6 Thesen zur Elektromobilität für 2023

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Die Elektromobilität bleibt auch in 2023 spannend. Entwicklungen wie hohe Energiepreise, sich verbessernde Technik, bidirektionales Laden und vieles mehr werden den Sektor auch in diesem Jahr in Atem halten. Im Folgenden haben wir unsere wichtigsten Erwartungen für den weiteren Hochlauf der Elektromobilität in 2023 in 6 Thesen zusammengefasst.

Batterieelektrische Fahrzeuge setzen sich gegenüber Plug-in-Hybriden weiter durch

Plug-In-Hybride waren zu Beginn des Wandels hin zur Elektromobilität eine Lösung für Anwendungen, bei denen Reichweiten notwendig waren, die mit rein batterieelektrischen Lösungen kaum zu erreichen waren. Gerade bei Dienstwagen hat sich aber gezeigt, dass diese nur zu unter 15 Prozent elektrisch gefahren werden und der reale Kraftstoffverbrauch fünfmal höher ist als angegeben. Bei Privatfahrzeugen sieht es zwar besser aus, aber auch hier ist der Kraftstoffverbrauch etwa dreimal höher als angegeben. Dadurch sind Plug-in-Hybride bezüglich ihrer Klimawirkung zu Recht in Verruf geraten. Da neue Fahrzeugmodelle Reichweiten von 300 bis 600 Kilometern ermöglichen, Mercedes mit dem Vision EQXX bereits 1000 Kilometer Reichweite zeigen konnte und Ultraschnelllader die Ladezeiten in den Bereich von unter fünf Minuten pro 100 Kilometer Reichweite bringen, schwindet der Vorteil von Plug-in-Hybriden zunehmend. Unter anderem aus diesen Gründen hat die Bundesregierung den Umweltbonus für Plug-in-Hybride abgeschafft. Der Steuervorteil von Plug-In-Hybriden als Dienstwagen wiederum bleibt vorerst bestehen.

Durch immer günstigere und technisch immer ausgereifte batterieelektrische Fahrzeuge können diese mittlerweile in quasi allen Anwendungsfällen ohne Komforteinbußen genutzt werden. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass 2020 das Verhältnis zwischen batterieelektrischen PKW und Plug-in-Hybriden noch bei 1:1 lag und 2022 schon auf fast 4:3 angewachsen ist. Wir rechnen damit, dass sich dieser Trend insbesondere durch die veränderten Förderungsbedingungen weiter fortsetzen wird.

Schnellladung wird im öffentlichen Bereich immer wichtiger

Schon in den letzten Jahren war das Wachstum bei den Schnellladern größer als bei den klassischen AC-Ladestationen. Dafür gibt es eine ganze Reihe an Gründen:

  • Nahezu alle batterieelektrischen PKW werden mit Schnellladeanschluss
  • Die Batteriekapazität der Neuzulassungen steigt rasant an und erlaubt im Mittel heute eine Fahrt von etwa 300 Kilometer ohne Nachladen. Die maximale Ladeleistung, die eine Fahrzeugbatterie erlaubt, wächst bei gleicher Batteriechemie proportional zur Batteriekapazität, weshalb Fahrzeuge mit großer Batterie auch größere Ladeströme aufnehmen können.
  • Das Deutschlandnetz schafft ein flächendeckendes Netz von Schnellladern mit dem Ziel, dass man von den meisten Orten aus innerhalb von zehn Minuten eine Schnellladestelle erreichen kann.
  • Elektromobilität wird auch im Bereich Schwerlastverkehr immer wichtiger. Durch die größeren Batterien, höheren Verbräuche und oft auch höheren Betriebsstunden pro Jahr und Fahrzeug werden Ladeleistungen notwendig, die von einer klassischen Wechselstromladestation oft nicht geliefert werden können.

