Wer in der Solarbranche tätig ist, begegnet früher oder später den Begriffen P50, P90 oder P99. Was auf den ersten Blick wie Fachjargon wirkt, beschreibt in Wahrheit ein zentrales Instrument zur Ertragsprognose – insbesondere im Kontext der Projektfinanzierung. Das „P“ steht für „Probability“ (Wahrscheinlichkeit), die nachgestellte Zahl gibt das Konfidenzniveau an: also beispielsweise 50 Prozent, 90 Prozent oder 99 Prozent.
Der Umgang mit Wahrscheinlichkeiten ist für viele jedoch ungewohnt. Menschen denken lieber deterministisch – also in festen Ursache-Wirkung-Zusammenhängen. Wer nicht lernt, besteht die Prüfung nicht. Wer Sport treibt, steigert seine Leistung. Kein Ausdauertraining? Dann reicht schon ein Treppenaufstieg für Kurzatmigkeit.
Anders sieht es aus, wenn wir versuchen, Risiken zu quantifizieren: Werde ich auf dem Weg ins Fitnessstudio in einen Unfall verwickelt sein? Wahrscheinlich nicht. Doch bei einer angenommenen Entfernung von 700.000 Kilometern, die Sie im Laufe eines Lebens mit dem Auto zurücklegen, liegt die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls über Jahrzehnte hinweg deutlich höher . Und genau das ist der Kern statistischer Wahrscheinlichkeiten: Sie erlauben es, Eintrittswahrscheinlichkeiten über einen definierten Zeitraum hinweg abzuschätzen.
In der Solarbranche beschreiben P50, P90 und P99 die Wahrscheinlichkeit, dass eine Photovoltaik-Anlage in einem Jahr mindestens eine bestimmte Energiemenge erzeugt. Dieser Artikel zeigt, warum diese Werte entscheidend sind, wie sie berechnet werden – und wie Sie sie sinnvoll einsetzen.
Solarenergie: Ein Sonderfall in der Stromerzeugung
Im Gegensatz zu vielen konventionellen Kraftwerken – etwa Gas- oder Kernkraft – können Photovoltaik-Anlagen nicht kontinuierlich Strom erzeugen. Die Stromproduktion ist unmittelbar vom Wetter abhängig. Und das Wetter ist, wie jeder Landwirt, Meteorologe oder Outdoor-Profi bestätigen kann, schwer vorhersehbar.
Wie lässt sich also die Sonnenenergie quantifizieren, die ein Solarmodul an einem bestimmten Ort im Laufe eines Jahres erhält? Interessanterweise funktioniert hier ein Prinzip in umgekehrter Richtung: Zwar lässt sich das Wetter für einen bestimmten Tag in der Zukunft nur schwer vorhersagen – doch über Monate und Jahre hinweg lassen sich saisonale Muster mit großer Sicherheit erfassen. So wissen wir, dass der Juni in Mitteleuropa wärmer ist als der Dezember, dass der April wechselhaft ist und der Herbst die Blätter färbt. Diese Langfristtrends bilden die Basis jeder soliden Solarprognose.
Von historischen Wetterdaten zu P-Werten
Glücklicherweise existieren weltweit umfangreiche Wetterarchive – teils öffentlich finanziert, teils durch privatwirtschaftliche Anbieter betrieben. In den USA etwa liefert das National Renewable Energy Laboratory (NREL) zusammen mit der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) flächendeckende meteorologische Daten. Ergänzt werden diese durch Satellitendatenanbieter wie Solar Anywhere, Solcast und Solar GIS .
Basierend auf jahrzehntelangen Wetteraufzeichnungen werden sogenannte TMY (Typical Meteorological Year)-Dateien erstellt – also typische meteorologische Jahre. Diese basieren meist auf 15 bis 30 Jahren Datenhistorie. Verfahren wie die Sandia-Methode sorgen dafür, dass extreme Ausreißer (besonders gute oder schlechte Jahre) geglättet werden. Das Ergebnis ist eine statistisch abgesicherte Jahreswetterdatei für einen bestimmten Standort.
Diese TMY-Datei wird anschließend in der Photovoltaik-Planungssoftware verwendet, um den jährlichen Energieertrag der Anlage zu simulieren. Das daraus resultierende Ergebnis ist der P50-Wert – ein Mittelwert: In 50 Prozent der Fälle wird die tatsächliche Produktion darüber liegen, in 50 Prozent darunter. Über die Lebensdauer der Anlage gleicht sich das reale Mittel meist eng an den modellierten P50-Wert an (unter Annahme konstanter Verfügbarkeit und Degradation).
Warum P50 für Investoren nicht ausreicht
Nehmen wir an, Sie haben Ihre Anlage modelliert, die TMY-Daten sorgfältig ausgewählt, den erwarteten Jahresertrag berechnet – und wollen nun mit dem Bau beginnen. Technisch möglich. Doch bei der Finanzierung eines Projekts reicht ein P50-Wert selten aus.
