WIR schaffen das!

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Kürzlich verfolgte ich aufmerksam, wie in der ZDF-Sendung „Aspekte“ über den WIR-Begriff in der heutigen Gesellschaft philosophiert wurde. Ich selbst war noch voller Eindrücke aus dem soeben erst zu Ende gegangenen Forum Neue Energiewelt in Berlin, bei dem es erschreckenderweise häufig um die Frage ging: „Wie schaffen wir Klimaschutz und die Energiewende, auch GEGEN den Widerstand von Politik und Wirtschaft?“ Es ist mittlerweile weniger das Leugnen der globalen Probleme, welches schnelles und entschlossenes Handeln verhindert, sondern eher die Lust- und Mutlosigkeit, mit der unsere Staatslenker die eine um andere Legislaturperiode vergeuden und somit keine entscheidenden Fortschritte auf die Straße bringen. Aber wie sollen wir diesem Dilemma entrinnen und was hat das mit dem WIR-Begriff zu tun?

Nun, in der genannten ZDF-Sendung wurde treffenderweise festgestellt, dass in unserer pluralisierten Gesellschaft die Identifikation mit einem wie auch immer definierten WIR langsam aber sicher abhandengekommen ist. Es gibt kein klar definiertes WIR mehr – wer sind WIR eigentlich? WIR spielt sich – wenn überhaupt – nur noch in kleinen Gruppen ab, mit der Tendenz, sich durch künstliche Feindbilder von anderen, häufig ebenso kleinen Gruppen abzusetzen. Sozialismus und Nächstenliebe sind „out“. Individualismus, schlimmer noch Egoismus ist „in“! Aber wohin führt diese Entwicklung? Sie führt zwangsläufig zu immer mehr Spannungen unter den Individuen, zu Unverständnis, Hass und Ausgrenzung. Es wird in unserer Gesellschaft immer schwieriger, gemeinsame Absprachen zur Erreichung kollektiver Ziele zu treffen, wenn dutzende, hunderte oder gar tausende Partikularinteressen berücksichtigt werden müssen.

Dürfen wir Partikularinteresse generell über Gemeininteresse stellen, wie es sich in der heutigen demokratischen Gesellschafft abzeichnet? Natürlich nicht, da wird mir wohl jeder zustimmen. Ich glaube auch nicht, dass es in der Natur des Menschen liegt, immer nur den eigenen Willen, notfalls auf Kosten der anderen, durchsetzen zu wollen, auch wenn unsere heutige Gesellschaft, speziell unser Wirtschaftssystem, solche Tendenzen belohnt. Viele Menschen fühlen sich aber gar nicht wohl dabei. Der Mensch ist zwar ein Kämpfer, aber kein Einzelkämpfer. Es ging historisch schon immer eher darum, die eigene Sippschaft (Familie, Volk, Spezies) gegen die feindliche Umwelt oder vor Angriffen von außen zu verteidigen, als sich allein in Sicherheit zu bringen – notfalls unter Einsatz des eigenen Lebens. Dabei strebte der Einzelne selten nur nach persönlichem Reichtum, sondern vielmehr nach größtmöglicher Anerkennung innerhalb der Gemeinschaft. Diese war dem Individuum sicher, wenn das Ergebnis seiner Taten den Fortbestand der Gemeinschaft sicherte oder deren Lebensumstände verbesserte.

Leider hat der ungebremste, weitestgehend unregulierte Kapitalismus der vergangenen Jahrzehnte, bei dem stetiges Wirtschaftswachstum und Renditenoptimierung als höchste Ziele propagiert werden, dazu geführt, dass die Wertevorstellungen und wahren Ideale unserer Gemeinschaft verschwammen und durch falsche Belohnungsmechanismen ad absurdum geführt wurden. Altruismus, Verzicht und nachhaltiges Denken und Handeln werden belächelt, nicht belohnt! Noch viel zu klein ist die Gruppe derer, die sich gegen das Krebsgeschwür unseres Planeten, das ungezügelte Wirtschaftswachstum auflehnen, welches uns zwangsläufig noch die allerletzten Ressourcen gewinnen und aufbrauchen lässt, auf dass wir den Erdball als unbewohnbare Wüste hinterlassen. Dass es so kommen wird, wenn wir nicht sehr bald und sehr entschlossen gegensteuern, dürfte nach den weltweiten Naturkatastrophen der vergangenen Monate nicht mehr nur den Klimaforschern und Umweltaktivisten klar sein, zumal dies zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen.

