Kabel statt Rohre: Erstes hochgradig energieautarkes Mehrfamilienhaus mit Pauschalmiete und Energieflatrate in Sachsen

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Die Bauwirtschaft befindet sich in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten. Inflation, Gaskrise, das sogenannte Heizungsgesetz sowie hohe Grundstücks- und Baupreise sorgen für eine anhaltende Zurückhaltung beim Bauen. Die aktuelle Bauflaute einfach auszusitzen, kommt für Matthias und Thomas Schur, Geschäftsführer der Siegfried Schur Baubetrieb GmbH im sächsischen Boxberg, allerdings nicht in Frage. Immerhin sind die beiden für 120 Mitarbeiter verantwortlich und sie wollen auch in einem sich fundamental wandelnden Umfeld noch bezahlbares Wohnen ermöglichen. Denn auch für Mieter hat sich die Lage verschärft: Die hohen Nebenkosten sind zur zweiten Miete geworden. „Da muss es doch etwas Neues geben, mit dem wir uns von dem Gängigen lösen können“, sagten sie sich und baten ihren Energieberater um Rat. Der kannte bereits das Konzept der hochgradig energieautarken Mehrfamilienhäuser, das der Freiberger Energieexperte Prof. Dipl.-Ing. Timo Leukefeld entwickelt hat. Für Bauunternehmen und Bewohner bietet es gleichermaßen diverse Vorteile. Der größte davon ist die Pauschalmiete mit Energieflatrate, die dank großer Photovoltaikanlagen, Stromspeicher, Autarkieboiler und Infrarotheizungen möglich ist. In Niesky im Landkreis Görlitz bauen Matthias und Thomas Schur nun das sachsenweit erste Mehrfamilienhaus mit diesem innovativen Energiekonzept. Grundsteinlegung ist am 13. Juni 2024. Im März kommenden Jahres soll das Gebäude mit 12 Wohnungen bezugsfertig sein.

Hochkarätige Gäste zur Grundsteinlegung am 13. Juni 2024 erwartet

Das Bauvorhaben ist nicht nur für die Firma Schur ein Meilenstein, sondern auch ein Leuchtturmprojekt für das Land Sachsen. Zur Grundsteinlegung werden deshalb hochrangige Gäste erwartet: die Staatssekretärin des Sächsischen Staatsministeriums für Regionalentwicklung, Barbara Meyer, Dezernent Thomas Rublack vom Landratsamt Görlitz sowie die Oberbürgermeisterin von Niesky, Kathrin Uhlemann. Sie werden Reden halten ebenso wie Prof. Dipl.-Ing. Timo Leukefeld, der Planer des Energiekonzeptes, und Bauherr Matthias Schur.

Offen für Innovation

1990 gründete ihr Vater Siegfried den Familienbetrieb, damals mit zwei Mitarbeitern. Matthias ist seit 1994 im Unternehmen und hat zusammen mit seinem Bruder Thomas seit 2004 die Geschäftsleitung inne. Sie bieten Hochbau und Sanierungen an, ein Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit ist die Fassadensanierung. In den 34 Jahren haben sie schon viele Veränderungen im Bauwesen erlebt und Erfahrungen mit diversen Heizsystemen gesammelt.

Matthias Schur erzählt: „Erst war Erdgas das Tollste. Es war billig und die Anlagen einfach zu bauen. Dann wurde es verteufelt. Wir wollten mit der Zeit gehen und Fernwärme nutzen, aber da konnten wir nicht von günstigen Energiepreisen durch langfristige Lieferverträge profitieren, wie wir sie für Erdgas hatten. Dann kamen Wärmepumpen, die haben wir auch schon früh in einem Mehrfamilienhaus eingebaut. Aber nachdem wir vier Monate auf ein Ersatzteil warten mussten und dieses Gebäude im Betrieb das teuerste ist, ist es keine optimale Lösung für uns.“ Nun sind sie wieder Vorreiter und setzen bei ihrem Neubau auf Infrarotheizungen und ein komplett elektrisches Energieversorgungskonzept für Wärme, Strom und Mobilität. Kabel statt Rohre, lautet das Motto.

Stromdirektheizungen als technische Heizoption im Gebäudeenergiegesetz

Elektrisch betriebene Infrarotheizungen sind schon seit rund 30 Jahren im Markt, vielen sind sie als Zusatzheizung in wenig genutzten Räumen bekannt. Durch die veränderten Rahmenbedingungen wie bessere Dämmstandards und mehr erneuerbare Energien im Stromnetz etablieren sie sich seit ein paar Jahren immer stärker als Hauptheizung in Gebäuden. Dies zeigt sich auch in dem zum 1. Januar dieses Jahres geänderten Gebäudeenergiegesetz (GEG), das umgangssprachlich als Heizungsgesetz bezeichnet wird. Darin sind Stromdirektheizungen, zu denen Infrarotheizungen zählen, eine technische Option, um mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien zu heizen. Dies fordert der Gesetzgeber im Sinne der Energiewende und des Klimaschutzes.

