Vorausschauendes Laden der Batteriespeicher kann Verluste durch 70-Prozent-Abregelung bei kleinen Photovoltaik-Anlagen auf nahezu null reduzieren

Teilen

 

Johannes Weniger arbeitet seit 2013 in der Forschungsgruppe Solarspeichersysteme der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählt die simulationsbasierte Analyse von Photovoltaik-Anlagen mit Speichersystemen, Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen. https://solar.htw-berlin.de

Foto: Johannes Weniger

pv magazine: An wie vielen Stunden im Jahr wird diese Begrenzung von 70 Prozent von den kleinen Photovoltaik-Anlagen durchschnittlich überschritten und wie viel des erzeugten Solarstroms geht damit real verloren, wenn man den Eigenverbrauch nicht berücksichtigt?

Johannes Weniger (Foto): Solange die Anlagenbetreiber noch kein intelligentes Messsystem eingebaut haben, können sie nach dem EEG 2021 auf diese sogenannte 70-Prozent-Regelung zurückgreifen. Entscheidend ist nicht, wie viele Stunden im Jahr eine Photovoltaik-Anlage mehr als 70 Prozent ihrer Nennleistung bereitstellt, sondern wie groß das „Kuchenstück“ oberhalb dieser Grenze ist. Je nach Standort können optimal nach Süden ausgerichtete Photovoltaik-Anlagen durch die 70-Prozent-Limitierung maximal 3 bis 6 Prozent des Energieertrags verlieren. Die Verluste hängen natürlich auch davon ab, wie groß der Wechselrichter im Verhältnis zur Photovoltaik-Anlage ist. Wenn das Verhältnis von Wechselrichterleistung zur Nennleistung der Photovoltaik-Anlage beispielsweise nur 80 Prozent beträgt, sind die Ertragsverluste durch die 70-Prozent-Begrenzung logischerweise geringer. Gleiches gilt auch für Photovoltaik-Anlagen, die auf östlich oder westlich ausgerichteten Dächern installiert sind.

Nun setzen aber viele Haushalte verstärkt auf Eigenverbrauch und viele installieren auch einen Speicher zu ihrer Photovoltaik-Anlage. Wie wirkt sich das auf die Mengen aus, die durch die 70-Prozent-Regelung verloren gehen?

Wird nicht die Leistungsabgabe des Wechselrichters fix auf 70 Prozent begrenzt, sondern lediglich die Einspeiseleistung unter Berücksichtigung des Stromverbrauchs im Haus können die klassischen Stromverbraucher die Abregelungsverluste reduzieren. Um wie viel Prozent, hängt stark davon ab, wie groß die Photovoltaik-Anlage ist und wie viel Strom tagsüber verbraucht wird. Beispielsweise sinken die Abregelungsverluste einer 10-Kilowatt-Anlage in einem Einfamilienhaus mit einem jährlichen Stromverbrauch von rund 5000 Kilowattstunden durch den Eigenverbrauch um 1,4 Prozentpunkte. Ist die Photovoltaik-Anlage doppelt so groß, kann der Eigenverbrauch die Verluste nur um 0,9 Prozentpunkte reduzieren. Das setzt allerdings auch voraus, dass ein Leistungssensor am Netzanschlusspunkt dem Wechselrichter aktuelle Messwerte bereitstellt. Wenn regelbare Verbraucher, wie zum Beispiel Heizstäbe, gezielt die Solarstromspitzen abfangen, ist natürlich noch mehr drin.

Und wie groß ist der Beitrag des Batteriespeichers?

Der Beitrag eines Batteriespeichers zur Reduktion der Abregelungsverluste hängt maßgeblich von dessen Fahrweise ab. Lädt der Batteriespeicher am Vormittag schnellstmöglich, ist er an sonnigen Tagen zur Mittagszeit bereits vollständig geladen. Folglich kann er auch nicht mehr die solaren Erzeugungsspitzen glätten. Der Batteriespeicher reduziert die Abregelungsverluste aufgrund der 70-Prozent-Einspeisegrenze somit nur wenig.

Was wäre die bessere Alternative?

Ganz anders sieht es aus, wenn der Speicher auf Basis von lokalen Erzeugungs- und Verbrauchsprognosen vorausschauend lädt. Prognosebasierte Betriebsstrategien verschieben die Batterieladung gezielt in Zeiten hoher Solarleistung. In unseren Berechnungen sehen wir, dass der vorausschauende Speichereinsatz die Verluste der 70-Prozent-Grenze fast auf null reduzieren kann. Voraussetzung hierfür: Der Batteriespeicher muss abends und nachts mindestens so viel Energie abgeben, wie er zur Kappung der Erzeugungsspitze am nächsten Tag aufnehmen muss. In Produktbroschüren werben Hersteller oft mit prognosebasierten Batterieladestrategien. Die Qualität eines prognosebasierten Energiemanagements hängt jedoch auch davon ab, wie agil es auf Prognosefehler reagiert und variiert somit je nach Speichersystem.

