„Die Solarbranche muss sich auch mit den Steuerfragen der Kunden beschäftigen“

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Johann-Erwin Graf ist Gründer der Firma Steuerseminare Graf. Er ist Diplom-Finanzwirt, Steuerberater und hat sich nach langjähriger Tätigkeit in der Steuerverwaltung als Veranstalter von Fachseminaren für Steuerkanzleien selbständig gemacht. Das vor über 25 Jahren gegründete Unternehmen hat 25 Mitarbeiter und veranstaltet mit über 30 freiberuflichen Referenten jährlich bis zu 1000 Seminare für etwa 70.000 Teilnehmer.

Foto: Steuerseminare Graf

pv magazine: Herr Graf, der Slogan Ihrer Firma lautet „Steuern machen Spaß“ – wie kommt man auf so etwas?

Johann-Erwin Graf: Wenn ich einen Beruf ausübe, muss ich daran Freude haben, denn sonst sollte ich es bleiben lassen. Aber Steuern machen tatsächlich Spaß, denn hinter den Steuerfragen steckt das Leben vieler Menschen mit vielen Charakteren. Jeder hat einen Lebenssachverhalt und das hat wieder mit Steuern zu tun, und das macht Spaß, weil ich mit Menschen zu tun habe.

Betreiben Sie selbst eine Photovoltaik-Anlage?

Wir sind gerade dabei auf unserem Firmengebäude eine Photovoltaik-Anlage zu installieren und meine halbe Verwandtschaft hat bereits Photovoltaik-Anlagen. Das macht wirklich Freude.

Wie sind Sie darauf gekommen, ein Photovoltaik-Seminar für Steuerkanzleien anzubieten?

Im Jahr 2013 haben wir gemerkt, dass in den Seminaren zur Umsatzsteuer und Einkommensteuer immer mehr Fragen zu Photovoltaik-Anlagen gekommen sind. Im Jahr 2013 deshalb, weil es da eine Änderung in der Umsatzsteuer beim Eigenverbrauch aus den Photovoltaik-Anlagen gab. Aus der Fülle der Fragen haben wir ein Seminar entwickelt und bieten das jetzt 2020 zum sechsten Mal an.

Für wen ist das Seminar geeignet?

Das Seminar ist vor allem geeignet für Steuerberater und Mitarbeiter in der Kanzlei.

Steuerseminare

Wegen der Corona-Pandemie findet das Seminar in diesem Jahr nicht als Präsenzveranstaltung, sondern als Onlineseminar statt. Nähere Informationen unter https://www.steuerseminare-graf.de/seminare/online-seminare/online-seminar-photovoltaikanlagen-und-co-2020/

Würden Sie jemandem aus der Solarbranche, der häufig mit dem Thema konfrontiert ist, raten teilzunehmen?

Eigentlich nur, wenn jemand laufend mit den steuerlichen Fragen bei Photovoltaik-Anlagen zu tun hat. Es geht fünf Stunden lang ‚hardcore‘ Punkt für Punkt quer durch die Steuerarten bei Photovoltaik-Anlagen

Welche Themen stehen in der aktuellen sechsten Ausgabe des Seminars im Vordergrund?

Es werden die Grundzüge besprochen, Anschaffung, privater Selbstverbrauch und so weiter, aber auch die Spezialitäten wie zum Beispiel aktuell Speichernachrüstung, Cloudtarife, wie betreibe ich die Anlage nach Auslaufen der EEG-Förderung weiter sowie Liebhaberei und Photovoltaik ohne Finanzamt.

Sollte sich die Solarbranche mit den Steuerfragen ihrer Kunden beschäftigen?

Unbedingt! Die Solarbranche muss sich auch damit beschäftigen. Zunächst interessiert mich als Investor natürlich die Wirtschaftlichkeit. Dann interessiert mich ganz stark der Umweltgedanke. Aber mich interessiert selbstverständlich auch, wie ist das Steuerrecht. Und nach wie vor interessiert eine große Zahl von Investoren auch die Sonderabschreibung und ob man die bekommt. Ein weiterer Punkt: Bei Verkaufs- und Beratungsgesprächen mit Käufern wird immer wieder angeführt, sie könnten ja die Vorsteuer ziehen. Das wird als vermeintlicher Vorteil in den Raum gestellt. Das ist aber nicht immer so! Machen wir ein Beispiel. Ich schaffe mir eine Photovoltaik-Anlage an, die produziert 10.000 Kilowattstunden Strom und ich verbrauche mit meinem Speicher 6.000 Kilowattstunden privat. Dann bedeutet das, ich ziehe 100 Prozent Vorsteuer, muss dann aber die 60 Prozent Eigenstrom der Umsatzsteuer unterwerfen. Aber ich unterwerfe die 60 Prozent nicht mit meinem Herstellungswert von vielleicht 10 Cent, sondern mit meinem Endverbraucherpreis in der Umsatzsteuer von 24 Cent netto. Und auf einmal sieht man eine Mehrbelastung.

