Wir beginnen zu gewinnen!

Hambacher Forst

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Am vergangenen Freitag überschlugen sich die Ereignisse: Während zehntausende Menschen in allen Teilen Deutschlands, in Polen, in Tschechien, in Rumänien, in den Niederlanden sich trotz polizeilichem Demo-Verbot auf die Reise zum Hambacher Wald vorbereiteten oder diese schon angetreten hatten, wurde bekannt, dass das Oberverwaltungsgericht Münster per Eilbeschluss die Rodungserlaubnis des Verwaltungsgerichts Köln aufgehoben hatte. Bis über eine Klage des BUND entschieden ist (was bis 2020 dauern kann), darf nicht weiter abgeholzt werden!

Was der BUND in langwierigen, zähen juristischen Bemühungen nicht erreichen konnte – plötzlich ging es in Minutenschnelle. Unverkennbar wirkte der Druck der Massen von Menschen, die den Ersatz der Kohle durch erneuerbare Energie als überlebensnotwendig für unsere Spezies erkannt haben und zu entsprechenden praktischen Aktionen entschlossen sind.

War am Einknicken der Justiz möglicherweise auch ein Kalkül beteiligt, denen, die kommen wollten, um den Hambacher Wald zu schützen, den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem der Wald als für weitere Jahre gesichert hingestellt wurde?

Wie dem auch sei – weder das polizeiliche Verbot noch die Beruhigungspille zeigten Wirkung. Im Gegenteil. Beide Maßnahmen stärkten nur das „jetzt erst recht“!

So gab es ein zweites Einknicken, indem die Justiz (per Verwaltungsgericht Aachen) auch das Demonstrationsverbot kassierte: Die von der Polizei behaupteten Sicherheitsmängel seien nicht gegeben.

So war es dann auch: Die mit 200 Bussen, zahlreichen Sonderzügen und tausenden PKWs angereisten 50.000 Demonstranten – überwiegend im jungen, tatkräftigen Alter –  feierten ein friedliches und aufgrund der jüngsten Entwicklung fröhliches, entspanntes und optimistisches Zusammensein. Die Polizei war nur ganz am Rande in einer Größenordnung von vielleicht 100 verkehrsregelnden Beamten wahrnehmbar. Gewissermaßen konnte man mit Händen greifen, dass die Sicherheit nicht durch Waldschützer und Energiewende-Akteure verletzt wird, sondern durch die Staatsmacht, wenn sie ihre bewaffneten Kräfte für die weitere Erzwingung der Kohleverstromung einsetzt.

Dies hat bei den hoch motivierten Klima- und Naturschützern zu Tod und Verletzten geführt und immer wieder deutlich gemacht, dass unser Rechtswesen und das in ihm sich ausdrückende stets auf das Detail beschränkte und Ganzheitlichkeit ausschließende Denken für die Lösung der Aufgaben, die sich heute der Menschheit stellen, nicht geeignet ist. Die Absurdität kommt beispielsweise in jener kabarettreifen Szene zum Ausdruck, wo ein Polizei-Oberer den Waldbewohnern per Megaphon aus dem Bauordnungsrecht vorliest, und ihnen mitteilt, dass die Baumhäuser gewisse Brandschutzvorschriften nicht einhalten und daher abzureißen sind. Baumhausbrände im Hambacher Forst sind mir nicht bekannt, wohl aber riesige durch die klimawandelbedingte Dürre des Sommer 2018 -die weiter anhält – verursachte Waldbrände. Das interessiert den Zitierer des Bauordnungsrechts aber nicht.

Das Medien-Echo auf die gestrige Aktion war durchweg positiv. Sogar die die Erwartungen um mehr als das Doppelte übersteigende Teilnehmerzahl von 50.000 wurde von ZDF und ARD bestätigt. Dass RWE nun ein Klagelied über kommende Verluste anstimmt, ist ebenfalls eine gute Nachricht für den Klimaschutz. Den Befürwortern eines raschen Kohleausstiegs in der „Kohle-Kommission“ wurde der Rücken gestärkt.

Zu beachten ist allerdings, dass nun die Weichen nicht auf Kohle-Ersatz durch Erdgas gestellt werden. In der Erdgasflamme wird weniger CO2 freigesetzt als bei der Kohleverbrennung. Rechnet man aber die sogenannten „Vorkettenemissionen“, die bei Förderung, Transport und Reinigung des Erdgases entstehen – beispielsweise unverbranntes Methan mit seiner anfangs 80fachen, nach Jahrzehnten 25fachen Klimawirksamkeit von CO2 – hinzu, so erweist sich Erdgas als mindestens ebenso klimaschädlich wie Kohle. Das aus gefrackten Bohrungen in den USA stammende und dann verflüssigte Erdgas (LNG), wofür  derzeit in deutschen Häfen die nötige Infrastruktur mit staatlicher Unterstützung aufgebaut werden soll, dürfte der klimaschädlichste Brennstoff überhaupt sein, da etwa 25 Prozent seines Energiegehaltes allein schon für Abkühlung auf -160 Grad, Kompression und Transport benötigt werden.

Was wir brauchen, ist die erneuerbare Energie und nichts anderes. Alle Anstrengungen müssen darauf gerichtet werden, durch geeignete Kombinationen und Speicherung eine 100 prozentige Versorgung durch Erneuerbare in jeder Minute des Jahres zu ermöglichen. Mit Projekten, die dies demonstrieren, erhält die Forderung nach raschem Kohleausstieg Hand und Fuß.

— Der Autor Christfried Lenz war unter anderem tätig als Organist, Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Politisiert in der 68er Studentenbewegung, wurde „Verbindung von Hand- und Kopfarbeit“ – also möglichst unmittelbare Umsetzung von Erkenntnissen in die Praxis – zu einer Leitlinie seines Wirkens. So versorgt er sich in seinem Haus in der Altmark (Sachsen-Anhalt) seit 2013 zu 100 Prozent mit dem Strom seiner PV-Inselanlage. Nach erfolgreicher Beendigung des Kampfes der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“ engagiert er sich ganz für den Ausbau der Ereneuerbaren in der Region. Als Mitglied des Gründungsvorstands der aus der BI hervorgegangenen BürgerEnergieAltmark eG, wirkte er mit an der Realisierung einer 750 Kilowatt-Freiflächenanlage in Salzwedel. Lenz kommentiert das energiepolitische Geschehen in verschiedenen Medien und mobilisiert zu praktischen Aktionen für die Energiewende —

Die Blogbeiträge und Kommentare aufwww.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.

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