Vertrauens-Test

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Bis vor kurzem war es noch hochgeheim, wenn Bengt Jäckel den von der Decke hängenden Joystick in die Hand nahm. Doch jetzt führt er es auch der Presse vor. Der Grund ist nachzulesen in einer Pressemitteilung vom 30. Juni. Q-Cells, letztes Jahr der größte Zellproduzent, kündigte eine Marketingkampagne zur Steigerung seiner „Bekanntheit als Premium-Marke“ an, inklusive Material für die Fachpartner. Premium bedeutet Qualität und dafür betätigt Jäckel, Leiter der Test- und Zertifizierungsabteilung, den Schalter. Er steuert das Modul, das an dem Kran hängt, herunter auf ein Carriersystem und fährt es vor ein Gerät, dessen Aussehen den Laien wohl am ehesten an einen überdimensionierten Gefrierschrank erinnert und in dessen Innern sich eine Klimakammer befindet.
In Zeiten der Flaute – der Umsatz brach im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr um 36 Prozent ein – will die Firma aus Thalheim zeigen, was Qualität wirklich bedeutet. Und was auf den ersten Blick verwundert: Q-Cells, Hersteller kristalliner Zellen, produziert und testet nicht nur diese, sondern baut zu Testzwecken auch kristalline Module. „Wir untersuchen, wie gut unsere Zellen im Modul funktionieren, und wollen das unseren Kunden auch zeigen“, sagt Jäckel. Das gilt gerade auch für Neuentwicklungen wie die Zellentypen Q6LM und Q6LTT3 mit auf der Rückseite verkürzten Busbars, die die Firma dieses Jahr auf der PVSEC präsentierte und die ihre Vorteile vor allem im Modul ausspielen sollen.

Die Moduleffizienz zählt

In der Tat haben Modulhersteller in der Vergangenheit bemängelt, dass Fortschritte in der Zelltechnologie zwar den Zellwirkungsgrad und den in der Regel daran bemessenen Preis steigern, im Modul aber teilweise deutlich weniger positiven Effekt bringen würden (siehe photovoltaik 11/2008). Dem kann man begegnen, wenn man als Zellhersteller Modellmodule präsentieren und mit den Kunden diskutieren kann, wie man sie am besten produziert. Außerdem kann man so zeigen, dass einer Zertifizierung nichts im Wege steht. In diesem Sinne muss man es auch verstehen, wenn Q-Cells zur PVSEC ein Ergebnis für ein unverkäufliches Modul aus eigenen Zellen verkündet. Die Firma habe mit 15,9 Prozent Modulwirkungsgrad einen neuen Weltrekord für ein Modul erreicht, das Zellen aus der Serienfertigung nutzt.
Ziel der Marketingoffensive ist auch der Endkunde. Ihm soll versichert werden, dass Module mit Zellen von Q-Cells auch wirklich über die gesamte Lebensdauer den versprochenen Ertrag bringen. Denn das Problem aller Premiumhersteller ist: Qualität sieht man den Modulen nicht auf Anhieb an und auch die technischen Daten spiegeln sie nicht unbedingt wider. „Manche Hersteller geben auf der Basis von Labortests erstklassige Leistungswerte an, die die Solarstromanlage dann jedoch bei wechselhaftem, typisch deutschem Wetter verfehlt“, sagt etwa Jäckel.

Knackpunkt Vertrauen

Die Testprozeduren sind an sich nichts Neues und in IEC-Normen festgelegt. Der TÜV Rheinland benutzt sie (siehe photovoltaik 11/2007), ebenso etliche andere Testzentren wie der VDE und auch Modulhersteller – so hat Trina Solar Anfang September gemeldet, ein neues Testzentrum in Betrieb genommen zu haben. Laut Q-Cells ist das eigene Unterfangen trotzdem etwas Besonderes. „Nur wenige Hersteller prüfen wie Q-Cells alle Produkte vor Markteinführung im eigenen Testcenter“, sagt Michael Bauer, CTO der Q-Cells-Tochter Calyxo, die Cadmiumtellurid-Dünnschichtmodule herstellt. Allerdings gibt es auch nur noch wenige große Player, die wie Q-Cells im kristallinen Siliziumbereich reine Zellhersteller sind (siehe photovoltaik 05/2009). Die Wettbewerber, die ihre Zellen zu Modulen weiterverarbeiten, müssen die Module vor Markteinführung sowieso testen lassen, wenn sie zertifiziert werden sollen. Sie bekommen die Tests, die Q-Cells an Modulen durchführt, zumindest im Prinzip automatisch mit. Das Problem lauert hinter dem Wörtchen „im Prinzip“. Die Frage ist, an welchen Produkten und wie gewissenhaft Firmen Tests durchführen. Es geht um Vertrauen.
Bei der Marketingoffensive handelt es sich dementsprechend auch um eine vertrauensbildende Maßnahme. Lassen wir uns also ein auf den Rundgang durch das Testcenter. Durch etliche schwere Stahltüren geht es in eine hohe Fabrikhalle. Rund 800 Quadratmeter sind mit Sichtblenden vom Rest abgetrennt, hier sind die Testgeräte untergebracht. Nicht nur die Klimaschränke, auch die Schränke, in denen Module für längere Zeit einem sonnenähnlichen Licht ausgesetzt werden, um Degradationseffekte zu analysieren, sehen wie überdimensionierte weiße Ware aus.