Aus all diesen Gründen scheint es wahrscheinlich, dass auch in 2023 beim Ausbau der Ladeinfrastruktur ein Fokus auf Schnellladung liegen wird und hier weiteres Wachstum zu erwarten ist. Dabei wäre es wichtig, insbesondere entlang der Autobahnen nicht jeweils nur ein oder zwei Ladesäulen aufzustellen, sondern Ladeparks zu schaffen, wie Tesla das vorgemacht hat. Das schafft Vertrauen, eine Ladesäule zu bekommen (und nicht auch noch die Leistung mit dem Nachbarn an der Säule teilen zu müssen) und ist unter dem Strich auch wirtschaftlicher. Der Ausbau ist sowieso notwendig, mit den kleinen Lösungen zu beginnen, wie es jetzt zu sehen ist, bedeutet immer wieder neuen Planungs- und Genehmigungsaufwand. Insbesondere müssen die Stromzuführungen gleich ordentlich ausgebaut werden, damit dann nicht in der Welle für die Ladestationen des Schwerlastverkehrs wieder neue Erdbau- und Netzarbeiten fällig werden.

Vehicle-to-Home schafft es als erste bidirektionale Anwendungen in den Massenmarkt

Mit der Veröffentlichung des Protokolls ISO 15118-20 wurden 2022 die letzten technischen Voraussetzungen geschaffen, um bidirektionales Laden in der Breite zu ermöglichen. Aktuell arbeiten Fahrzeug- und Ladeinfrastrukturhersteller mit Hochdruck an entsprechenden Produkten oder bieten diese bereits an.

Regulatorisch stehen dem Konzept aber noch einige Hürden im Weg, sobald ein Fahrzeug mehr Energie entlädt, als am selben Netzanschlusspunkt, wie zum Beispiel einem Haushalt, verbraucht wird. Am einfachsten ist es daher bei Privathäusern, denn Fahrzeug, Stromverbraucher, Ladestation und Stromerzeugung liegen alle in einer Hand. Das Fahrzeug kann in dieser Situation wie ein Heimspeicher genutzt werden und Strom tagsüber aus der Photovoltaik-Anlage einspeichern und nachts abgeben. Dieses Konzept wird als „Vehicle-to-Home“ bezeichnet. Dadurch, dass das Auto nur eigene Stromverbraucher versorgt, wird kein Strom ins Netz netto eingespeist und die komplexen Regeln entfallen größtenteils. Bis die tatsächliche Rückspeisung ins Netz im Sinne eines „Vehicle-to-Grid“ flächendeckend funktioniert, müssen leider noch regulatorische und betriebswirtschaftliche Strukturen geschaffen werden, die das ermöglichen. Damit wäre es technisch möglich, das Netz in Echtzeit zu stützen oder Strom für einige Stunden aus den Fahrzeugen ins Netz einzuspeisen, wenn gerade kein Wind weht und die Sonne nicht scheint.

Die RWTH Aachen veranstaltet die Konferenz „Vehicle-to-Grid und Smart Charging“ im April 2023 in Aachen, um aufzuzeigen, die die Batteriekapazitäten sinnvoll genutzt werden können.

Aufgrund der enormen Batteriekapazität und Gesamtleistung der Elektroautos, die mittlerweile größer sind als die Pumpspeicherkraftwerke und alle Regelleistungsmärkte, sollten wir aber mit Hochdruck auch an Vehicle-to-Grid arbeiten, um diese Flexibilität zu nutzen. Da die Fahrzeuge bereits für die Mobilität angeschafft werden, ist eine Doppelnutzung volkswirtschaftlich sinnvoll. Wenn alternativ zusätzliche Netzspeicher alleine für diesen Zweck gebaut werden müssen, dann führt das zwangsläufig zu einer Erhöhung der Stromkosten. Es muss also in unser aller Interesse als Stromverbraucher sein, dass Vehicle-to-Grid so schnell wie möglich einsetzbar wird. Zudem erfährt die Fahrzeugbatterie durch die geringen zusätzlichen Zyklen bei geringen Energiemengen kaum zusätzliche Alterung.