Wir hören von Lesern immer wieder, dass sie Probleme haben mit ihrem Finanzamt. Tun sich Finanzämter schwer mit dem Thema Photovoltaik?

Auch wir haben diese Erfahrung gemacht, allerdings man kann das nicht verallgemeinern. Es gibt Finanzämter die sehr tief in der Materie stecken und die Besteuerung vollständig zutreffend durchführen. Aber es gibt auch Finanzämter, die beispielsweisen den Eigenverbrauch ertragssteuerlich pauschal mit 20 Cent ansetzen und das durchsetzen wollen, obwohl das viel zu hoch angesetzt ist. Richtig wäre stattdessen, die Entnahme mit dem Teilwert anzusetzen – das ist nicht der Wiederbeschaffungswert des Endverbrauchers, sondern der Herstellungswert des Anlagenbetreibers, also etwa 10 oder 12 Cent. Da können Welten dazwischen liegen, bei einigen tausend Kilowattstunden pro Jahr über 20 Jahre. Finanzämter tun sich schwer, diese unterschiedliche Behandlung zwischen Ertragssteuer und Umsatzsteuer zu erfassen, nach dem Motto was bei der Umsatzsteuer ist, müsse auch bei der Ertragssteuer gleich sein. Oder Mieterstrom: Wenn ich an meine Wohnungsmieter Solarstrom verkaufe, sind weite Teile der Verwaltung immer noch der Meinung, das sei immer umsatzsteuerfrei. Dem ist aber nicht so.

Das ist ja auch ein häufiges Problem auch bei den Anlagenbetreibern, diese Unterschiede zwischen Umsatzsteuer und Ertragssteuer zu verstehen. Bei den meisten Anlagenbetreibern sprechen wir ja von kleinen Anlagen auf Einfamilienhäusern. Da hören wir jetzt immer wieder auch aus der Branche, dass sich die Leute davor scheuen eine Photovoltaikanlage zu kaufen, weil sie Angst vor dieser steuerlichen Behandlung haben.

Die steuerliche Behandlung ist deshalb kompliziert, weil die Stromentnahme in beiden Steuerarten unterschiedlich bewertet wird. Ein Vereinfachungsvorschlag von mir, aber auch von anderen Fachleuten wäre, diese Bewertungsregeln zu vereinfachen, also die Stromentnahme in der Umsatzsteuer genauso anzusetzen wie in der Ertragssteuer.

Ist das ein Vorschlag speziell für Photovoltaik-Anlagen oder generell?

Das ist generell ein Problem. Wenn es um Sachentnahmen geht, stimmt Umsatzsteuer und Ertragssteuer überein. Wenn es um Nutzungsentnahmen geht, stimmt es nicht überein. Der Strom ist bei der Umsatzsteuer Nutzungsentnahme. Und ich verstehe schon, wenn sich ein Interessent zum ersten Mal sich mit einer Photovoltaik-Anlage befasst und sagt, um Gottes Willen, die Steuer tue ich mir nicht an.

Wären Vereinfachungen da nicht sinnvoll?

Ja, es wird allerhöchste Zeit, egal ob wir jetzt über Photovoltaik-Anlagen reden oder andere Betriebe. Der Verwaltungsumfang, dem die Betriebe unterliegen – ob groß oder klein – muss drastisch reduziert werden.

Man kann sich ja vorstellen, dass irgendwann in Zukunft jedes Haus nicht nur Energie verbraucht, sondern auch erzeugt und vielleicht auch Überschüsse einspeist, und dann wird vielleicht der Batteriespeicher des Elektroautos für die Netzdienlichkeit genutzt und so weiter. Mit den aktuellen steuerlichen Regeln könnten dadurch irgendwann alle Verbraucher zu Unternehmern werden. Das ist doch nicht mehr sinnvoll, oder?

Ich sehe das auch nicht als sinnvoll an. Bisher ist es ja so, dass eine Anlage, deren Strom sowohl privat verbraucht als auch verkauft wird, also eingespeist wird, zu 100 Prozent Betriebsvermögen ist. Es wäre aber doch möglich, das Recht so anzupassen, dass man die Anlage wie bei der Umsatzsteuer aufteilen kann: Zum Beispiel 60 Prozent privat und nur 40 Prozent betrieblich, soweit ich den Strom verkaufe oder einspeise. Dann hätten wir schon einen Problembereich weg. Ich brauche meinen Strom, den ich privat verbrauche nicht mehr bewerten, kann dafür natürlich auch keine Betriebskosten geltend machen.

Wäre es nicht sogar sinnvoll überhaupt eine Bagatellregelung zu schaffen, dass man solche Prosumer-Anwendungen steuerlich gar nicht mehr betrachtet?

