„Ambitioniert, aber erreichbar“

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Herr Fell, Sie haben vor, bis 2040 stolze 100 Prozent erneuerbare Energie im Strombereich für ganz Europa zu erzielen. Können Sie uns das ein wenig näher erläutern?

Der Parteitag der Grünen hat beschlossen, dass wir zwei Ziele anstreben: Einmal für ganz Europa bis 2030 die Stromversorgung ganz auf erneuerbare Energien umzustellen, und zum anderen bis 2040 auch die restlichen Energien. Wir wissen, das ist ambitioniert, aber wir wissen auch, das ist erreichbar, nämlich dann, wenn es einen gesamtgesellschaftlichen Konsens dafür gibt und endlich die Barrieren gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien beendet werden.

Wie genau sollen die erreicht werden? Nur durch Verzicht auf Atomkraft, durch ein Nichtausbauen der Stein- und Braunkohle? Oder durch welche Maßnahmen genau?

Das sind eine ganze Menge von Maßnahmen. Wir haben in unserem Energiekonzept 2.0, das wir schon vor über einem Jahr verabschiedet haben, 78 Einzelmaßnahmen aufgelistet, und die sind immer noch nicht vollständig. Das geht von der Unterstützung für Energieeinsparungen – alleine das Tempolimit auf Autobahnen reduziert den Spritbedarf – über intelligente Steuerungen im Haushalt für den Strombereich, damit wir auch hier das Energieeinsparen in den Mittelpunkt stellen, bis hin natürlich zur Lockerung der Barrieren für den Ausbau der erneuerbaren Energien.Sie wissen, es gibt immer noch Bundesländer, die machen eine Genehmigungspraxis für Windräder, die eigentlich eine Verhinderungspraxis ist. Sie wissen, dass es im Denkmalbereich unheimlich große Probleme für Menschen gibt, die so ein Haus besitzen, dort eine Photovoltaik- oder eine Solarthermieanlage aufzubauen. Also: Das müssen wir uns ansehen, natürlich unter Beachtung des Denkmalschutzes – ich bin ein großer Freund davon. Nur bei diesem Beispiel müssen wir schauen, wo es unsinnige Hemmnisse gibt, und die gibt es massenhaft in unserer Gesellschaft, in unserer Gesetzgebung, in den Verordnungen, von der kommunalen bis auf die europäische Ebene. Das müssen wir Stück für Stück ausräumen.

Der Denkmalschutz allein ist aber wohl nicht das einzige Hemmnis auf dem Weg zu einhundert Prozent Erneuerbaren in der Stromversorgung.

Natürlich nicht. Es gehört noch mehr dazu: nicht nur das Durchforsten der Gesetze, wir brauchen auch neue Gesetze. Wir brauchen zum Beispiel Steuererleichterungen für den Kauf von Produkten, die Energieeinsparung und erneuerbare Energien zusammen bringen. Wir brauchen endlich eine Beendigung der gigantischen Subventionen für die konventionellen Energien. Die sind ja nur deswegen billig, weil sie eben unheimliche Subventionen bekommen, weitaus mehr als erneuerbare Energien, denen man das immer zum Vorwurf macht.Von daher brauchen wir auch – um das vielleicht noch als Beispiel zu nennen – eine richtige Offensive in der Bildung und Ausbildung. Die Menschen müssen wissen, welche Chancen in den erneuerbaren Energien stecken und welche Probleme in den konventionellen. Und natürlich brauchen wir eine Ausbildung, damit die Handwerker nicht erst im Betrieb angelernt werden, sondern schon von der Berufsschule mit dem Wissen des Solarteurs kommen, und vieles andere mehr. Da gibt es viele Aufgaben, die wir angehen wollen, und das lässt sich machen, wenn man das in der Gesellschaft richtig organisiert.

Die Stromversorgung, die Sie bis 2030 auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen wollen, wird ja bisher von fossilen und atomaren Energiequellen dominiert. Und selbst wenn wir annehmen, dass die Photovoltaik dann vielleicht schon einen Anteil von 20 Prozent hat. Bisher hat der Wind den höchsten Anteil an den Erneuerbaren, aber der kommt auf der hohen See nicht so richtig voran und im Binnenland heißt es, da sei nicht mehr viel Platz. Wie wird der Strommix Ihrer Meinung nach 2030 aussehen?

Der Wind kommt voran, um es ganz deutlich zu sagen.

Auch auf hoher See?