Intelligentes Laden kommt schneller als bisher gedacht

Ausgelöst durch die fehlenden Energielieferungen aus Russland sind die Strompreise in Deutschland stark angestiegen. Durch diesen Anstieg wiederum steigt auch die Differenz zwischen günstigen Stunden, in denen viele Erneuerbare ins Netz einspeisen, und teuren Stunden, in denen Gaskraftwerke die preissetzenden Kraftwerke sind. Dazu ein kleines Beispiel: Am 28. November 2022 hat der Strom im Intraday-Handel um 5 Uhr morgens noch 9,62 Cent pro Kilowattstunde gekostet und abends um 18 Uhr schon 42,89 Cent pro Kilowattstunde. Bei einer typischen Fahrzeugbatterie von 50 Kilowattstunden ist die Vollladung um 5 Uhr über 16 Euro günstiger als am Abend. Noch vor zwei Jahren waren solche Preisunterschiede kaum vorstellbar und preisgesteuertes Laden daher deutlich weniger attraktiv.

Da davon auszugehen ist, dass die Energieknappheit noch einige Zeit andauern wird und die Volatilität der Erzeugung durch mehr und mehr Erneuerbare zunimmt, werden auch die Differenzen im Strompreis im Lauf einer Woche hoch bleiben. Hier können sowohl Fahrzeug- als auch Ladeinfrastrukturhersteller Angebote schaffen, welche Fahrzeugbesitzer mit vergleichsweise geringem Aufwand finanziell stark entlasten können. Durch diese Preisprodukte werden nicht nur die Geldbeutel der Besitzer entlastet, sondern auch das Energiesystem gestützt. Denn bei einem Erzeugungsüberschuss sorgt die Ladung bei niedrigen Preisen für Netzentlastung und bei lediglich geringer erneuerbarer Erzeugung laden weniger Fahrzeuge, um höhere Preise zu vermeiden.

Und da Strompreis und CO2-Intensität des Strommixes stark korrelieren, ist der günstige Strom sogar auch noch klimafreundlicher. Das für sich ist auch sehr bemerkenswert: Strom ist in Deutschland heute dann günstig, wenn sehr viel erneuerbare Energien bereitstehen und teuer, wenn die fossile Stromerzeugung dominiert. Das wird auch nach Ende der kriegsbedingten Sondersituation so bleiben, weil durch die inzwischen erheblich gestiegenen CO2-Zertifikatspreise im europäischen CO2-Handel Stromerzeugungspreise unter zehn Cent pro Kilowattstunde mit fossilen Kraftwerken auch im günstigsten Fall kaum noch möglich sein werden.

Notwendige Voraussetzung für solche Modelle ist ein dynamischer Stromtarif und ein digitaler Stromzähler. Denn klassische Stromzähler erfassen lediglich den verbrauchten Strom zwischen den Ablesezeitpunkten, aber bieten keine Informationen darüber, wann der Stromverbrauch stattgefunden hat. Die Bundesregierung hat hierzu einen beschleunigten Smart-Meter-Rollout angekündigt. Und auch dynamische Stromtarife existieren bereits, welche den Börsenstrompreis direkt an Endkunden weiterleiten. Sobald diese drei Komponenten – smarte Ladesäule oder Elektroauto, Smart Meter und dynamischer Stromtarif – zusammenkommen, steht einem vergünstigten Laden nichts mehr im Weg.

Für Flotten und große Firmenparkplätze existieren die genannten Möglichkeiten übrigens schon, da Unternehmen ohnehin meist schon über dynamische Strompreise und digitale Stromzähler verfügen. Auch an öffentlichen Ladesäulen gibt es durch Forschungsverbünde und aus der Industrie bereits erste Lösungen.

Der Schwerlastverkehr wird elektrisch

Nachdem sich batterieelektrische Lösungen im PKW-Markt immer weiter durchsetzen, werden diese Konzepte mittlerweile auch für schwerere Fahrzeuge geplant. Im „Masterplan Ladeinfrastruktur II“ wird eine Ausschreibung für ein dediziertes Ladenetz für LKW für das dritte Quartal2023 angekündigt. Aral hat bereits einen Korridor von der Schweiz in die Niederlande in Betrieb genommen, auf dem LKW mit 300 Kilowatt laden können.

