Erdgas, die unendlich lange Brücke in das Solarzeitalter

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Im Streit um die EU-Taxonomie über Erdgas und Atomenergie hat nun die Bundesregierung Stellung bezogen. Sie positioniert sich klar gegen Atomkraft als nachhaltig, sieht aber wie alle Vorgängerregierungen im höchst klimaschädlichen Erdgas eine Brückentechnologie in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Dabei ist Erdgas mindestens so klimaschädlich wie Kohle, aufgrund der hohen Methanemissionen infolge von Leckagen beim Fördern und im Transport.

Auch die Ampelkoalition ist damit auf den erdgaspolitischen Vorstellungen der 90er Jahre stehen geblieben. Die EU-Kommission bleibt gar in Erdgas- und Atompolitik auf dem Irrweg der 90er Jahre. Seit weit über 30 Jahren wird das goldene Erdgaszeitalter mit großem Propagandaaufwand aus der Erdöl- und Erdgaswirtschaft heraufbeschworen. Es wurde immer behauptet, erneuerbare Energien könnten nicht schnell genug wachsen, daher brauche man noch fossile und atomare Energien, um Klimaschutz zu machen – eben Brückentechnologien.

Typisch für diese 90er Jahre Energiepropaganda ist das Energiememorandum 1995 der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). So lauten Zitate aus dem Memorandum: „Es muß ein Programm erstellt werden mit dem Ziel, im Jahre 2030 ein Drittel des deutschen Strombedarfs aus regenerativen Quellen zu decken.“ Wohlgemerkt haben wir heute 2021 schon knapp 50 Prozent Ökostrom in Deutschland.

Und weiter heißt es bei der DPG:

„Für Anwendungen bis zu 900°C ist das technisch bereits sehr weit entwickelte Konzept des Hochtemperaturreaktors kleinerer Leistung sehr geeignet, der gleichzeitig Strom und hochwertige industrielle Prozeßwärme liefern kann. Dieser Typ von Kernreaktor ist aufgrund seiner speziellen Konstruktionsmerkmale besonders sicher betreibbar. Bei konsequenter Weiterentwicklung könnte er in etwa 20 Jahren einsetzbar sein. Er könnte ferner dazu genutzt werden, durch Zerlegung von Erdgas Wasserstoff zu erzeugen, der in dem heute sehr emissionsstarken Bereich der Stahlherstellung und der Ammoniakerzeugung gebraucht werden kann. Aufgrund dieser Sachlage wird langfristig der Einsatz von Hochtemperaturreaktoren im Bereich der Prozeßwärme unter Hinweis auf die weiter unten gegebenen prinzipiellen Empfehlungen zur Nutzung der Kernenergie befürwortet.“

Schon damals spielte also auch Wasserstoff aus Erdgas, produziert mit Hilfe der Atomenergie, eine große Rolle. Alles Ziele, die sich in der Diskussion um die EU-Taxonomie auch heute wiederfinden. Dass Atomenergie und atomarer Wasserstoff aus Erdgas bis heute gar nichts von dem erfüllt haben, was die DPG und mit ihr viele andere in ihren Ankündigungen vorhersagten, sieht man heute überdeutlich: Weder gibt es irgendwo in der Welt wirtschaftlich arbeitende kleine Hochtemperatur-Reaktoren noch Wasserstoff aus Atomstrom.

Auch die Dokumentation des Bundeswirtschaftsministeriums Nr. 387 von 1996 lag für erneuerbare Energien mit den Energieperspektiven bis zum Jahre 2020 völlig daneben. Hier die Zitate:
„Die regenerativen Energien werden einen steigenden, aber nach wie vor kleinen Beitrag zur Primärenergiedeckung erbringen. In der Stromerzeugung gewinnen Sie einen beachtlichen Anteil von über 7 % (gegenwärtig etwa 4,5 %).“

Beim Erdgas wurden dagegen, damals genauso wie heute, immer sehr optimistische Aussagen getroffen: „Die größten Expansionsmöglichkeiten sind für Russland längerfristig aber auch für andere GUS-Staaten und den Nahen Osten gegeben. Die Erdgaswirtschaft in Europa wird zunehmend eine internationale Organisation und Struktur, ähnlich der heutigen Struktur der Mineralölwirtschaft annehmen.“

Das genau waren die politischen Strategien, die Deutschland und die EU in die geopolitisch hochgefährliche Abhängigkeit von Russland gebracht haben und zudem in das Klimadesaster mit einem immer schneller steigenden Methangehalt in der Atmosphäre, der das Klima immer weiter massiv aufheizt. Zudem sind wir heute mit der Erdgasabhängigkeit in der Falle hoher Erdgaspreise. All das hätte nicht sein müssen, wenn schon in den 90er Jahren auf den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien statt auf den Ausbau der Erdgasinfrastruktur gesetzt worden wäre.

