen auch Ansprüche, wenn diese tatsächlich existieren und eine berechtigte Erwartung auf deren Erfüllung darauf besteht.

Der Anspruch auf die Zahlung des gesetzlich gewährten Einspeisetarifes stellt nach Ansicht des Generalanwalts ein Vermögenswert dar.

  1. Nach Auffassung des Generalanwalts stellen zukünftige Einnahmen eine gesicherte Rechtsposition dar, wenn sie bereits erzielt wurden, Gegenstand einer einredefreien Forderung waren oder wenn besondere Umstände vorliegen, die beim Betroffenen ein berechtigtes Vertrauen darauf begründen, den Vermögenswert tatsächlich auch zu erhalten.

Nach deutschem Recht kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Einnahmen in Höhe des gesetzlich gewährten Einspeisetarifs bereits mit Inbetriebnahme der Photovoltaik-Anlage im Sinne von § 3 Nr. 30 EEG 2017 erzielt oder Gegenstand einer einredefreien Forderung sind. So bestimmt z.B. § 26 Abs. 2 EEG 2017, dass die Zahlungen für den eingespeisten Strom erst fällig sind, wenn der Photovoltaik-Anlagenbetreiber seine Pflichten zur Übermittlung von Daten nach § 71 EEG 2017 erfüllt hat.

  1. Es kommt also auch im deutschen Recht darauf an, ob seitens der Photovoltaik-Anlagenbetreiber ein berechtigtes Vertrauen besteht, dass die zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Photovoltaik-Anlage geltenden Einspeisetarife über eine Laufzeit von 20 Jahren unverändert fortbestehen. Für die Annahme eines solchen „berechtigten Vertrauens“ ist maßgeblich, ob ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer in der Lage ist, den Erlass einer Maßnahme, die seine Interessen berühren kann, vorherzusehen. Dies ist jedenfalls nicht der Fall, wenn eine Behörde die entsprechende Regelung im Rahmen ihres Ermessens ändern kann.

§ 25 EEG 2017 bestimmt, dass unter anderem Einspeisevergütungen jeweils für die Dauer von 20 Jahren zu zahlen sind. Vergleichbare, wenn auch nicht identische Regelungen gab es bereits im EEG 2014 und EEG 2012. Nach dem Wortlaut der Regelung ist die Zahlung der Einspeisevergütung dem Grunde nach auf 20 Jahre gesichert. Nach der Gesetzesbegründung ist der Zweck dieser Regelung, den Förderzeitraum hinsichtlich des Vergütungsbeginns und der Vergütungsdauer rechtssicher und damit investitionssicher festzulegen. Die Regelung schafft somit bei den Photovoltaik-Anlagenbetreibern ein berechtigtes Vertrauen auf die Gewährung und Zahlung des gesetzlich gewährten Einspeisetarifs über den Zeitraum von 20 Jahren. Eine Verkürzung dieses Zeitraums würde nach der Rechtsauffassung des Generalanwalts gegen Art. 17 der Charta verstoßen und wäre europarechtswidrig.

§ 25 EEG 2017 trifft hingegen keine Aussage zur Höhe der Einspeisevergütung über die 20 Jahre. Bei der Frage, ob ein Vertrauensschutz hinsichtlich der Höhe der zahlenden Einspeisevergütung bei den Photovoltaik-Anlagenbetreibern besteht, ist vielmehr auf § 19 Abs. 1 EEG 2017 abzustellen, der ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem örtlich zuständigen Netzbetreiber und dem Photovoltaik-Anlagenbetreiber begründet, in dessen Rahmen der Netzbetreiber zur Zahlung der gesetzlich vorgesehenen Vergütung gemäß § 21 EEG 2017 verpflichtet ist. In der Begründung zu § 19 EEG 2017 hat der Gesetzgeber ausgeführt, dass dieses Schuldverhältnis zwischen Netz- und Photovoltaik-Anlagenbetreiber der 20-jährigen Befristung des § 25 EEG 2017 unterliegt. Dies bedeutet, dass die gesetzlich vorgesehene Höhe der Vergütung über diesen Zeitraum zwingend vom Netzbetreiber gezahlt werden muss, sofern der Photovoltaik-Anlagenbetreiber die weiteren Voraussetzungen der §§ 21, 26 Abs. 2, 71 EEG 2017 erfüllt. Durch diesen Verweis auf die gesetzlich gesicherte Laufzeit von 20 Jahren wird auch hinsichtlich der Höhe der zu zahlenden Vergütung ein berechtigter Vertrauensschutz begründet, der nach der Rechtsauffassung des Generalanwalts ausschlaggebend dafür ist, dass eine Änderung der Höhe der zu zahlenden Vergütung während der 20-jährigen Laufzeit einen Verstoß gegen Art. 17 der Charta bedeuten und die Gesetzesänderung europarechtswidrig wäre.

Exkurs: Auch nach deutschem Recht kann eine Kürzung der Vergütungshöhe oder -dauer während der 20-jährigen Laufzeit aufgrund des im Rechtsstaatsprinzip von Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Vertrauensschutzes unzulässig sein. Danach soll das Vertrauen der Bürger in die Kontinuität von Recht geschützt werden.

Das Bundesverfassungsgericht (im Folgenden „BVerfG“) unterscheidet zwischen Gesetzesänderungen mit echter und unechter Rückwirkung. Während bei der echten Rückwirkung ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte Sachverhalte eingreift, wirkt bei einer unechten Rückwirkung die Änderung lediglich auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein. Echte Rückwirkungen sind in der Regel unzulässig, während unechte Rückwirkungen grundsätzlich zulässig sind.

