Enervis: AKW-Weiterbetrieb energiewirtschaftlich notwendig

Teilen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat im koalitionsinternen Streit über den Weiterbetrieb der drei letzten AKW in Deutschland ein Machtwort gesprochen. Per Richtlinienkompetenz hat er entschieden, dass alle drei Kraftwerke über den Jahreswechsel bis zum 15. April 2023 am Netz bleiben sollen. Während beim Koalitionspartner FDP die Entscheidung auf Wohlwollen traf, zeigten sich die Grünen enttäuscht. „. Es ist bedauerlich, dass Olaf Scholz und die SPD offenbar bereit sind, das AKW Emsland in den Reservebetrieb zu nehmen, obwohl es sachlich und fachlich dafür keinen Grund gibt“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann. Gleichwohl will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen die Entscheidung von Scholz akzeptieren.

Die Analysten von Enervis begrüßten die Laufzeitverlängerung für die AKW Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis Mitte April 2023. „Aus energiewirtschaftlicher Sicht ist dies in Anbetracht der hohen Unsicherheit im Markt eine überfällige und notwendige Entscheidung.“ Nach Berechnungen der Analysten wird sich der Gasverbrauch in der Stromerzeugung dadurch um sechs Terawattstunden reduzieren bei einem Anstieg der Stromproduktion in den übrigen Kraftwerken um sieben Terawattstunden. Neben einem sinkenden Gasverbrauch nimmt die Abhängigkeit von Stromlieferungen aus dem Ausland ab und die Wahrscheinlichkeit von Knappheitssituationen ist deutlich geringer“, erklärte Mirko Schlossarczyk, Partner und Strommarktexperte der Enervis.

Weiterhin gehen die Analysten davon aus, dass durch den Weiterbetrieb der AKW nicht nur weniger Gas, sondern auch weniger Steinkohle verstromt wird. Damit würden im nächsten Jahr etwa drei Millionen Tonnen CO2 eingespart. Die Auswirkungen auf den Strompreis seien dagegen „relativ überschaubar“. Im Jahresmittel erwartet Enervis einen Rückgang des Großhandelspreisniveaus um lediglich 6 Euro pro Megawattstunde und damit von 2,5 Prozent.

BEE warnt vor Verdrängung der Erneuerbaren durch längere AKW-Laufzeiten

Beim Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) hat man Zweifel, ob die Entscheidung von Scholz so sinnvoll ist. „Der kurzfristig festgelegte Weiterbetrieb wird weder die Preis- noch die Versorgungskrise lösen. Er kann aber gerade in Norddeutschland dazu führen, Erneuerbare vom Markt zu drängen, sodass diese ihre preissenkende Wirkung nicht ausspielen können“, erklärte BEE-Präsidentin Simone Peter. Immerhin begrüßte sie, dass es ein klares Enddatum mit dem 15. April gebe und die Atomenergie somit in Deutschland „definitiv keine Zukunft mehr“ habe. Zugleich kritisierte sie, dass sich durch die Entscheidung die Marktsituation für die Erneuerbaren zumindest noch bis zum nächsten Frühjahr verschlechtere. AKW seien die am wenigsten flexiblen Anlagen zur Stromerzeugung. Ihr Hoch- und Runterfahren koste viel Zeit und Geld, so der BEE. Ein Überangebot an Strom führe deshalb dazu, dass nicht fossile oder atomare Kraftwerke, sondern die Erneuerbaren abgeregelt werden. „Alleine im Jahr 2021 wurden 5,8 Terawattstunden wertvoller Ökostrom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen abgeregelt, verbunden mit einem Millionenschaden. Diesen Zustand zu verlängern und damit gleichzeitig zur Senkung der Strompreise zu verschenken, macht in Zeiten der Kostenkrise in der Energieversorgung wenig Sinn“, so Peter weiter.

Photovoltaik und Windkraft hätten in den vergangenen Monaten gezeigt, dass Erneuerbare zuverlässig den Preis an der Strombörse senken. „Künftigen Krisen kann daher nur durch umfangreiche Investitionen in heimische Erneuerbare Energien für die Sektoren Strom, Wärme, Mobilität und Industrie vorgebaut werden“, so Peters Appell. „Für den weiteren und vor allem beschleunigten Ausbau ist es von zentraler Bedeutung, Genehmigungen zu beschleunigen, Flächen bereitzustellen, bürokratische Hindernisse zu beseitigen und Investitionen in die Zukunft zu sichern. Dabei sind gestiegene Zinsen und Lieferengpässe zu berücksichtigen.“

Anmerkung der Redaktion: Der Tweet von Bundeskanzler Olaf Scholz sowie das Statement des BEE sind nachträglich in den Artikel eingebaut worden.

Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.