Leukefeld, der seit 30 Jahren in der Energiebranche tätig ist, setzt seit etwa fünf Jahren auf hocheffiziente Infrarotheizungen und begründet dies wie folgt: „Infrarotheizgeräte sind in den Anschaffungs- und Folgekosten günstig, sie sind einfach und schnell zu installieren sowie wartungsfrei, was bei dem Handwerkermangel ein großer Vorteil ist. Es sind keine aufwändigen Leitungen nötig und sie halten drei Jahrzehnte.“ Nicht zu vergessen die angenehme Strahlungswärme, die an die Wärme von Kachelöfen erinnert, und die bei Bedarf innerhalb weniger Minuten zur Verfügung gestellt wird, ergänzt er. Auch die Luftqualität ist besser, da Infrarotheizungen keinen Staub aufwirbeln.

Der international bekannte Energieexperte kombiniert sie mit großen Photovoltaikanlagen, einem Stromspeicher für die Zwischenspeicherung des Solarstroms, der gerade nicht im Haus verwendet werden kann, und Autarkie-Boilern für die dezentrale Warmwasserbereitung. So lassen sich Autarkiegrade in der Energieversorgung von 50 Prozent und deutlich darüber erreichen.

Heizen verliert an Bedeutung

Generell ist Leukefeld davon überzeugt, dass das Thema Heizen an Bedeutung verlieren wird, da die Winter durch den Klimawandel milder und die Gebäudehüllen immer besser werden. Das Autarkie-Konzept überzeugte die Brüder Schur, zumal sie durch die Pauschalmiete, die sich so erreichen lässt, auch deutlich weniger Aufwand für die jährlichen Nebenkostenabrechnungen haben werden.

Mit dem Neubau in Niesky schließen sie eine Baulücke. Dort wo vorher eine alte Gastwirtschaft stand, war im März dieses Jahres Baubeginn für ein modernes Mehrfamilienhaus mit 12 Mietwohnungen mit jeweils drei Zimmern. Etwa 1.100 Quadratmeter beheizte Fläche auf drei Etagen wird das Gebäude haben. Ausgestattet mit einer sehr guten Hülle, soll der Energiebedarf für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom bei nur 28,9 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr liegen, hat Timo Leukefeld errechnet.

Auf dem Dach ist eine Photovoltaikanlage mit 134 Kilowatt Leistung geplant. Sie wird einen Großteil des Stroms für die Infrarotheizungen in allen Wohnungen, Warmwasserbereitung sowie den Haushalts- und Technikstrom erzeugen. In der Tiefgarage ist für jede Mietpartei eine Ladeeinrichtung für Elektrofahrzeuge vorgesehen, so dass, wer will, auch mit Solarstrom Auto fahren kann.

Pauschalmiete mit Energieflat dank solarem Energiekonzept mit Infrarotheizungen

Durch die große Menge an kostengünstigem Solarstrom und einen solaren Anteil von etwa 55 Prozent in der Energieversorgung reduzieren sich die Energiekosten und sie sind langfristig planbar. Der restliche Netzbezug für 12 Wohneinheiten wird bei nur etwa 41.000 Kilowattstunden liegen. Das wiederum macht die Pauschalmiete inklusive der Energiekosten möglich. „Der Mietpreis in unserem hochgradig energieautarken Haus wird mit der Summe aus der Kaltmiete und den Nebenkosten wie Wasser-, Abwasser- und Stromkosten in anderen Neubauten definitiv vergleichbar sein, weil wir die Energie günstiger als Energieversorgungsunternehmen erzeugen können. Und dies auf mehrere Jahre fest“, sagt Matthias Schur. Pro Wohnung rechnet er für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom mit 60 bis 70 Euro Restenergiekosten im Monat.

Große Nachfrage nach modernem, bezahlbarem Wohnraum

Noch kaum beworben, ist die Nachfrage jetzt schon hoch, erzählt er zufrieden. Zum Beispiel von älteren Paaren, die vom eigenen Haus in eine komfortable kleinere Wohnung ziehen und planbare Kosten für die nächsten Jahre haben wollen. Oder auch von umweltbewussten jungen Familien, die in einer modernen Wohnung mit entsprechendem Energiekonzept leben wollen. Das bekommen sie in Niesky, denn durch den hohen Solaranteil und Ökostrom für den restlichen Strombedarf ist die Energieversorgung CO2-frei und damit ein Beitrag zum Klimaschutz.

Die beiden Geschäftsführer sind jetzt schon sicher, dass es nicht das letzte Gebäude mit dem Energieautarkie-Konzept sein wird. Sie sparen sich künftig viel Zeit für die Nebenkostenabrechnungen, tragen zum Klimaschutz bei und sie wissen, dass das enttechnisierte Bau- und Energiekonzept auch bei Wohnungsgenossenschaften und anderen Kunden auf Interesse stoßen wird, zumal viele aufgrund Personalmangels die Technik in Gebäuden, wo möglich, schon heruntergefahren haben. Die aktuelle Bauflaute macht den Brüdern Schur deshalb keine Angst. Sie sind bereit für Innovation und sehen große Chancen in dem neuen Bau- und Energiekonzept für hochgradig energieautarke Gebäude.