„Deutungsdualismus“: Zahlreiche und kontroverse Reaktionen auf den Energiewende-Monitoringbericht

Youtube, Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche, Pressestatement

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Der am Montag vorgelegte, im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie erstellte Monitoringbericht zur Energiewende hat zwar knapp 260 Seiten, deren gründliche Auswertung auch für Fachleute ein wenig Zeit braucht. Trotzdem gab es erwartungsgemäß sehr bald nach Erscheinen des Reports zahlreiche Stellungnahmen.

Die Reaktionen fielen erwartungsgemäß nicht einheitlich aus. Auch innerhalb der Erneuerbare-Energien-Branche gibt es unterschiedliche Deutungen. Der vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln (EWI) und dem Beratungsunternehmen BET Consulting erstellte Bericht und mindestens ebenso sehr die von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen werden recht unterschiedlich interpretiert.

Reiche habe „die Empfehlungen des Gutachtens offenbar nicht sorgfältig gelesen“, konstatiert die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Das Monitoring „wäre die Chance, einen wissenschaftlich fundierten Rahmen für die Energiewende zu schaffen“. Was die Ministerin hingegen als „Planungsrealismus“ bezeichne, sei „faktisch eine Ausbau-Bremse für die Erneuerbaren, der ‚technologieoffene Kapazitätsmarkt‘ ist ein Einfallstor für neue fossile Abhängigkeiten.“

Auch Greenpeace übt deutliche Kritik: Die Bundesregierung wünsche sich Kosteneffizienz, ignoriere dabei jedoch langfristige Kosten und Klimaschäden und wolle mit einem „Bilanztrick“ Geld sparen: „Der Energiebedarf wird kleingerechnet, um das Ziel, 80 Prozent erneuerbaren Stromverbrauch bis 2030, weiterhin zu halten. Um die deutschen und europäischen Klimaziele zu erreichen, müssen aber Wärmepumpen, Elektromobilität und Elektrifizierung der Industrie massiv ausgebaut werden“, erklärt Mira Jäger, Greenpeace-Expertin für Klima und Energie, in einer Mitteilung.

Tina Löffelsend, Abteilungsleiterin Klimaschutz beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), ist ebenfalls unzufrieden: Reiche leite mit dem Monitoring „eine neue Phase der Verunsicherung für die Energiewende ein“, statt die Elektrifizierung und den dafür nötigen Erneuerbaren-Ausbau voranzubringen, setze sie „auf klimafeindliche Gaskraftwerke und teure, riskante Technologien wie CCS“. Das „Wasserstoff-ready“ für die geplanten Kraftwerke „ist bei Reiche ein Etikett ohne Inhalt“, und das erklärte Festhalten am Ziel von 80 Prozent Erneuerbaren im Stromsektor bis 2030 werde „zur Kosmetik“, so der BUND.

Oliver Hummel, Vorstandsvorsitzender der Naturstrom AG, ist nicht gar so rigoros, erkennt aber eine „Unwucht“ in den Schlussfolgerungen der Ministerin. Er könne sie „nur zum Teil mitgehen“, er halte „insbesondere die sich abzeichnende Absenkung der Zubauziele für erneuerbare Energien“ für falsch. Es sei zwar richtig, dass der Stromverbrauch zuletzt nicht so gewachsen sei wie prognostiziert. „Wenn wir aber erstens das von allen gewünschte Wirtschaftswachstum endlich in Gang bekommen, zweitens beim Klimaschutz im Gebäude- und Verkehrssektor vorankommen und drittens auch bei der Digitalisierung vorne mitspielen wollen, wird sich dies sehr schnell ändern.“ Von einem niedrigeren Bedarf auszugehen, bedeute hingegen „das stillschweigende Eingeständnis, sektorenübergreifend – also inklusive Gebäude, Verkehr und Industrie – die Klimaschutzziele zu verfehlen.“ Hummel kritisiert ausdrücklich auch die Ankündigung, Fördermaßnahmen zu prüfen und tendenziell zurückzufahren. Hiermit dürfte „vor allem die Aufdach-Photovoltaik gemeint sein“, während andererseits CCS- und CCU- Technologien zur CO2-Abscheidung und -Nutzung propagiert würden, „die sich in Deutschland nicht ohne massive staatliche Unterstützung werden etablieren lassen. Hier droht zweierlei Maß angelegt zu werden.“

Lob für die Arbeit der Gutachter und Kritik für die Schlussfolgerungen der Ministerin kommt vom Energietechnikanbieter Enpal. Die Autoren hätten „richtig erkannt, wo die zentralen Schwachstellen der Energiewende in Deutschland liegen“ und eindeutige Empfehlungen zur Behebung gegeben. Das Wirtschaftsministerium schlage jedoch „Maßnahmen vor, die teilweise in die entgegengesetzte Richtung gehen“ und ignoriere damit nicht nur die Empfehlungen, sondern sorge auch für neue Unsicherheit im Markt.

Bastian Gierull, CEO des Energieversorgers Octopus Energy Germany, findet hingegen lobende Worte: „Katherina Reiche hat geliefert“, lautet sein Befund. Der Monitoringbericht lege deutlich dar, dass Deutschlands Strombedarf steigen werde. „Noch fehlt der Mut, beim Erneuerbaren-Ausbau ambitioniert voranzugehen“, lautet Gierulls Kommentar dazu, dass sich das Wirtschaftsministerium bei seiner Auswertung am unteren Ende der Prognosen orientiert. Der Bericht zeige jedenfalls klar den „massiven Nachbesserungsbedarf für die Energiewende. Die Systemkosten sind zu teuer, Strompreise für Haushalte und Unternehmen zu hoch. Smart Meter sind nicht verfügbar, digitale Marktprozesse funktionieren nicht.“ Es bleibe indes nicht nachvollziehbar, „warum die Bundesregierung teure Gaskraftwerke mit Milliardensummen fördern will und an der ineffizienten CCS-Technologie festhält“, so Gierull.