In den Jahren seit 2010 hat dann die politische Zielvorstellung um Erdgas als Brückentechnologie erst richtig Fahrt aufgenommen. Der Kerngedanke, der eine Brückentechnologie begründen soll, ist immer gleich, wie schon in den 90er Jahren: Die erneuerbaren Energien können nicht schnell wachsen, man brauche daher übergangsmäßig noch fossile Energien. Genau mit diesem Argument wird seit Jahrzehnten der Ausbau fossiler Energien und insbesondere von Erdgas befördert, was letztendlich eine der Hauptursachen ist, warum erneuerbare Energien eben tatsächlich nicht so schnell gewachsen sind, wie sie es hätte tun können. Denn längst könnten wir in Deutschland und anderen Ländern 100 Prozent Ökostrom haben, wenn im letzten Jahrzehnt alle politischen Kräfte sich auf den Ausbau der erneuerbare Energien konzentriert hätten, ohne Umwege und Brücken wie das Erdgas.

Erheblich zu dieser Fehlentwicklung beigetragen haben auch Institute, die immer von sich behaupten auf der Seite der Umwelt und des Klimaschutzes zu stehen. Ein Beispiel ist das Wuppertal Institut. Es hatte 2009 eine Studie erarbeitet, mit folgender Zielsetzung: „Auf dem Weg zu einer Vollversorgung im Bereich der Stromerzeugung durch regenerative Energien bis zur Mitte des Jahrhunderts werden fossile Energiequellen weiterhin ihren Platz haben und mittelfristig den Großteil des Energiebedarfs decken müssen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Brücke zu dem Ziel einer regenerativen Vollversorgung aussehen kann und welche Form der konventionellen Strombereitstellung den Ausbau der erneuerbaren Energien am besten begleiten kann.“

Auch die Internationale Energie Agentur in Paris (IEA) hat stets für den Ausbau von Erdgas die Lanze gebrochen und damit dem Klimaschutz einen Bärendienst erwiesen. So sagte sie noch 2011 das goldene Zeitalter Erdgas voraus. Von einem goldenen Solarzeitalter war bei der IEA nie die Rede. Aber genau diese massiven Milliarden-Investitionen in die Erdgasinfrastruktur des letzten Jahrzehnts haben erheblich dazu beigetragen, den Ausbau der erneuerbaren Energien drastisch auszubremsen. Diese hunderten Milliarden für neue Erdgasförderungen, Erdgaspipelines, LNG-Terminals, Erdgaskraftwerke und Erdgasheizungen fehlten für den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Die „Brückentechnologie Erdgas“ war also in Wirklichkeit die massivste Behinderung des Weges in das Solarzeitalter zu 100 Prozent erneuerbare Energien.

Auch in diesem Jahrzehnt wird die politische Erdgasbrückentechnologie der EU-Kommission und der Ampelkoalition den Ausbau der Erneuerbaren behindern und eben keine Brücke zu 100 Prozent erneuerbare Energien darstellen. Solange sich weiter die Lobbyisten mit ihrer Erdgaspropaganda durchsetzen und es eine politische Unterstützung von Erdgas mit Hilfe der angeblichen Brückentechnologie gibt, wird es kein Erreichen des Solarzeitalters geben. Jede Erdgasbrücke wird so nur unendlich lang werden.

Das Solarzeitalter und damit echter Klimaschutz werden erst dann verwirklichbar sein, wenn es keine Brückentechnologie wie Erdgas und Atom oder sonstige fossile Umwege wie CCS mehr gibt, sondern ganz konsequent nur noch in erneuerbare Energien investiert wird.

— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —

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