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Ein Berliner Vorgarten im Sommer: Limo, Kuchen und Gespräche über Energiewende, BGH-Urteile und ein Solarmodul, das im Garten die Pumpe eines Kinderpools antreibt. Eigentlich nur installiert, um einmal aus Neugier den Anmeldeprozess zu testen. Schnell wird klar: Hier ist man im Herzen der Berliner Energieszene angelangt. Man wartet auf den Staatssekretär der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, Severin Fischer, denn es gibt Grund zu feiern.
Die Eigentümergemeinschaft des Mehrfamilienhauses weiht an diesem Tag ihre Photovoltaikanlage für die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (GGV) ein. Das ist doppelt interessant: Zum einen gilt das Modell als Ergänzung zum Mieterstrom und könnte weiteres Potenzial für Photovoltaik auf Mehrfamilienhäusern erschließen. Zum anderen kommt hier nach Aussagen der Projektbeteiligten erstmals ein virtuelles Summenzählermodell zum Einsatz.
Mieterstrom und die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung ermöglichen die direkte Nutzung von Solarstrom im Gebäude, unterscheiden sich jedoch deutlich. Beim Mieterstrom liefert der Anlagenbetreiber den vollständigen Strombedarf, also sowohl Solarstrom vom Dach als auch Reststrom aus dem Netz. Das erfordert die Einhaltung aller gängigen Lieferantenpflichten, der zusätzliche Aufwand wird mit einem Mieterstromzuschlag gefördert. Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung beschränkt sich hingegen auf die Lieferung des Solarstroms, während jeder Teilnehmer seinen Reststrom individuell bezieht. Damit entfallen für den Anlagenbetreiber die Lieferantenpflichten und die Teilnehmer behalten Wahlfreiheit für den Reststromlieferanten. Daher gibt es aber auch keine zusätzliche Förderung.
Seit etwa einem Jahr ist das Instrument der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung anwendbar, doch bis zur Umsetzung haben es bisher nur wenige Projekte geschafft. Das liegt auch an dem hohen Abstimmungsaufwand zwischen dem Betreiber, Abrechnungsdienstleister und Netzbetreiber. Grund genug, das Projekt in Berlin näher zu betrachten.
Erstes Projekt in Berlin
Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Neubau einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Markus Meyer, Leiter Regulierung und Energiepolitik bei Enpal, ist selbst Miteigentümer in dem Projekt und brachte die Idee schon beim Hausbau vor sieben Jahren ins Spiel. Während der Coronazeit legte er eine Wirtschaftlichkeitsberechnung für Volleinspeisung vor. Mieterstrom kam für die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht in Frage, vor allem wegen der langen Vertragslaufzeit bei der Bindung an einen Reststromlieferanten. Meyer ahnte jedoch, dass ein Modell im Sinne der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung irgendwann kommen würde. Der Plan war also, die Anlage erst mal zu bauen und später umzustellen, wenn sich die Möglichkeit dazu ergeben würde. Alle neun Eigentümer beteiligten sich ohne Fremdkapital an der 14,2-Kilowatt-Anlage. Das war vor drei Jahren.
Jetzt im Sommer 2025 der Wechsel in die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung. Das erfordert einen Summenzähler, der sowohl Netzbezug als auch Einspeisung erfasst. In klassischen Modellen wird er physisch verbaut, mit dem Nachteil, dass bei einer Änderung der teilnehmenden Parteien Umbauten nötig werden, die nicht selten mehrere tausend Euro kosten. In diesem Fall hat der grundzuständige Messstellenbetreiber Stromnetz Berlin einen virtuellen Summenzähler umgesetzt. Seit Mai 2023 sind sie dem physischen Summenzähler gleichgestellt. Das Konzept nutzt die Viertelstunden-Messwerte der einzelnen Zähler in der Kundenanlage, um den Solarstromverbrauch der einzelnen Wohneinheiten zu bilanzieren, so dass keine aufwendigen Umbauten nötig sind. Das geht allerdings nur, wenn die Wohnparteien intelligente Messsysteme haben. In diesem Fall sind diese Pflichteinbaufall, so dass die Einbaukosten für die intelligenten Messsysteme nicht über der gesetzlich festgelegten Grenze liegen.
Dafür, wie der Solarstrom verteilt und damit abgerechnet wird, sind verschiedene Modelle denkbar. „Natürlich gab es Diskussionen: Wer verbraucht wie viel Strom? Einer ist viel im Homeoffice, der andere ständig auf Dienstreise“, sagt Meyer. „Wir haben uns für einen dynamischen Schlüssel entschieden: Jeder bekommt einen festen Sockelanteil, der Rest wird nach ‚first come, first serve‘ verteilt.“

Grafik: pv magazine/Harald Schütt
So einen Schlüssel umzusetzen, von dem die Rechnungshöhen der Versorger und der internen Abrechnung des Solarstroms abhängen, erfordert einen enorm hohen Abstimmungsaufwand mit dem Messstellenbetreiber. Aus diesem Grund wird die Verteilung im Objekt von dem Unternehmen Decarbonize umgesetzt. „Wir nehmen Viertelstundenwerte aus den intelligenten Messsystemen und ordnen den Verbrauch der Solarerzeugung oder dem Netzbezug zu. So weiß jede Wohnung genau, wie viel Solarstrom sie verbraucht, wie viel ins Netz ging und wie viel zusätzlich aus dem Netz bezogen wurde“, sagt Arwen Colell, Mitgründerin und CPO von Decarbonize. Im Summenlastgang des Lokationsbündels müssen Nichtteilnehmer nicht manuell herausbilanziert werden.