Zu klären ist damit die Frage, ob es sich bei der Kürzung der Vergütungshöhe oder -dauer während der 20-jährigen Laufzeit nach § 25 EEG 2017 um eine echte oder unechte Rückwirkung handeln würde, da das gesetzliche Schuldverhältnis mit dem Netzbetreiber nach § 19 EEG 2017 bereits vor der Änderung geschlossen wurden.

Bei öffentlich-rechtlichen Anspruchsnormen geht das BVerfG dann von einer echten Rückwirkung aus, wenn die Anspruchsvoraussetzungen dieser Norm zum Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung bereits erfüllt sind. Davon ist vorliegend auszugehen, denn das gesetzliche Schuldverhältnis zwischen Netz- und Photovoltaik-Anlagenbetreiber nach §§ 19, 25 EEG 2017 wird bereits in dem Moment begründet, in dem der Photovoltaik-Anlagenbetreiber die Anspruchsvorsetzungen nach § 19 EEG 2017 erfüllt.

Eine gesetzliche Kürzung Vergütungshöhe und -dauer für aus der Photovoltaik-Anlage eingespeisten Strom für Bestandsanlagen stellt somit eine echte Rückwirkung dar, mit der gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen werden würde.

Nicht verschwiegen werden soll jedoch, dass das BVerfG auch von der Unwirksamkeit von Gesetzesänderungen mit echter Rückwirkung eine Ausnahme zulässt, wenn durch die Gesetzesänderung zwingenden Gründen des Gemeinwohls Rechnung getragen wird; in diesem Fall hat der Vertrauensschutz zurück zu stehen. Es erscheint fraglich, ob die Strompreise in Deutschland getrieben von einem Anstieg der EEG-Umlage solche Höhen erreichen, dass das Gemeinwohl nur wiederhergestellt werden kann, wenn die Einspeisetarife für Bestandanlagen gekürzt werden und die EEG-Umlage damit der Höhe nach reduziert wird.

Vereinbarkeit mit Art. 16 der Charta

Art. 16 der Charta bestimmt, dass die unternehmerische Freiheit nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt wird. Geschützt werden sowohl natürliche als auch juristische Personen in ihrer Vertragsfreiheit und die Freiheit unternehmerischer Führung bezüglich ihrer Ressourcen. Die Photovoltaik-Anlagenbetreiber fallen ohne weiteres in den Schutzbereich des Art. 16 der Charta.

Mit Blick auf die Frage der Europarechtswidrigkeit des Dekrets hat der Generalanwalt in seinem Schlussantrag festgehalten, dass „die Verträge zwischen GSE und den Betreibern von Photovoltaik-Anlagen keinerlei Recht auf Unveränderlichkeit der Anreize zugunsten dieser Betreiber vorsehen“. Dies ergebe sich unter anderem daraus, dass „der Betrag dieser Anreize von den nationalen Rechtsvorschriften abhängt“ und die Einspeiseverträge der GSE eine Klausel enthalten, „wonach GSE der Entwicklung des einschlägigen gesetzlichen Rahmens Rechnung tragen darf“. Als der Einspeisetarif gemäß dem Dekret geändert wurde,  waren die Photovoltaik-Anlagen- nach Auffassung des Generalanwalts an die vertraglichen Bestimmungen gebunden, denen sie aus freien Stücken durch den Abschluss dieser Verträge zugestimmt hatten, und nicht in ihrer Vertragsfreiheit beeinträchtigt.

Die Regelungen in den Einspeiseverträgen der GSE weichen damit wesentlich von jenen ab, die deutsche Netzbetreiber mit Photovoltaik-Anlagenbetreiben abschließen, denn diese enthalten keine der vom Generalanwalt angesprochenen vergleichbaren Anpassungsklauseln. Folglich dürfen die Photovoltaik-Anlagenbetreiber in Deutschland darauf vertrauen, dass das gesetzliche Schuldverhältnis mit dem Netzbetreiber – in der zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme geschlossenen Form – bis zum Ende der Laufzeit von 20 Jahren unverändert fortbesteht. Eine einseitige Änderung dieses Schuldverhältnisses als Folge einer Gesetzesänderung dürfte damit gegen Art. 16 der Charta verstoßen und europarechtswidrig sein.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass für Photovoltaik-Anlagenbetreiber in Deutschland kein Risiko für den Fortbestand des bei Inbetriebnahme ihrer Photovoltaik-Anlage gewährten Einspeisetarifs – sowohl für die Höhe als auch für die Laufzeit – besteht. An dieser Rechtslage wird auch das vom EuGH noch zu fällende Urteil nichts ändern, sollte das Gericht das italienische Dekret und die damit verbundene Kürzung des Einspeisetarifs für Bestandsanlagen für europarechtskonform halten.

Über die Autoren

Dirk Voges ist Rechtsanwalt/Partner in der Kanzlei Weitnauer. Er berät nationale und internationale Mandanten in Fragen des nationalen und internationalen Energie-Projektgeschäfts sowie dem Gesellschafts-, Kapitalmarkt- und Umwandlungsrecht.

 

Tobias Perchermeier studierte an der LMU München Rechtswissenschaften studiert. Von Oktober 2019 bis März 2020 arbeitete er bei Siemens in der Legal und Compliance Abteilung, bevor er im April 2020 ein Referendariat beim OLG München begann. Seit November 2020 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Kanzlei Weitnauer.

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