Trübe Aussichten

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Noch besteht Hoffnung in Berlin-Adlershof. In der modernen Hauptverwaltung des einstigen Photovoltaikpioniers Solon wird weitergearbeitet. Das Sagen hat allerdings seit Mitte Dezember kein Unternehmer mehr, sondern der Insolvenzverwalter Rüdiger Wienberg. „Hoch motiviert“ seien die Mitarbeiter, versichert er, deren Löhne und Gehälter bis Ende Februar über das Insolvenzgeld gesichert sind. Ob dann ein neuer Investor für den alteingesessenen Modulproduzenten samt Markenname bereitstehen wird, ist offen. Bis Ende Januar konnten Gebote abgegeben werden, und Interessenten sind vorhanden, darunter der Konzern Microsol.
Wienbergs Berufsstand dürfte im laufenden Jahr noch mehr „Kunden“ aus der Solarindustrie erhalten. „Die Zahl der börsennotierten Solarfirmen wird sich nach unserer Einschätzung 2012 weiter reduzieren“, sagt Jochen Hauff, Direktor für Erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit bei AT Kearney. „Die Liquiditätslage war bei einigen Unternehmen am Ende des Jahres höchstprekär.“ Eklatantestes Beispiel war wohl Solon, dessen Eigenkapital bereits zum 30. September 2011 vollständig aufgezehrt war. Der Hersteller wurde schließlich von einer Nettoverschuldung von mindestens 400 Millionen Euro erdrückt und musste Insolvenz anmelden. „Es gibt immer noch zu viele Unternehmen im Markt. Die Überkapazitäten haben sich bisher kaum reduziert“, sagt Hauff. Wenn die Solon-Fertigungen stillgelegt werden sollten, reduziert sich das globale Produktionspotenzial gerade einmal um 440 Megawatt. Deshalb erwarten Beobachter ganz andere Dimensionen: „Angesichts der hohen weltweiten Überkapazitäten rechnen wir im Zuge der Branchenkonsolidierung damit, dass auch Firmen mit signifikanten, größeren Kapazitäten vom Markt verschwinden werden“, prognostiziert Jean-François Meymandi, Analyst der Schweizer UBS-Bank.
Aufschluss über den aktuellen Zustand der angeschlagenen Solarfirmen wird die anstehende Bilanzsaison geben, die im Februar eingeläutet wird. Dann müssen die börsennotierten Firmen über dieGeschäfte im vierten Quartal berichten und zugleich darüber, ob das volumenstarke Jahresendgeschäft auch profitabel war. Das wäre wichtig, um die negative Entwicklung der ersten drei Quartale zu durchbrechen. „Nur ein Viertel der von uns beobachteten Photovoltaikunternehmen hat im dritten Quartal 2011 überhaupt noch positive Ergebnisse im operativen Geschäft erzielt“, sagt Hauff. In einer internen Untersuchung haben die Unternehmensberater die Entwicklung des Gewinns vor Zinsen und Steuern (Ebit) von rund 50 börsennotierten Solarunternehmen analysiert. Von Quartal zu Quartal rutschten immer mehr Firmen in die Verlustzone. „Erwirtschafteten im Gesamtjahr 2010 noch 80 Prozent eine positive Ebit-Marge, waren es im dritten Quartal nur noch 25 Prozent.“ Manche der Firmen gibt es mittlerweile gar nicht mehr wie etwa Evergreen Solar oder sie schließen sich zusammen wie LDK Solar und Sunways.
Andere wie die Hamburger Conergy stehen mit dem Rücken zur Wand. Das Unternehmen, das seit 2006 permanentVerluste schreibt, überlebte das Ende des Jahres nur dank neuer Geldspritzen seiner Aktionäre und Gläubiger. So wurden über 200 Millionen Euro an Verbindlichkeiten, die Mitte des Jahres eigentlich fällig waren, im Zuge der Umschuldung durch neue, langfristige Darlehen ersetzt. Das schaffte zunächst einmal Zeit. Außerdem schossen die Aktionäre noch einmal frisches Kapital nach. Dennoch lag die Eigenkapitalquote Ende des dritten Quartals 2011 nur bei mageren 18 Prozent und dürfte sich auch im vierten Quartal kaum verbessert haben.
Dass die involvierten Banken bei ihren solaren Schuldnern bisher noch nicht die Reißleine gezogen haben, liegt vor allem daran, dass sie laut Hauff „versuchen zu retten, was noch zu retten ist.“ Denn im Falle einer Insolvenz müssten die Institute ihre Kredite wohl weitgehend abschreiben. Solche Wertberichtigungen aber würden ihnen die eigenen Bilanzen verhageln, was sie im Licht der internationalen Schuldenkrise und der damit verbundenen schwierigen Geschäftslage scheuen. „Wie lange einzelne Firmen tatsächlich noch operativ existieren werden, hängt kaum von ihnen selbst, sondern der Konsolidierungsstrategie der Banken ab“, resümiert Hauff. Deren langer Atem werde aber angesichts eigener Eigenkapitalprobleme zunehmend knapp.