Viele Spielarten der Gebäudeversorgung

Cover: pv magazine
Für Stromnetz Berlin ist das Projekt ein Pilot. Man teste mehrere Varianten, um Erfahrungen mit unterschiedlichen Umsetzungen zu sammeln. „Es wird nicht die eine gemeinschaftliche Gebäudeversorgung geben, sondern viele Spielarten“, sagt Kerstin Niemeier, Leiterin Kundengeschäft. Auf dem Weg vom Vorgarten zur Tiefgarage, wo der Zählerschrank ist, erklärt sie, dass Stromnetze Berlin gleichzeitig auch die Umsetzung mit einem eigenen Tool zur Energiemengenberechnung pilotiere. Zudem setzt der Verteilnetzbetreiber auch ein Projekt in Zusammenarbeit mit einem wettbewerblichen Messstellenbetreiber um. Man wolle gut vorbereitet sein auf die Energiewende und Erfahrungen in all diesen Bereichen sammeln, um den „Spielarten“, die die Kunden wünschen, gerecht zu werden.
Nicht alle Netzbetreiber haben die Kapazitäten, um zu testen und zu pilotieren. Stromnetze Berlin ist ein größerer Netzbetreiber und gehört seit der Rekommunalisierung 2021 vollständig dem Land Berlin. Staatssekretär Fischer, der auch Aufsichtsratsvorsitzender des Netzbetreibers ist, betont, Ziel sei es, einen digitalen und innovativen Verteilnetzbetreiber, der in Ausbau und Modernisierung investiert, aufzubauen. Dass sich Stromnetze Berlin an diesem Piloten beteiligt und eigene Tools entwickelt, sieht er als Beweis, dass das Konzept aufgeht.
Die Übergabe der Daten aus den Backends der Smart Meter von Stromnetze Berlin an Decarbonize zur Berechnung des Verteilschlüssels und wieder zurück an Stromnetze Berlin gestaltet sich komplex. Solche Datenschnittstellen sind technisch anspruchsvoll, nicht alle Netzbetreiber können sie anbieten. Bei manchen Netzbetreibern fallen dafür Gebühren an. „Backend-Systeme für die Netznutzungsabrechnung sind hoch standardisiert und durchautomatisiert“, sagt Niemeier. „Was wir hier machen, ist darin nicht so leicht abzubilden.“ Stromnetz Berlin verzichtet auf die Erhebung einer Gebühr für die Datenübertragung, betont aber, dass die Integration eine echte Herausforderung sei. Grundsätzlich sollte eine Umsetzung dieser Energiemengenbilanzierung in den Einzugsgebieten aller Verteilnetzbetreiber in Deutschland möglich sein, sagt Colell.
Praktische Hürden
Es gibt noch eine Besonderheit bei dem Projekt. Nicht alle Eigentümer wohnen auch in dem Gebäude. Zwei Wohnungen werden vermietet. Dennoch sollten die Mieter dazu motiviert werden, bei dem Projekt mitzumachen. Das geht über den Angebotspreis des Solarstroms. Der darf aber auch nicht zu niedrig sein, immerhin soll die Anlage auch über den Selbstverkauf des Stroms amortisiert werden. „20 Cent pro Kilowattstunde zahlen wir uns als Eigentümer selbst für den Solarstrom. Das ist ein Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und der Motivation, dass auch die Mieter mitmachen“, sagt Meyer.
Das hört sich tatsächlich zunächst gar nicht so billig an. Aber die Anlage soll sich immer innerhalb der gleichen Zeit amortisieren wie im Referenzfall ohne Mieterstrom, innerhalb der nächsten zwölf Jahre. Da sie vom Voll- zum Teileinspeiser wird, sinkt die Vergütung von 12,3 auf 7,9 Cent pro Kilowattstunde. Außerdem wird eine Gebühr für das Messkonzept und den Abrechnungsdienstleister fällig.
Wie schnell sich die Anlage amortisiert, haben die Bewohner schlussendlich selbst in der Hand. „Je mehr Solarstrom wir im Haus nutzen, desto wirtschaftlicher ist es“, sagt Meyer. „Auch für den, der den Strom nur verkauft. Für eingespeisten Strom gibt es acht Cent, für den im Haus verkauften, 20 Cent pro Kilowattstunde.“ Ob die Eigentümergemeinschaft sich selbst den Strompreis absenken wird, nachdem die Anlage amortisiert ist, oder ob die Überschüsse für Instandhaltung an der Anlage oder am Objekt genutzt werden, werde die Wohnungseigentümergemeinschaft in einigen Jahren entscheiden.
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Einfacher erklärt auf der staatlichen Seite: energiegemeinschaften.gv.at