Der Blick in die Zukunft

Einige Klimaschränke sind auf den Feuchte-Wärme-Test geschaltet, bei dem Module 85 Grad bei 85 Prozent Luftfeuchtigkeit aushalten müssen, andere auf den Feuchte-Frost-Test, bei dem zusätzlich die Temperatur alle 20 Stunden auf minus 40 Grad abgesenkt wird, wieder andere auf den Temperaturwechseltest, bei dem der Temperaturwechsel noch häufiger stattfindet. In einer Ecke biegen Saugnäpfe ein Modul so weit durch, dass man jeden Moment mir dem großen Knall rechnet, um Wind- und Schneelasten zu analysieren. Zum Test gehört außer der Belastung auch die Analyse: Hinter der Ecke kommt ein Arbeitstisch für die visuelle Analyse zum Vorschein, danach der Flasher. Das ist ein einige Meter hoher Turm mit einem Tisch in der Mitte, auf dem die Module zur Leistungsmessung mit kurzen Blitzen befestigt werden. Die Isolationsmessung, die zeigen soll, ob man gefahrlos den Rahmen eines Moduls anfassen kann, ist Analyse und Stresstest in einem. Es gibt sie nämlich auch als Nass-Variante – das Modul liegt dabei im Wasserbad.
Besonders stolz ist Jäckel auf das eigens entwickelte Transportsystem im Testzentrum, das einmalig sei. Die Module werden auf einen Carrier-Rahmen gehoben und mit Klemmen festgeschraubt. Der äußerste Rahmen ist Aluminium und immer gleich groß, der innere Rahmen zur Modulbefestigung ist flexibel. So könne jedes Modul unabhängig von seiner Größe und egal, ob es ursprünglich gerahmt oder ungerahmt war, sicher zwischen den einzelnen Stationen hin- und hergefahren werden.
„Wir versuchen 20 bis 30 Jahre in die Zukunft zu blicken“, sagt Jäckel. Um das schwere Modul in die Klimakammer hineinzuhieven, muss ihm ein Kollege zu Hilfe kommen. Danach heißt es anschalten und erst einmal abwarten. In der Kammer herrschen 85 Grad Celsius und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit. Die Tropen sind nichts dagegen. Die widrigen Bedingungen beschleunigen chemische und physikalische Effekte und damit die Alterung. In der IEC-Norm sind 1.000 Stunden Alterung vorgesehen. Auch die anderen Tests entsprechen dem Standard.

Verkürzte Busbars von Vorteil

So musste sich auch die Hochleistungszelle erst bewähren, bei der die Busbars auf der Rückseite um 15 Millimeter verkürzt wurden. Im Prinzip ist der Vorteil klar: Im Modul werden die Zellen mit Lötpunkten auf Bändchen befestigt, jeweils an den Enden der rückseitigen Busbars. Die Bändchen bestehen oft aus verzinntem Kupfer, das sich bei Temperaturänderungen anders ausdehnt als die Silberpaste der Busbars und der Siliziumwafer. Je kürzer die Busbars sind, desto geringer sind die mechanischen Spannungen, die später bei den hohen Temperaturschwankungen entstehen, denen Module im Feld ausgesetzt sind.
Q-Cells baute also ein Testmodul, nach Aussagen von Michael Bauer mit „Materialien, die state of the art sind und die 90 Prozent aller Modulhersteller verwenden“, und mit den üblicherweise automatisierten Prozessen. Das Modul ging in den Stresstest, bei dem die Temperatur zyklisch vier Stunden lang alle 15 Minuten von 85 Grad auf minus 40 Grad gesenkt beziehungsweise erhöht wird. Danach kam die Analyse. Das Testteam untersucht die Zellen erst optisch, dann misst es die Leistung, und in diesem Fall kommt danach die Untersuchung per Elektrolumineszenz. Das Ergebnis habe den Erwartungen entsprochen, sagt Jäckel. „Man sieht weniger Risse, die von Lötproblemen ausgehen, als bei Zellen mit nicht verkürzten Busbars, und das ist gut für die Langzeitstabilität.“
Manche Belastungsprozeduren führt Jäckel härter durch, als es in der IEC-Norm festgeschrieben ist. So dauern Klimatests bei Q-Cells auch schon mal länger als die in der Norm vorgeschriebenen 1.000 Stunden. Feuchtigkeit und Temperatur beschleunigen die Alterung, so dass man im Prinzip 25 Jahre Lebensdauer simulieren kann. Wie stark die Beschleunigung ist, hängt aber von den physikalischen und chemischen Prozessen ab, die im Modul ablaufen und die man betrachtet. „Das Problem ist, dass in den Modulen auch Prozesse ablaufen, die nicht so gut bekannt sind, und über die muss man diskutieren.“ Sprich, unter Umständen muss man die Tests härter machen.
Einmal hat Jäckel ein Modul sogar rund 6.000 Stunden in die Klimakammer gesteckt, das ist fast ein Dreivierteljahr. „Die Zellen haben wir auch so nicht kaputt bekommen“, sagt er. Auch die Kontakte im Modul seien zu einem großen Teil noch in Ordnung gewesen. So hätten die Module noch die erforderliche Leistung gezeigt, obwohl die Plastikfolien, mit denen das Modul gekapselt war, nicht mehr gut aussahen. Ihre Lebensdauer schien als Erstes abzulaufen.
Allerdings hält sich Jäckel bedeckt, wenn es um die Diskussion der Aussagekraft der IEC-Normen geht. Manche Experten rechnen vor, dass statt der vorgeschriebenen 1.000 Stunden auch 4.000 oder gar anderthalb Jahre nötig sein können (siehe photovoltaik 02/2009).
So negativ schätzt Jäckel das Problem nicht ein. „Sowohl Module als auch Damp-Heat-Tests gibt es seit über 20 Jahren. Die Module, die damals gut waren, funktionieren immer noch“, sagt Bengt Jäckel. Vor allem ob jene 4.000 Stunden generell nötig sind, stellt er in Frage und plädiert eher für härtere interne Teststandards im Einzelfall. „Auch wenn Zellen nach dem IEC-Standard bestanden haben, kann der Kunde von guter Qualität ausgehen.“