Konsolidierung auf allen Stufen

„Die Konsolidierung wird auf allen Produktionsstufen stattfinden“, sagt Meymandi, „vor allem auf der Zell- und Modulebene. Zugleich werden wir aber keine großen Übernahmen sehen, weil die möglichen Ziele einfach nicht attraktiv sind. Potenzielle Investoren werden nicht bereit sein, für einen Einstieg alte Produktionsstätten zu übernehmen, wenn neue Fabriken mit besserer Technologie günstiger zu haben sind.“ Der Markenname werde immer stärker beschädigt, je länger Nachrichten über Millionenverluste der Firmen kursierten, ergänzt Hauff. Damit verschwinde ein weiterer Übernahmegrund.
Die Schuldenproblematik ist allerdings nicht nur auf deutsche Firmen begrenzt. Nach einer Analyse der Investmentbank Jefferies waren zum dritten Quartal 2011 keine Solarunternehmen rein quantitativ höher verschuldet als die chinesischen Anbieter LDK Solar und Suntech Power. Bei LDK Solar dürfte die Nettoverschuldung durch die Übernahme von Sunwaysweiter wachsen. Unter Nettoverschuldung wird die Summe der kurz- bis mittelfristigen Verbindlichkeiten abzüglich der liquiden Mittel und kurzfristig zu liquidierenden Vermögensgegenstände wie Wertpapiere verstanden.
„Die meisten der börsennotierten chinesischen Hersteller haben hohe kurzfristige Verbindlichkeiten in den Bilanzen“, schreibt Goldman Sachs in einer Analyse vom Dezember. „Allein Suntech hat aktuell eine Nettoverschuldung von 1,9 Milliarden Dollar in den Büchern stehen, davon werden 1,6 Milliarden kurzfristig fällig.“ Innerhalb eines Jahres haben sich die Schulden der Firma aus Wuxi mehr als verdoppelt und der Cashbestand halbiert. Die Eigenkapitalquote liegt mit 30 Prozent kaum höher als beim angeschlagenen deutschen Hersteller Q-Cells (27 Prozent). Dessen Nettoverschuldung ist mit gut 500 Millionen Euro deutlich niedriger. Mittlerweile wurden die Thalheimer auch von Wettbewerber Solarworld überholt, dessen Nettoverschuldung im Jahresverlauf 2011 auf über 750 Millionen Euro angeschwollen ist. Ende Januar musste Q-Cells allerdings den Verlust von mehr als der Hälfte des Grundkapitals zum 31. Dezember 2011 einräumen, und die kurzfristige Begleichung von 200 Millionen Euro aus einer Wandelanleihe steht unmittelbar an.
Auch bei den Anlagenbauern haben sich die Finanzkennzahlen verschlechtert, wie das Beispiel Centrotherm zeigt. Obwohl die Firma aus Blaubeuren wegen der hohen Maschinennachfrage 2011 mit einem Rekordumsatz und einem positiven Ebit-Ergebnis rechnet, stieg derSchuldenstand zum dritten Quartal um 70 Prozent auf netto 380 Millionen Euro. Hintergrund war neben der Aufnahme von Fremdkapital eine Ausweitung kurzfristiger Rückstellungen, etwa für drohende Verluste, sowie ein erhebliches Abschmelzen des Barbestandes, unter anderem wegen Abwertungen auf Vorräte. Vergleichsweise solide steht Wechselrichterproduzent SMA da, der auf eine Eigenkapitalquote von über 55 Prozent und eine Nettoverschuldung von rund 100 Millionen Euro kommt.
Wie ein Damoklesschwert schweben die hohen Vorräte insbesondere bei den Produzenten über ihren Bilanzen. Im Zuge von Preisanpassungen drohen weitere Abschreibungen in Millionenhöhe. Beunruhigend ist, wie stark die Vorräte bei manchen Firmen bis zuletzt angewachsen waren. Sie stiegen etwa bei Solarworld zum 30. September im Vergleich zum Jahresanfang um 60 Prozent auf 535 Millionen Euro. Bei Suntech füllte sich das Lager um 50 Prozent auf 700 Millionen US-Dollar. Ob das starke Jahresendgeschäft diese Ziffern hat erheblich sinken lassen, ist eine der spannendsten Fragen an die kommende Bilanzsaison. Eine andere, wie sich die Preise in den nächsten Monaten entwickeln.
„Eine Stabilisierung der Modulpreise“ wäre laut UBS „der Schlüssel für eine wieder positivere Finanzsituation der Firmen.“ Wie stark die Marktbereinigung ausfallen wird, ist also noch längst nicht klar. Doch die Hoffnung davonzukommen stirbt – wie das Beispiel Solon zeigt – bei den Firmen bekanntlich zuletzt.

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