Denn Banken oder institutionelle Investoren verlangen eine möglichst sichere Prognose über die erwarteten Erträge. Eine Ertragswahrscheinlichkeit von 50 Prozent – quasi ein Münzwurf – ist nicht sicher genug. Für die Risikobetrachtung werden daher sogenannte P90– oder P99-Werte verwendet.
- P90: Mit 90 Prozent Wahrscheinlichkeit wird der reale Ertrag mindestens diesem Wert entsprechen.
- P99: Mit 99 Prozent Wahrscheinlichkeit – also extrem konservativ.
Die Differenz zwischen P50, P90 und P99 lässt sich am besten über eine Normalverteilungskurve (Glockenkurve) darstellen.
Zwei Wege zur Berechnung von P90/P99
Es gibt zwei gängige Verfahren, um aus einem P50-Wert die konservativeren P90- und P99-Werte abzuleiten:
- Modellierung mit alternativen TMY-Datensätzen
Mehrfache Simulationen auf Basis unterschiedlicher Wetterjahre ergeben ein Ertragsspektrum, aus dem sich statistisch P90 und P99 ableiten lassen. - Anwendung eines anerkannten Wahrscheinlichkeitsmodells
Wir bei ei Solesca nutzen wir ein in Genf entwickeltes, branchenweit anerkanntes Verfahren. Dabei wird aus dem P50-Wert und der bekannten Variabilität der Global Horizontal Irradiance (GHI) sowie unter Annahme einer Normalverteilung die Standardabweichung berechnet. Daraus lassen sich präzise P-Werte ableiten.
Beide Methoden sind bankfähig und werden in der Praxis verwendet – je nach Projektanforderung und Datenlage.
Praktische Anwendung im Projektalltag
Auch wenn sich mit den Modellen keine tagesgenaue Vorhersage treffen lässt, liefern sie über mehrjährige Zeiträume hinweg zuverlässige Aussagen.
- P50-Werte eignen sich für Asset Manager und Betreiber als Erzeugungszielgröße, um das System im laufenden Betrieb zu bewerten.
- P90- und P99-Werte werden primär von Finanzpartnern genutzt, um Investitionsrisiken realistisch einzuschätzen.
Wir liefern Ihnen alle drei P-Werte – erstellt mit bankfähigen Methoden und auf Basis anerkannter Datenquellen, aufbereitet in klar verständlicher Form.
— Der Autor Rocco Fucetola ist Leiter Operatives Geschäft bei Solesca. Solesca entwickelt Pre-CAD-Software für gewerbliche Dachanlagen sowie Freiflächenanlagen. Das Unternehmen hat bereits bei der Bewertung von über 100 Gigawatt an Solarprojekten unterstützt. —
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Zur Klarstellung für diejenigen, die sich mit Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht so auskennen: Die P90- und P99-Werte sind nicht die mit 90 (oder 99) prozentiger Sicherheit mindestens erreichten Durchschnittswerte über mehrere Jahre, sondern die mit 90 (oder 99) prozentiger Sicherheit erreichten Mindestjahreserträge einzelner Jahre. Das ist besonders interessant, wenn es um ein PPA geht, bei dem die Lieferung bestimmter Strommengen innerhalb eines Jahres festgelegt wird. Da kann man natürlich nur so viel vereinbaren, wie mit 90 (oder 99) prozentiger Sicherheit geliefert werden kann.
Sehr interessant werden diese Zahlen auch, wenn ein an die volatilen Stromerzeuger angepasster Börsenhandel eingeführt wird. Auch dieser Börsenhandel muss dann mit diesen wahrscheinlichen Strommengen stattfinden, ohne dass der Verkäufer sagen kann (und sagen muss), wann genau er diesen Strom liefern wird. Er kann aber mit 99prozentiger Sicherheit sagen, dass er die vereinbarte Strommenge nach Ablauf des Jahres (oder eines anderen Zeitraums) geliefert haben wird. Kann er das doch nicht, beispielsweise wegen eines technischen Defekts, muss er kurzfristig Strommengen anderswo zukaufen, im Zweifelsfalle von Erzeugern, die zufällig mehr als die Mindestmenge produziert haben, auf die sie sich verpflichtet haben. Die Anpassung des Lieferprofils an das Verbrauchsprofil liegt dann in den Händen der Netzbetreiber. Die haben genug Speicher und Reservekraftwerke verpflichtet, um Mehrproduktion vorübergehend aufzunehmen, und vorübergehende Minderproduktion zu ersetzen. Nur die Bilanz im Monat, Vierteljahr oder ganzen Jahr muss stimmen. So funktioniert das heute schon im Bereich der Regelenergie mit kurzem Zeithorizont von bis zu 15min. Es spricht aber nichts dagegen, diesen Zeithorizont auf die Schwankungszyklen der volatilen Erneuerbaren, also bis zu einem Jahr, anzuheben.
So könnte es sein, und wäre für die Verbraucher die beste Lösung, um eine sichere, preisgünstige und umweltfreundliche Stromversorgung zu bekommen. Mal sehen, wer das noch erlebt.