Das sind relativ geringe Mengen. Wäre es vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise und des Klimawandels trotzdem sinnvoll, diese Regelung aus dem EEG zu streichen oder es den jeweiligen Netzbetreibern freizustellen, von dieser Abregelung Gebrauch zu machen, wenn es in ihrem Netzgebiet notwendig ist? Oder sehen Sie zwingende Gründe, warum diese Regelung beibehalten werden sollte?

Über die Sinnhaftigkeit dieser Regelung lässt sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln philosophieren. Jede Photovoltaik-Anlage, die wir heute installieren, wird voraussichtlich auch noch Mitte der vierziger Jahre am Netz sein. Wenn wir bis dahin über 400 Gigawatt Photovoltaik-Leistung in Deutschland in das Energiesystem integrieren wollen, kommen wir nicht darum herum, die solaren Erzeugungsspitzen dezentral abzufangen. Da ist jede Maßnahme, die die kumulierte Einspeiseleistung in einem Niederspannungsnetz reduziert, zu begrüßen. Der Mehrwert der 70-Prozent-Regelung ist jedoch aufgrund von räumlichen Ausgleichseffekten insbesondere an wechselnd bewölkten Tagen vergleichsweise gering. Und auch an sonnigen Sommertagen sollte man die Hebelwirkung der 70-Prozent-Regelung nicht überschätzen. Hinzu kommt: Netzbetreiber berücksichtigen bisher in der Netzverträglichkeitsprüfung häufig auch gar nicht, ob die 70-Prozent-Regelung in Anspruch genommen wird oder nicht. Aus Sicht der Anlagenplaner und -betreiber sieht das natürlich anders aus. Zum einen erhöht die 70-Prozent-Regelung den Beratungsaufwand. Zum anderen kann die Umsetzung der dynamischen 70-Prozent-Begrenzung der Einspeiseleistung unter Berücksichtigung des Eigenverbrauchs aufwendiger als gedacht ausfallen. Wenn die Photovoltaik-Anlage auf einem Nebengebäude mit einer größeren Entfernung zum Netzanschlusspunkt errichtet wird, übersteigen die Kosten für die kommunikative Einbindung des Wechselrichters schnell den Nutzen der dynamischen Begrenzung der Einspeiseleistung. Dafür sind auch die geringen Einspeisevergütungssätze verantwortlich.

Kann es sein, dass es zu Lasten der Lebensdauer der Anlage geht, wenn der Wechselrichter die 70 Prozent nicht dynamisch abregelt, sondern einfach kleiner dimensioniert wird?

Eine höhere Auslastung kann höhere Betriebstemperaturen und damit eine schnellere Alterung der Leistungselektronik hervorrufen. Soweit die Theorie. In der Praxis hängt das auch davon ab, wie sich der Produktpalette eines Wechselrichterherstellers zusammensetzt. Wechselrichter innerhalb einer Produktreihe bauen oft auf der identischen Hardware auf und die unterschiedlichen Nennleistungen ergeben sich lediglich durch unterschiedliche Einstellungen in der Software. Oder anders formuliert: Unter der Haube eines Wechselrichters, der laut Datenblatt eine Nennleistung von 7 Kilowatt hat, kann sich auch ein 10-Kilowatt-Gerät verstecken. Beträgt die Nennleistung der Photovoltaik-Module beispielsweise 10 Kilowatt, werden die verbauten leistungselektronischen Komponenten bei beiden Wechselrichtern ähnlich stark belastet. In diesem Fall wäre die Wahl des kleineren Wechselrichters nicht nachteilig.

Mit dem EEG 2021 ist ja auch der Eigenverbrauch für Anlagen bis 30 Kilowatt Leistung von der EEG-Umlage befreit und ab Juli soll sie eh komplett gestrichen werden. Ist denn festzustellen, dass die Regelung vielleicht zu einem stärkeren Zubau im Segment der Dachanlagen zwischen 25 und 30 Kilowatt geführt hat und auch in Zukunft dazu führt, dass Hausbesitzer ihre Dächer eher voll mit Solarmodulen belegen?

Erfreulich ist erst einmal, dass immer mehr Anlagenbetreiber nicht bei 10 Kilowatt Halt machen und deutlich mehr Leistung auf ihren Dächern installieren lassen. Das bestätigen auch die Registrierungen im Marktstammdatenregister für das Jahr 2021, die wir an der HTW Berlin im Rahmen der Stromspeicher-Inspektion 2022 ausgewertet haben. Die Meldedaten machen allerdings auch die Anfang 2021 neu eingeführte 25-Kilowatt-Schwelle für die 70-Prozent-Regelung sichtbar. Im Marktsegment zwischen 20 Kilowatt und 30 Kilowatt fällt besonders ins Auge, dass auffällig viele Anlagen eine Nennleistung knapp unter 25 Kilowatt oder knapp unter 30 Kilowatt haben. Hier kommen die ausbauhemmenden Effekte der beiden Regelungen zum Vorschein. Für einen forcierten Ausbau der kleinen Dachanlagen muss die Anzahl der bürokratischen Schranken nach dem Motto „freie Fahrt für Photovoltaik-Anlagen bis 30 Kilowatt“ weiter reduziert werden. Schließlich können wir es uns nicht leisten, geeignete Dächer gar nicht oder nur teilweise mit Solarmodulen zu belegen.

Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.