Mit 83,4 Kilo aufs Modul

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Es gibt diese Wochen, die bei vielen Installateuren für Hektik sorgen. Die Kunden wollten ihre Anlagen unbedingt zu einem bestimmten Datum installiert haben, da sie Vergütungskürzungen befürchten, auch wenn diese nicht kommen, wie in diesem Monat. Die Arbeitstage der Handwerker sind dann lang, der Zeitdruck ist groß. Da kann es auf einigen Baustellen durchaus etwas rustikaler zugehen.

Es soll immer mal wieder vorgekommen sein, dass Monteure eine Abkürzung über das Modulfeld nehmen, um sich einen Umweg zu ersparen. Oder bei der Installation auf den Modulen knien, weiles bei dem wuseligen Geschehen auf dem Dach eng wird. Oder sich sogar auf den Modulen niederlassen, um dort Brotzeit zu machen.

Empfindliche Hightech-Produkte

Wohlgemerkt: Das sind seltene Ausnahmen. Die übergroße Mehrheit der Installateure behandelt die Module so, wie es sich für Hightech-Produkte gehört – mit besonderer Sorgfalt. Wer diese missen lässt, könnte sich mit der Werbung einiger Modulhersteller entschuldigen, die betonen, wie robust und belastbar ihre Produkte sind. Auch wenn die Unternehmen damit sicher nicht zum Betreten derModule einladen wollen. Denn die mechanische Belastung tut ihren Produkten gar nicht gut: „Abhängig von der Art der Belastung können dadurch Defekte im Modul entstehen, die für das menschliche Auge nicht zu erkennen sind“, sagt Matthias Zech von der Fakultät für Elektro- und Informationstechnik der Hochschule München.

Unter Führung von Mike Zehner, Leiter der Arbeitsgruppe „PV-Systeme“ des Labors Solartechnik und Energietechnische Anlagen der Hochschule München, hat Zech jetzt zusammen mit einigen Studienkollegen untersucht, welche Schäden ein solch unsachgemäßer Umgangbei den Solarmodulen verursacht. Dazu haben die Forscher zunächst in einem Labor des Lehrstuhls für Orthopädie und Unfallchirugie der Technischen Universität München simuliert, wie ein Monteur – mit einem Gewicht von 83,4 Kilogramm, so schwer ist ein deutscher Mann im Durchschnitt – über ein handelsübliches polykristallines Modul läuft. Dabei haben sie das typische Gehverhalten eines Menschen nachgeahmt, der in der Regel zuerst mit der Ferse auftritt und dabei auf einer kleinen Fläche besonders starken Druck ausübt. Zudem haben die Forscher ein senkrecht gelagertes Modul umfallen lassen – auch das soll bei der Installation ja mitunter vorkommen.

Mikrorisse in den Zellen

Anschließend haben Zech und seine Kollegen die derart malträtierten Module mit Hilfe des Elektrolumineszenzverfahrens auf Schäden untersucht. Dabei wurde das Paneel mit einer geringen Spannung betrieben, so dass die Solarzellen im Infrarotbereich leuchteten. Für den Menschen ist diese Strahlung nicht sichtbar. Jedoch für eine Spezialkamera: Diese zeigte deutlich, dass durch das Betreten und Umfallen der Module in den Zellen feine Risse entstanden sind. Diese sogenannten Mikrorisse stellt die Kamera als deutlich erkennbare dunkle Linien dar.

Die Metallisierung der Solarzellen hielt den Belastungen jedoch stand: „Die Risse waren nicht so tief, dass der elektrische Kontakt zu den angrenzenden Bereichen abgebrochen wäre“, sagt Zech. Da der Strom also weiterhin fließen kann, haben die Risse keinen unmittelbaren Verlust an Modulleistung zur Folge. Eine Forschergruppe vom Hamelner Institut für Solarenergieforschung (ISFH) bestätigt dieses Ergebnis: „Wir haben uns angeschaut, was passiert, wenn das Silizium gebrochen ist, der elektrische Kontakt über die Metallisierung aber gewährleistet bleibt“, erklärt Marc Köntges, Leiter der Arbeitsgruppe Modul- undVerbindungstechnik am ISFH. „Dabei haben wir keinen Leistungsverlust nachweisen können. Erst wenn alle Zellen eines Moduls gebrochen sind, konnten wir eine Minderung feststellen. Die lag aber nur bei 2,5 Prozent.“

Leistungsverlust mit Verzögerung

Also alles halb so wild? Immerhin liefern die beschädigten Module nach der Montage zunächst einmal etwa genauso viel Strom wie erwartet. Nach einiger Zeit werden die Anlagenbetreiber jedoch lange Gesichter machen, weil der Leistungsverlust mit Verzögerung eintritt, meint Matthias Zech. Denn die wechselnden Temperaturen, denen die Module im Laufe ihrer Betriebszeit ausgesetzt sind, verursachen hohe Spannungen, die die Risse vertiefen und so die elektrischen Kontakte unterbrechen können. „Besonders gefährdet sind dabei die Busbars. Denn hier kommen verschiedene Materialien miteinander in Kontakt, die einen unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten aufweisen“, sagt Zech. Ebenso können mechanische Belastungen wie Schnee oder Wind dazu beitragen, dass aus den oberflächlichen Rissen signifikante Schäden werden.

Auch durch Luftfeuchtigkeit droht Gefahr. Das zeigt ein Feuchte-Frost-Test, dem das ISFH die Module in einer Klimakammer unterzogen hat. Es galt herauszufinden, ob aus Mikrorissen, die den elektrischen Kontakt durch die Metallisierung nicht schädigen, Abbrüche ganzer Zellflächen werden. „Wenn das Silizium durch einen Riss offen ist, saugt sich das Laminat mit Feuchte voll. Es quillt auf, und die Metallisierung beginnt spröde zu werden und sich abzutrennen. Der Test hat gezeigt, dass die Mikrorisse unter diesen Bedingungen aufreißen können“, erklärt Köntges.

Ganzer String betroffen

Einen ähnlichen Versuch hat jetzt die Arbeitsgruppe der Hochschule München in einem zweiten Projekt gestartet. Um zu untersuchen, wie stark die Leistung von Modulen mit Trittschäden in welchem Zeitraum abnimmt, setzen die Forscher die Paneele in einer Kältekammertypischen Temperaturschwankungen aus. „Zum nächsten OTTI-Symposium in Bad Staffelstein im März 2012 werden die Ergebnisse vorliegen“, kündigt Matthias Zech an.

Die ISFH-Forscher haben mit Hilfe einer Computersimulation herausgefunden, dass der Leistungsverlust bei einem 230-Watt-Modul linear mit der abgebrochenen Fläche steigt, sobald mehr als acht Prozent der Zellfläche betroffen sind. „Ein Prozent mehr betroffene Fläche ist gleich ein Prozent weniger Leistung“, sagt Köntges. „Das ist nicht allzu viel. Wenn Sie aber ein derart geschädigtes Modul in einem Stringverbund verschalten, istgleich die ganze Leistung des entsprechenden Strings betroffen. Wir sehen hier ein ähnliches Phänomen wie bei der Verschattung.“ Für die Installateure lässt sich aus diesen Testergebnissen eine einfache Regel ableiten: Füße weg von den Modulen, auch wenn die Risse nicht in jedem Fall zu Leistungsverlusten führen. Doch möglicherweise bekommen besonders schlanke Installateure bald einen Freibrief von der Hochschule München. Denn die Wissenschaftler untersuchen zurzeit auch, welche Belastungen die Solarmodule aushalten können, ohne dass Risse auftreten.

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