Auch auf hoher See wird er vorankommen, vor allem, wenn es mehr Unterstützung gibt. Man darf nicht immer nur sagen: „Da gibt es Hemmnisse.“ Man muss die natürlich erkennen, aber dann auch ausräumen. Glauben Sie denn im Ernst, die Franzosen hätten es in 20 Jahren geschafft, zu 80 Prozent auf Atomstrom umzustellen,wenn sie beim Atomstromausbau überall nur Probleme gesehen hätten? Nein, die haben gemeinsam angepackt und haben alles getan – mit allen Finanzen und Privilegien ohne Ende, unter denen wir heute noch leiden mit dieser schlimmen Technologie –, und dann war das möglich. Warum soll das für erneuerbare Energien nicht gelingen, wo wir technologisch erst am Anfang stehen? Denken Sie an das große Potenzial der Tiefenerdwärme, die wir auch für die Stromerzeugung nutzen können. Denken Sie an das Potenzial der Meeresenergie, die Wellen, die Strömungen, vielleicht nicht so sehr in Deutschland, aber europaweit – ein gigantisches Potenzial. Und so können wir Baustein für Baustein dazustellen. Aber es kommt noch etwas hinzu, das uns natürlich politisch hilft. Wir haben Verbündete in ganz anderen Bereichen: der steigende Ölpreis, die Klimaentwicklung, die uns große Sorgen bereitet. Das wird die Menschen zu Lösungen bringen, und nicht mehr nur zu ein bisschen Problemreduzierung. Nicht Reduktion von Emissionen muss das Ziel sein, sondern Umstellung auf erneuerbare Energien, weil sie null Emissionen haben. Wir haben gigantische Potenziale, die müssen wir aufgreifen, die müssen wir in den Mittelpunkt stellen und endlich die Bremsen lösen, dann geht das wahrscheinlich noch vor 2030.

Wie stellen Sie sich den Energiemix ungefähr vor, wenn Sie jetzt in die Zukunft blicken?

Das hab ich mir im Detail noch nicht angeschaut, was ein optimaler Energiemix ist. Er wird mit Sicherheit einen großen Anteil an Wind haben. Ich schätze mal Photovoltaik so 20 bis 30 Prozent, Wind irgendwo um die 40 Prozent, das lässt sich sicherlich machen. Die Bioenergie und die Erdwärme werden auch etwas beitragen, Off-shore-Windenergie kommt natürlich noch mit einem großen Potenzial dazu. Wir werden auch Stromimporte haben, Solarstrom aus Nordafrika, aus Marokko Windstrom, aus Norwegen Wasserkraftstrom und anderes.Ich glaube, dass da ein Stück weit auch Windhundprinzip drin ist, und da hat die Windenergie natürlich die Nase vorn. Wichtig ist auch, dass wir die Angebotsschwankungen wegpuffern können – beispielsweise werden durch das Abschalten der Atomreaktoren ganz viele Pumpspeicherkraftwerkskapazitäten frei, die man dann für Windenergiespeicherung nutzen kann, und da sehen wir, dass wir das heute noch nicht vorhersehen können. Es kann schnell gehen, aber wer den Löwenanteil hat, ist noch nicht exakt zu sagen.

Wenn man sich dieses Szenario so anhört, dann bekommt man leicht den Eindruck, dass die Photovoltaik darin die größten Zuwächse hat.

Von den Zuwächsen her auf jeden Fall. Schon heute sind ja die Wachstumsgeschwindigkeiten in der Photovoltaik die stärksten, sie werden meines Erachtens auch beibehalten, und da kommt übrigens noch ein Verbündeter hinzu: Wenn wir Mitte des nächsten Jahrzehnts die Grid parity haben, dann wird es ganz viele Menschen geben, die sagen: „Was soll ich den teuren Strom von Eon kaufen, mit Kohle und Atom. Ich bin ein Umweltfreund!“ Und im Hinterkopf hat er: „Weil es ja billiger ist.“ Von daher wird hier auch ein Prozess an sich in Gang kommen, mit weiterer Kostenreduzierung der erneuerbaren Energien und steigenden Preisen der konventionellen Energien wegen der Verknappung und der Umweltschäden. Beides addiert sich natürlich auf, und somit werden wir sehr schnell Mitte des nächsten Jahrzehnts auch Selbstläuferprozesse bekommen, die mehr und mehr von der Politik unabhängig sind.

Zitat

„Wir haben in ganz Europa gigantisches, bislang ungenutztes Potenzial.“

Das heißt im Umkehrschluss: weniger Großprojekte, auch in der Photovoltaik, und mehr kleinere Anlagen bei den Häuslebauern und bei den Genossenschaften, die dann eben diesen Strom für sich selbst nutzen wollen. Also die Dezentralisierung der Stromerzeugung.

Obwohl ich auch zentrale Anlagen der erneuerbaren Energien unterstütze, wie den erwähnten Solarstrom aus Nordafrika, das wird nur mit großen, zentralen Anlagen und mit riesigen Stromnetzen gehen. Ich unterstütze das, weil mir das lieber ist als ein Strombezug aus Atomreaktoren aus anderen Ländern oder aus Kohlekraftwerken, wir werden das nicht brauchen. Aber dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass die entscheidende Musik in der Tat in der Dezentralität liegt. Das wird den Menschen viel, viel mehr Optionen eröffnen, auch in Richtung der persönlichen Autarkie zu gehen. Ich weiß, dass manche damit liebäugeln, noch ist es für die meisten zu teuer. Aber da hat gerade die Photovoltaik einen extrem großen Vorteil.

Das Gespräch führte Karsten Schäfer.

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