Ganz schön grün hinter den Ohren

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Ganz schön grün hinter den Ohren – Das ist zumindest der Eindruck, der sich breit macht, wenn man kurz darüber nachdenkt, dass wichtige Entscheider beim Thema Grüner Wasserstoff unser nationales Versorgungsproblem über die Klippe des europäischen Festlands auf den afrikanischen Kontinent schieben. Dort, in den heißen, sonnenreichen Regionen, sollen gewaltige Anlagen entstehen, die den künftigen Wasserstoff-Bedarf Deutschlands decken. Zusammengefasst: Eine Reproduktion bestehender Abhängigkeitsmuster.

Denn Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Seit jeher sind wir auf Importe angewiesen. Mittlerweile importieren wir mehr als zwei Drittel unseres Primärenergiebedarfs an fossilen Energieträgern. Doch das Zeitalter der fossilen Rohstoffe neigt sich dem Ende. Gleichzeitig öffnen sich die Tore eines neuen Zeitalters und einer neuen Rohstoffquelle: des Wasserstoffs – die Importabhängigkeit Deutschlands jedoch, bleibt bestehen und daraus entstehen Probleme.

Wasserstoff kommt bereits jetzt in vielen Industriebereichen zum Einsatz. Das künftige Potenzial dieses Energieträgers ist dabei unwahrscheinlich hoch. Aktuelle Szenarien zeigen, dass ein treibhausgasneutrales, durch Wasserstoff betriebenes Energie- und Industriesystem der Zukunft, vor allem zur Deckung des Endenergiebedarfs in Industrie, Verkehr und außerdem als Ausgangsmaterial für die chemische Industrie dienen kann. Hinzu kommt, dass die Möglichkeiten mit einem klimaneutralen grünen Wasserstoff die CO2-Emissionen dieser Herstellungsprozesse drastisch zu reduzieren, enorm ist.

Die Krux: Wasserstoff herzustellen, ist energieintensiv. Die Aufspaltung von Wasser in seine Moleküle Sauerstoff und Wasserstoff braucht Strom und das nicht zu knapp. Um klimafreundlichen grünen Wasserstoff herzustellen, wird zudem sauberer Strom aus Erneuerbaren benötigt und der ist bis dato noch lange nicht in dem Maße verfügbar, wie es perspektivisch notwendig wäre.

Eins steht fest: Die Verwendung von Wasserstoff ist für das Erreichen der deutschen und europäischen Klimaziele ein unverzichtbarer Schlüsselfaktor. Für die Dekarbonisierung etwaiger Industriebereiche und auch des Verkehrs, birgt der Einsatz von Wasserstoff ein enormes Potenzial. Doch der Weg zur Wasserstoffwirtschaft und dazu zu einer grünen, ist mehr ein Hürdenlauf als ein 50 Meter Sprint und die Goldmedaille soll ausgerechnet im Hochsprung erkämpft werden. Doch, mit nur einem Anlauf in zwei Disziplinen Siege einzuheimsen, gelingt niemanden. Trotz allem wird genau das versucht.

Aber zwei Schritte zurück: Die Bundesregierung veröffentliche im Sommer letzten Jahres ihre Nationale Wasserstoffstrategie. Vollkommen richtig wird erläutert, dass Wasserstoff, insbesondere grüner Wasserstoff, für die Erreichung der ambitionierten europäischen Klimaziele unerlässlich ist. Ausdrücklich aufmerksam wird darauf gemacht, dass eine starke inländische Wasserstoffproduktion und -Verwendung unverzichtbar ist. Im gleichen Atemzug wird jedoch erörtert, dass, um den zukünftigen Bedarf decken zu können, der überwiegende Teil der Wasserstoffnachfrage importiert werden muss.

Na gut. Beim Öl, beim Gas und auch bei der Kohle lässt sich nachvollziehen, dass das Fehlen der entsprechenden Rohstoffquellen im deutschen Bundesgebiet, einen Import unverzichtbar machen. Aber warum genau muss das beim Wasserstoff jetzt so weitergehen?

Prinzipiell muss es das nicht. Zumindest nicht in dem Maße, wie es derzeit von Politik, Wirtschaft und insbesondere der Rohstoffindustrie gefordert wird. Gewiss, was die Sonnenstunden angeht schneidet Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern auf der Welt eher bescheiden ab und auch was Off- und Onshore-Windanlagen betrifft, gibt es nunmal klimatisch besser gelegenere Orte. Sich deswegen aber der Herausforderung zu entziehen den raschen Aufbau einer notwendigen Infrastruktur für Erneuerbare stärker zu forcieren, um schneller größere Mengen an Grünem Wasserstoff produzieren zu können, ist der falsche Weg. Mit jedem neuen Partner, mit jedem Zwischenschritt und mit jedem Kilometer mehr an Pipeline, wird der Umstieg auf Wasserstoff zunehmend komplexer und teurer und reduziert auch nicht die CO2-Emissionen – im Gegenteil.