Auf die von Reiche erneut erklärte Absicht, die Einspeisevergütung für Solarstrom abzuschaffen und für neue Photovoltaik-Anlagen eine Pflicht zur Direktvermarktung einzuführen, konzentriert sich Oliver Koch, CEO des Batteriespeicheranbieters Sonnen. Dies sei „ein radikaler Schritt“, der aber durchaus Sinn mache, „damit Speicher richtig eingesetzt werden“. Sonnen vermarkte den Solarstrom kleiner Anlagen bereits seit zehn Jahren direkt und begleite seine Kunden „durch den nötigen Bürokratie-Dschungel“. In Anspielung auf die frühere Position Reiches als Vorsitzende der Geschäftsführung bei Westenergie fordert Sonnen, dass sie „ihre ehemaligen Arbeitgeber in die Pflicht nimmt, damit die endlich digital und zuverlässig werden.“

Der Energiekonzern EnBW sieht im Monitoringbericht eine Bestätigung seiner Einschätzung, dass der Stromverbrauch „in allen Szenarien deutlich steigen“ werde. Das Unternehmen bekräftigt gleichzeitig seine Absicht, in Sachen Flexibilisierung tätig zu werden; man setze „auf H2-ready Gaskraftwerke und auf Speicher“ und stehe „in den Startlöchern“. Wenn das Kraftwerksicherheitsgesetz auf den Weg gebracht sei, „werden wir den Bau weiterer H2-ready Gaskraftwerke schnellstmöglich prüfen.”

Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) zielt in seiner Reaktion ebenfalls auf den Begriff H2-ready ab und darauf, dass dieser „kein bloßes Etikett“ bleiben dürfe: „Ohne klare technische Standards und praktikable Umrüstpfade bleibt dieser Anspruch wirkungslos“, so der VDI in einer Mitteilung, die auch explizit auf die Bedeutung von Speichern als „Gamechanger“ bei der künftigen Energieversorgung hinweist.

Der Energiekonzern Vattenfall sieht im Monitoringbericht eine „solide Diskussionsgrundlage“ und begrüßt „das Bekenntnis des Ministeriums zum 80-Prozent-Erneuerbaren-Stromziel und zur Klimaneutralität 2045“. Der Erfolg häng „maßgeblich von einem kontinuierlichen Ausbau der Erneuerbaren und mehr Flexibilität im Energiesystem ab“.

Die auch von anderen Akteuren festgestellte Divergenz zwischen dem Monitoringbericht und den Schlussfolgerungen der Ministerin beschreibt besonders ausführlich der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE). Er spricht von einem „Deutungsdualismus“: Während die Gutachter Ausbau, Digitalisierung und Innovation fordern, leite das Ministerium hieraus „Digitalisierungsmonopolisierung und Kapazitätsubventionen“ ab. Im Monitoring selbst sehe man „positive Signale“, die Ableitungen des Wirtschaftsministeriums seien hingegen „mindestens problematisch“. Der Bericht bestätige etliche Vorschläge, die der Verband seit Jahren vertrete, etwa beschleunigte Nutzung von Smart Metern, effiziente Netznutzung oder neue Geschäftsmodelle: „Die Stärkung von PPAs sowie der Ausbau der Direktvermarktung sind zentrale Schritte hin zu einem innovationsfreundlichen, wettbewerblichen Energiemarkt“, so der BNE. Dagegen fehle den von Reiche auf Grundlage des Monitoringberichts vorgelegten Schlussfolgerungen „bei der Elektrifizierung jegliche Ambition. Die Stromverbrauchsprognosen werden schlicht um rund 100 Terawattstunden gesenkt“. Vorschläge der Gutachter „zu der ‚in allen Szenarien robust steigenden Stromnachfrage‘, zur dringend nötigen Elektrifizierung und zu deren effizienter Bewältigung, werden so ausgebremst statt beschleunigt“, kritisiert der BNE.

Agora Energiewende moniert ebenfalls das Fehlen von Antworten zu zentralen Fragen des energiepolitischen Kurses der Bundesregierung. Julia Bläsius, Direktorin Agora Energiewende Deutschland, vermisst „weiterhin die dringend benötigte Planungssicherheit“. Sie misst, wie die meisten anderen Beobachter, der Frage des künftigen Strombedarfs große Bedeutung bei und mahnt, den Erneuerbaren-Ausbau auf Basis einer niedrigeren Prognose zu bremsen, sei „kurzsichtig, kostspielig und sendet das falsche Signal an die heimische Wirtschaft. Unabhängig von der Nachfrageentwicklung verteuert ein gedrosselter Zubau von Wind- und Solarenergie den Strompreis 2030 um 2 Cent pro Kilowattstunde – für Haushalte und Unternehmen summieren sich die zusätzlichen Kosten 2030 so auf mindestens 12 Milliarden Euro“.

— Für alle, die sich noch gründlicher informieren möchten: Die hier sowie in unserer Meldung zum Monitoringbericht vom Montag zitierten Pressemitteilungen zum Monitoringbericht sind – soweit möglich – im vollen Wortlaut in unserem Bereich „Unternehmensmeldungen“ https://www.pv-magazine.de/unternehmensmeldungen/ veröffentlicht. —

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