Angesichts der Bedrohung der Lebensgrundlage ALLER, welche sich nun wirklich nicht mehr leugnen lässt, sollte ein Ruck durch die Weltbevölkerung gehen. Die gravierende Erderwärmung und der daraus resultierende zerstörerische Klimawandel lassen sich jedoch nicht mit Individualismus und unter Berücksichtigung aller Partikularinteressen verhindern. Es werden ein Umbau des kompletten Wirtschaftssystems, sowie die damit verbundenen gesellschaftlichen Einschnitte nötig sein. Diese werden zwangsläufig schmerzhaft sein, deren Nutzen könnte sich unter Umständen erst langfristig zeigen – vielleicht erst innerhalb mehrerer Generationen. Dazu muss aber das WIR wieder in den Vordergrund gerückt werden – „Shareholders Value“ und kurzfristige Renditeerwartungen haben hier keinen Platz mehr. Nur wenn alle Interessen, auch die der nachfolgenden Generationen, berücksichtigt werden, ist ein weiteres Zusammenleben in Frieden und Wohlstand auf diesem Planeten möglich.

Zukünftig müssen alle weiterreichenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen zwangsläufig einer eingehenden Prüfung unterzogen und nach Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit – was keinesfalls neu ist – und vor allem der Zuträglichkeit für den Klimaschutz beurteilt werden. Dazu stehen bereits viele bekannte Instrumente zur Verfügung, wie die Berechnung der volkswirtschaftlichen Kosten oder des „Carbon Footprint“ (CO2-Fußabdrucks). Einer der neuesten und vielversprechendsten Ansätze dürfte jedoch die X-Degree Compatibility (XDC) sein, also die Umrechnung der von dem betrachteten Unternehmen durch spezifisches Wirtschaften erzeugten Emissionen auf ein °C-Äquivalent. Diese Gradzahl symbolisiert die globale Erwärmung, die resultieren würde, wenn alle Unternehmen eines Wirtschaftsbereichs in gleicher emissionsintensiver Weise handeln würden.

Der Ansatz, Investoren mithilfe des XDC-Modells eine Entscheidungsgrundlage auf Basis der zu erwartenden Klimaerwärmung durch das Wirtschaften der für sie im Fokus stehenden Unternehmen zu bieten, wobei möglichst alle Aspekte von A bis Z berücksichtigt werden, wurde von der Psychologin Hannah Helmke, Gründerin des Unternehmens right. based on science (www.right-basedonscience.de), kürzlich auf dem Forum Neue Energiewelt vorgestellt. Er erweist sich deshalb als genial und sehr effizient, weil bei dessen Berücksichtigung lokale und internationale Geldströme zunehmend in nachhaltig agierende Firmen und klimaschonende Projekte geleitet werden, während den Klimakillern die Mittel entzogen werden. Es gewinnt jeweils das im wettbewerbsvergleich emissionsärmere gegenüber dem emissionsintensiveren Unternehmen, wobei auch die Bruttowertschöpfung eine wichtige Rolle spielt. Mehr Wertschöpfung fließt bei gleichem Ressourceneinsatz positiv in die Gesamtbilanz ein. Bei konsequenter Anwendung dieses Prinzips verschwinden die rücksichtslos wirtschaftenden Unternehmen langsam aber sicher, was bei unreguliertem Business-as-usual ohnehin irgendwann passieren wird – nur können uns diese Kandidaten dann nicht ebenfalls alle in den Abgrund reißen.

Leider bleibt uns nicht mehr viel Zeit für die Transformation unserer Gesellschaft. Klimaforscher haben berechnet, dass die Trendwende innerhalb der kommenden zehn Jahre erfolgen muss, damit die eintretenden Folgen des Klimawandels noch beherrschbar bleiben. Das XDC-Modell ist jedoch eine greifbare, schnell zu implementierende Methode, um zukünftige Finanz-Entscheidungen zu beeinflussen und den Umbau existierender Firmen und ganzer Wirtschaftszweige mit marktwirtschaftlichen Instrumenten voranzutreiben. So könnten ein erfolgreicher Klimaschutz und eine zügige Energiewende weitestgehend ohne staatliche Eingriffe möglich werden. Wir müssen nur bereit sein, unsere kurzfristigen privaten Interessen ein wenig zurückzunehmen und bei Investitionen unsere Rendite- und Amortisationsrechnung auf einen etwas längeren Zeitraum von vielleicht 15, 20 oder 30 Jahren auszudehnen.

UNS muss endlich klar werden, dass es hier um das Überleben ALLER geht, also um das Wohl eines jeden Einzelnen. Nur wenn WIR ALLE zusammenarbeiten, dann schaffen WIR das!

— Der Autor Martin Schachinger beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Photovoltaik und Regenerativen Energien im Allgemeinen. Er ist innerhalb der Photovoltaik-Branche bestens vernetzt, was nicht zuletzt auf sein kontinuierliches Engagement für die internationale Online-Handelsplattform für Solarkomponenten www.pvXchange.com zurückzuführen ist, welche er 2004 zusammen mit zwei Partnern ins Leben rief. Dort wird ein breites Spektrum an Markenprodukten, Neu- und Gebrauchtware mit unterschiedlichsten Spezifikationen angeboten.—

Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.

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