Für lange Fahrten ist die Ladegeschwindigkeit allerdings noch nicht ausreichend, da aktuell 200 Kilometer in der vorgegebenen Pause von 45 Minuten nachgeladen werden können. Für eine vollständige Schicht à 4,5 Stunden wären aber 450 Kilometer notwendig. Auch die Fahrzeughersteller können immer mehr Fahrzeuge in diesem Bereich anbieten. Mit dem Megawatt Charging System (MCS) steht ein Ladesystem bereit, welches auf dem im PKW-Markt genutzten Combined Charging System (CCS) aufbaut.

Ein Einsatz in der Breite ist aber eher wenige Jahre später zu erwarten, weil der Aufbau von Ladeinfrastruktur noch in den Kinderschuhen steckt. Aktuelle Ladestationen für PKW können größtenteils nicht genutzt werden, da die Parkplätze für LKW meist zu klein sind. Bis eine solche öffentliche Ladeinfrastruktur existiert wird Schwerlastverkehr insbesondere dort elektrifiziert werden können, wo das Fahrzeug innerhalb einer Batterieladung ins Fahrzeugdepot zurückkehrt. Hier werden auch vorwiegend eher die leichten und mittelschweren LKW eingesetzt, bei denen auch bei den Herstellern weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass der batterieelektrische Antrieb auf absehbare Zeit die Technologie der Wahl sein wird. Beispiele für solche Anwendungen sind Verteilzentren von Supermärkten oder Baumärkten, Flughäfen, Seehäfen, und viele mehr.

An welchen Stellen sich im Schwerlastverkehr Wasserstoff und wo batterieelektrische Lösungen durchsetzen werden, ist allerdings noch nicht ganz klar, auch wenn mehr und mehr Hersteller einen batterieelektrischen Weg einschlagen. Eine Diskussion darüber würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen und wir verweisen daher auf folgende Studie.

Die Modellvielfalt wird weiter steigen – auch durch chinesische Anbieter

Mitte der 2020er Jahre war der Markt noch aufgeteilt in elektrische Kleinwagen mit geringer Reichweite und einigen wenigen Luxusfahrzeugen mit sehr großer Reichweite. Seitdem hat sich die Modellvielfalt deutlich erhöht und batterieelektrische Fahrzeuge sind in großer Diversität vorhanden – vom E-Scooter bis zum großen LKW sind quasi alle Fahrzeuge als elektrische Modelle verfügbar.

Insbesondere chinesische Firmen drängen aktuell in den Markt und werden den Preisdruck weiter erhöhen. Ein wichtiger Grund dafür ist auch, dass die Nachfrage insbesondere in günstigeren Fahrzeugsegmenten durch die europäischen Hersteller nicht gedeckt werden kann. Auch im PKW-Markt bisher nicht genutzte Konzepte wie Wechselakkus könnten durch solche Akteure 2023 noch einmal Aufschwung erhalten. Dazu müsste ein einzelner Anbieter sehr schnell eine hohe Marktdurchdringung erreichen und der zügige Ausbau der Schnellladeinfrastruktur wird dabei eine hohe Wettbewerbshürde für Wechselsysteme sein.

Über die Autoren

Christopher Hecht ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen. Seine Forschung konzentriert sich auf die Interaktion von Elektrofahrzeugen und dem Stromnetz mit besonderem Fokus auf die Nutzung von öffentlicher Ladeinfrastruktur. Themenfelder sind intelligentes Laden und Vehicle-to-Grid.

 

 

Jan Figgener ist Abteilungsleiter am Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen und unterstützt ACCURE Battery Intelligence bei Analysen rund um den Batteriespeichermarkt. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Markt- und Technologieentwicklung, die Netzintegration und die Alterung von Batteriespeichern.

 

 

Dirk Uwe Sauer leitet den Lehrstuhl und ist seit fast 30 Jahren im Bereich Batterien und Energiesysteme aktiv.  Zusammen mit einem Team von 70 Angestellten deckt er Themen von elektrochemischen Prozessen in einer Batteriezelle bis zur Analyse ganzer Energiesysteme ab.

 

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