Ich denke schon, dass das sinnvoll wäre. Das politische Ziel ist ja, dass wir klimaneutral werden sollen. Das lässt sich nur erreichen, wenn wir alle einbinden. Nicht nur die Großen, sondern auch die Kleinen. Die Kleinen könnte man so einbinden, dass das Steuerrecht sagen würde: Jemand erzeugt beispielsweise 5.000 Kilowattstunden Strom, verbraucht 3.000 Kilowattstunden privat, die interessieren mich nicht. Und die 2.000 Kilowattstunden, die du anderweitig verkaufst, interessieren mich auch nicht. Erforderlich wäre dafür nur eine Registrierung der Gesamterzeugung, um das prüfen zu können.

Die Daten liegen ja bereits vor. Es gibt schon jede Menge Meldepflichten, da könnte man doch beispielsweise eine automatische Mitteilung des Netzbetreibers an das Finanzamt einrichten?

Das wäre ohne Probleme machbar, diese kleinen Anlagenbetreiber bis zu einer bestimmten Größe in der Einkommens- und Umsatzsteuer freizustellen. Dies vor dem Hintergrund, dass es bei diesen kleinen Anlagen nicht um ein großes Steueraufkommen geht, sondern eher das große Ziel der Energiewende.

In der Verwaltung erzeugt der derzeit kleinteilige Aufwand doch auch Kosten?

Ja, man muss auch die Belastung in der Finanzverwaltung sehen, die haben genügend Arbeit zu tun und sind nicht traurig, wenn die Fallzahlen dieser Kleinstbetrieben zurückgehen.

Photovoltaik ganz ohne Finanzamt: Ist das eine Option, lässt sich das praktisch umsetzen?

In den allermeisten Fällen scheitert momentan die Umsetzung. Nehmen wir an, ich erkläre meinem Finanzamt, dass ich in der amtlichen Nutzungsdauer von 20 Jahren in der Summe Null Gewinn habe oder sogar einen Verlust erziele. Dann habe ich steuerlich gesehen einen sogenannten Liebhabereibetrieb, es fehlt an der Gewinnerzielungsabsicht. Somit dürfte mein Finanzamt meine Gewinne und Verluste aus dieser Anlage nicht der Besteuerung unterwerfen. Aber leider sind hier die meisten Finanzämter extrem misstrauisch. Wir behandeln das Thema auch im Seminar und sehen, dass obwohl viele Berater versuchen die Liebhaberei darzustellen, das Finanzamt sagt, ich will jetzt erst mal drei bis fünf Jahre prüfen, ob das wirklich so sei. Und dann muss man weiterhin Erklärungen abgeben. Das ist ärgerlich.

Was wäre, wenn ich das für mich prüfe und mich gar nicht beim Finanzamt melde?

Wenn das Finanzamt nichts weiß, muss ich mir absolut rechtssicher sein, wenn ich so etwas mache. Ich muss durchrechnen, dass die Summe über 20 Jahre sicher negativ wird, also das steuerliche Totalergebnis ein Verlust. Dann habe ich keinen Gewerbetrieb im Sinn des Einkommensteuerrechts. Ich habe Liebhaberei. Jetzt kann man diskutieren, dass ich formal trotzdem einen Gewerbetrieb habe und die Abgabenordnung sagt, wenn ein Gewerbebetrieb eröffnet wird, muss ich das Finanzamt darüber informieren. Aber bei einem Totalverlust gibt es keine steuerlichen Einkünfte.

Ist es denn bezüglich der Umsatzsteuer ein Problem?

Das ist kein Problem. Wenn ich Kleinunternehmer bin, unter 22.000 Euro, und ich sage nichts dazu, bin ich automatisch Kleinunternehmer und darf keine Umsatzsteuer ausweisen und keine Vorsteuer ziehen.

Was könnte das Finanzamt tun, damit ich für meine Photovoltaik-Anlage keine Steuererklärungen abgeben muss?

Wenn klar ist, dass die Photovoltaik-Anlage steuerlich nicht relevant ist, weil Liebhaberei vorliegt und keine Umsatzsteuerpflicht besteht, könnten die Sachbearbeiter im EDV-System der Verwaltung das sogenannte „G-Signal“ und das „U-Signal“ nicht aktivieren. Dann würde der Steuerpflichtige gar nicht als Unternehmer erfasst.

Zum Schluss noch eine Frage: Welche Steuergesetzänderung würden Sie als erstes umsetzen, wenn Sie Bundesfinanzminister würden?

(Lacht) Als allererstes würde ich die steuerfreie Abgeordnetenpauschale abschaffen. Das würde vielleicht zu einer deutlichen Vereinfachung des Steuerrechts führen…

… durch den Lerneffekt?

Genau, weil dann viele erkennen, welche Arbeit dahintersteckt, ganzjährig die Belege zu sammeln, aufzubewahren und sich dann mit dem Finanzamt auseinanderzusetzen, was steuerlich geltend gemacht werden kann.

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