Hier sind wir wieder an dem Punkt, an dem zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden sollen. Doch das ist zu einfach gedacht. Mit nur einer Maßnahme, nämlich grünen Wasserstoff aus Nordafrika, Saudi-Arabien oder gar Australien (ja, selbst mit dem weit entferntesten Kontinent werden Kooperationen ausgehandelt) zu importieren, zwei Ziele zu erreichen, nämlich erstens den eigenen Bedarf an Wasserstoff klimaneutral und kostengünstig zu decken und zweitens einem rascheren Ausbau erneuerbarer Energien zu entkommen, wäre ein netter Taschenspielertrick, geht aber nicht auf und darf auch nicht aufgehen.

Denn auch hierzulande gibt es Unternehmen, die davon überzeugt sind, dass Europa und auch Deutschland die Mengen an grünem Wasserstoff selbst herstellen kann, die es braucht, um eine Abhängigkeit abzuwenden und den ohnehin benötigten Import auf ein Minimum zu beschränken. Diese Unternehmen stellen bereits heute die richtigen Weiche, um den Großteil der künftig benötigten Mengen an grünem Wasserstoff in Europa herzustellen. Genügend Beispiele auf der Welt zeigen, dass Abhängigkeiten immer mit Unsicherheiten verbunden sind. Das belegen nicht zuletzt die benötigten Kobaltvorkommen im krisenbehafteten Kongo, sondern auch neu aufflammende Krisenherde im lithiumreichen Bolivien. Wir Europäer dürfen unsere Probleme nicht outsourcen, sondern müssen konsequent den Ausbau erneuerbarer Energien und damit auch die Produktion von grünem Wasserstoff in unseren Ländern vorantreiben.

Die angestrebte Vorgehensweise der Bundesregierung schiebt unsere Probleme nur auf die lange Bank und eröffnet vermeidbare Zielkonflikte. Möglichst günstig an grünen Wasserstoff von außerhalb zu gelangen und uns nur allmählich um den Ausbau der Erneuerbaren zu kümmern, konterkariert eine engagierte und ernst gemeinte Strategie, die darauf abzielt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Gleichzeitig werden dadurch Anforderungen an die afrikanischen Staaten geschaffen, unseren, den europäischen Klimaschutz zu realisieren. Doch diese Staaten haben mit eigenen Problemen zu kämpfen. Neben politischen Unruhen, wirtschaftlichen Unsicherheiten und humanitären Notlagen, fehlt für die Herstellung der notwendigen Mengen an grünem Wasserstoff auch das Wasser und nicht wenige Regionen in Afrika leiden an Wasserknappheit. Das verdeutlicht ein weiteres Mal den genannten Hürdenlauf: Obwohl der Wasserbedarf gering ist, gibt es im Gas- und Ölsektor viele Beispiele, bei denen die lokale Regierung die Interessen der Bevölkerung nicht berücksichtigt hat. Ganze Gebiete und Dörfer sind als Folge ausgetrocknet. Da bleibt nur zu hoffen, dass falls sich eine Wasserstoffproduktion außerhalb von Europa etabliert und das wird sie wohl unweigerlich, dass sich diese grundlegend von der Ölproduktion unterscheidet.

Afrika ist für Europa zukünftig eine wichtige Stütze. Aus Sicht Deutschlands werden sich etwaige Kooperationen in der Wasserstoffbranche weder verhindern lassen, noch wäre es sinnvoll, sich dieser Möglichkeit gänzlich zu verschließen. Aber umgekehrt soll auch Europa für Afrika eine Stütze sein und muss anfangen, dort Lösungen für die Probleme zu finden, die uns auf diesem Kontinent betreffen – nämlich hier.

Das Problem, das wir Europäer versuchen abzuwehren, kann sonst im schlimmsten Fall zum Startschuss weiterer Probleme werden. Für uns und für Afrika. Zurecht muss man sich an dieser Stelle die Fragen stellen, ob man das erstens verantworten kann und ob man sich zweitens, ein weiteres Mal in eine Abhängigkeit begibt. Die richtigen Antworten zu finden, ist Sache der Politik. Der Welt zu zeigen, dass Europa auch auf eigenen Beinen stehen kann, ist Aufgabe ambitionierter und innovativer Unternehmen, die ohne langes Zögern die Sache in die Hand nehmen.

So lässt sich nur hoffen, dass alle Beteiligten sich nicht mehr dementsprechend verhalten, als wären sie gänzlich grün hinter den Ohren.

— Der Autor Luc Grare ist seit mehr als zehn Jahren im Bereich der erneuerbaren Energien tätig. Derzeit leitet er das internationale Geschäft bei Lhyfe, einem führenden europäischen Hersteller von grünem Wasserstoff. Zuvor war er als Vice President Sales & Marketing bei NEL tätig sowie bei norwegischen Solarhersteller REC als Global Senior Vice President Sales und Marketing tätig. Luc Grare ist aktives Mitglied im Impact Hub der Renewable Hydrogen Coalition und am Runden Tisch Wasserstoffproduktion der European Clean Hydrogen Alliance. —

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