Europa braucht 100 große Solarfabriken

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Bundeskanzler Olaf Scholz sagt auf die Frage nach der Energiewende in den Zeiten des Putin-Kriegs: „Jetzt erst recht“. Es soll jetzt also ganz schnell gehen mit der Energiewende. Nur wie?

Im ersten Vierteljahr 2022 wurde in Bayern kein einziges Windrad errichtet und nur ganz wenige im übrigen Deutschland. Und wer im Juni 2022 eine Solaranlage auf sein Dach montieren lassen will, bekommt von Handwerkern meist zu hören „Später vielleicht“. Wie also soll in dieser Situation eine rasche Energiewende gelingen?

Die wichtigsten erneuerbaren Energieträger sind Sonne und Wind. Dafür braucht es aber auch in der EU eigene Hersteller der Technologien, also Solarfabriken und Windradproduzenten. Und genau diese fehlen. Zur Zeit kommen 98 Prozent der in Deutschland installierten Photovoltaik-Anlagen aus China, einem Land mit totalitärer Führung, totaler Menschenrechts-Verachtung und dem größten Überwachungsstaat der Welt.

Die nächste Abhängigkeit

Hier lauert die nächste große Abhängigkeit. Statt Putins Gas und Öl künftig Solaranlagen aus China? Wenn die Energiewende in Europa zum Erfolg werden soll, oder gar „Jetzt erst recht“, dann müssen in der EU rasch mindestens 100 große Solarfabriken gebaut werden, hat der frühere Chef des Fraunhofer-Instituts für solare Energiesysteme, Professor Eicke Weber, ausgerechnet. Und viele Windrad-Hersteller brauchen neue Chancen.

Die EU muss dringend ihre erneuerbaren Energie-Hersteller stärken, was bislang sträflich versäumt wurde. Allein in Deutschland sind in den letzten 12 Jahren bei Sonne und Wind weit über 100.000 Arbeitsplätze nach China verloren gegangen. Für die letzten drei Bundesregierungen war der Erhalt der gestrigen Kohle-Jobs viel wichtiger als die Jobs bei den künftigen Energiequellen. Ein unglaublicher Skandal und eine ebenso grandiose wie ökonomische Dummheit.

Für Kohle-Jobs hat der Bundeskanzler soeben auf dem Katholikentag in Stuttgart noch warme Worte gefunden, Solar- und Wind-Jobs hat er nicht erwähnt.

Einige bekannte deutsche Windrad-Hersteller haben unter der weltweiten Billigkonkurrenz sehr zu kämpfen, ohne dass die Politik hilft. Das tut sie aber nach wie vor bei der Kohle. Dabei ist politisch nichts gefährlicher als nach der Abhängigkeit von Russland bei fossilen Energiequellen jetzt neue Abhängigkeit von China bei erneuerbaren Energien.

Die EU muss es jetzt endlich als Priorität begreifen, ihre Erneuerbare Energien-Industrie zu stärken. Dies gilt freilich auch für die Produktion von Batterien für E-Autos. Die erste große Batterie-Fabrik baut China in Thüringen. Muss das sein? Wir haben doch Bosch und Siemens. Doch noch heute werden Batterien überwiegend in Ostasien gefertigt.

Auch in der so wichtigen Halbleiterindustrie ist China führend. Die Aktien von Siemens-Energy fallen dramatisch und der norddeutsche Windrad-Hersteller Nordex muss in diesen Wochen seine Fertigung mit 500 Jobs in Rostock schließen. Für Atom und Kohle haben die deutschen Bundesregierungen in den letzten Jahrzehnten weit über 500 Milliarden Euro Steuergelder ausgegeben. Aber noch immer werden hierzulande die Technologien für die Zukunft vernachlässigt.

Deutschland muss endlich unabhängig werden

Jetzt aber müssen die EU und die 27 nationalen Regierungen in der EU dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien-Hersteller in der EU künftig weltweit eine zentrale Rolle spielen können. Dafür brauchen sie lediglich Anschub-Subventionen. Denn die erneuerbaren Energien sind heute unschlagbar preiswert, weil Sonne und Wind keine Rechnung schicken – während die alten  Energiequellen immer knapper und teurer werden. Deutschland und Europa müssen ihre erneuerbaren Energiequellen stärken, sonst spielen sie keine Rolle bei der so wichtigen künftigen Energie- und Klima-Außenpolitik. Dies ist die Überlebensfrage der Menschheit.

— Der Autor Franz Alt ist Journalist, Buchautor und Fernsehmoderator. Er wurde bekannt durch das ARD-Magazin „Report“, das er bis 1992 leitete und moderierte. Bis 2003 leitete er die Zukunftsredaktion „Zeitsprung“ im SWR, seit 1997 das Magazin „Querdenker“ und ab 2000 das Magazin „Grenzenlos“ in 3sat. Die Erstveröffentlichung des Beitrags erfolgte auf www.sonnenseite.com. —

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