Fehlende Dünnschichtstandards

Anders stellt sich die Diskussion über die Teststandards bei den Dünnschichtmodulen dar. Zu Q-Cells gehören auch Firmen, die die diversen Dünnschichttechnologien anbieten, wie zum Beispiel Solibro und Calyxo.
Dort werden auf großen Flächen gleich Module hergestellt, und die Unterscheidung Zell- und Modulhersteller ist aufgehoben. Bei den Dünnschichtmodulen existieren aber noch Lücken in der Standardisierung, zum Beispiel bei der Leistungsbestimmung. So ist bei den CIGS-Modulen auf Kupfer-Indium-Basis bekannt, dass ihre Leistung steigt, wenn sie vor der Messung der Sonne ausgesetzt waren (siehe photovoltaik 08/2008). Das wird im Testzentrum in Lichtschränken simuliert. In regelmäßigen Abständen wird die Leistung gemessen, „bis sie nicht mehr steigt und ein von uns gesetztes Stabilitätskriterium erreicht ist“, sagt Jäckel. „Dafür gibt es noch keine Norm.“
Bei besonders effizienten Modulen besteht eine weitere Schwierigkeit. Je höher die Leistung, desto höher ist die Hotspot-Gefahr, also dass bei Teilverschattungen Strom in Sperrrichtung durch die verschatteten Zellen fließt und diese zerstört. „Das ist ein physikalisches Prinzip“, da es mit der Energiedichte im Modul zusammenhänge, sagt Jäckel. Und das könnte besonders bei dem verbesserten Solibro-Modul SL1 relevant werden, das Q-Cells auf der PVSEC vorstellte, denn es hält mit zwölf Prozent laut Q-Cells den Weltrekord für den Flächenwirkungsgrad eines Moduls aus einer Serienfertigung. Bisher ist nach Einschätzung von Jäckel die Erforschung von Hotspots bei Dünnschicht von der Fachwelt stiefmütterlich behandelt worden.
Bengt Jäckel schließt das CIGS-Modul an, das sich für einen Hotspot-Test in einem der Lichtschränke befindet, und misst die Leistung. Sensoren und Infrarotkameras bestimmen für jeden Ort der Oberfläche die Temperatur des Moduls. „Wenn sie überall gleich ist, schatten wir Teile des Moduls für eine Stunde ab“, sagt Jäckel. Danach geht es zur Analyse, ob sich die Leistung verändert und ob das Modul noch sicher ist, so wie es die IEC-Norm fordert. Das Ergebnis sei in positivem Sinne langweilig gewesen. „Es ist perfekt gelaufen, wir haben überhaupt keine Veränderungen gesehen, und das Modul hat bestanden.“ Auch hier ist wieder Vertrauen nötig, um die Aussage richtig einzuschätzen.
Wie sorgfältig eine Firma ihre Produkte untersucht, steht nicht im Datenblatt, und Kunden müssen dem Zell- oder Modullieferanten vertrauen, dass er es richtig macht. Allerdings erlaubt auch im Falle von Q-Cells ein kurzer Pressebesuch im Testcenter keine fundierte Einschätzung. Dazu fragt man als Kunde am besten nach konkreten Messergebnissen. Trotzdem: Die Marketingkampagne ist nach einer weiteren Pressemitteilung im September ein Erfolg gewesen und der Bekanntheitsgrad der Marke hat sich seit Juni bereits verdoppelt.

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