Power to the Bauer mit Agri-Photovoltaik!

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Eines vorab: Ich freue mich über den erfrischenden und provokativen Diskussionsbeitrag zur Agri-Photovoltaik von Ralf Schnitzler. Wie er bin ich der Meinung, dass das Thema Agri-Photovoltaik im öffentlichen Diskurs bisher viel zu wenig Beachtung gefunden haben – allerdings insbesondere die damit verbundenen Chancen. Und auch ich bin der Meinung, dass viel stärker zwischen besseren und schlechteren Formen der erneuerbaren Energieerzeugung unterschieden werden sollte – und erhebliche Potenziale in der Umwandlung von bisherigen Energiepflanzenanbau in (Agri-)Photovoltaik stecken.

Agri-Photovoltaik – eine Nische?

Agri-Photovoltaik, die Doppelnutzung einer Fläche für Stromerzeugung und Landwirtschaft, ist ein sehr weites Feld mit sehr unterschiedlichen Ansätzen und Möglichkeiten. Sehr zu meinem Erstaunen wird in Deutschland jüngst häufig versucht, Agri-Photovoltaik auf den Einsatz im Nischenbereich der landwirtschaftlichen Sonderkulturen (beispielsweise Obstplantagen oder Beerenanbau) zu fokussieren. Hier gibt es sicher sehr interessante Anwendungsmöglichkeiten, so die Nutzung von Photovoltaik als Schattenspender und Hagelschutz für diese Pflanzenarten. Wir sprechen hier allerdings über eine sehr kleine Nische, die etwas mehr als ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland ausmacht. Selbst wenn alle geeigneten Standorte (sicher nur ein sehr kleiner Anteil) in diesem Segment für Agri-Photovoltaik genutzt würden, wäre der Beitrag für die Energiewende in Deutschland doch eher bescheiden.

Die breite Masse dürfte bei Agri-Photovoltaik wohl als erstes an hochaufgeständerte Anlagen wie in Heggelbach oder künftig im Lüchow denken. Dieses Segment bietet sehr interessante Möglichkeiten gerade im Hinblick auf die Anpassung an den Klimawandel, die eine enorme Herausforderung darstellt. Mit dem fortschreitenden Klimawandel wird es in den heutigen ariden und semiariden Zonen, die bisher einen erheblichen Teil der landwirtschaftlichen Produktion beitragen, zunehmend schwierig die Bedingungen für eine landwirtschaftliche Nutzung aufrecht zu erhalten.

Vor diesem Hintergrund halte ich die Ansicht von Ralf Schnitzler, dass landwirtschaftliche Flächen in Deutschland nicht knapp sind, für nicht zutreffend. Selbst wenn man den von ihm galant postulierten Wandel der Ernährungsgewohnheiten hin zum Vegetarismus unterstellt, wird der notwendige Beitrag der knappen Flächen in humiden Zonen absehbar einen größeren Beitrag zur Ernährung der weiter steigenden Weltbevölkerung beitragen müssen.

Um auch in den (semi-)ariden Zonen unter geänderten klimatischen Bedingungen weiterhin Nutzpflanzenanbau betreiben zu können, können hochaufgeständerte Agri-Photovoltaik-Anlagen einen wichtigen Beitrag leisten und als Schattenspender für die Nutzpflanzen die Weiterbewirtschaftung teilweise überhaupt erst ermöglichen. Und gerade in diesen sehr strahlungsintensiven Regionen dürften die von Ralf Schnitzler kritisieren Mehrkosten dieses Anlagentyps bezogen auf die bereitgestellte Energiemenge überschaubar sein.

In den humiden Regionen Mittel- und Nordeuropas steckt ein erhebliches Potenzial in bodennah aufgeständerten Agri-Photovoltaik-Konzepten wie dem vertikalen bifazialen Anlagenkonzept. Durch die geringe Überbauung (bei vertikalen bifazialen Anlagen typischerweise unter einem Prozent der Fläche) geht kaum Fläche verloren und erste Untersuchungen zeigen, dass der moderate Schattenwurf der Anlagen den landwirtschaftlichen Ertrag der Flächen gerade in trockenen Perioden erheblich unterstützen kann.

Die Forschungsgruppe von Christoph Gerhards am Fraunhofer IMW hat berechnet, dass allein auf den 2,3 Millionen Hektar, auf denen aktuell Energiepflanzen angebaut werden, mit vertikaler bifazialer Agri-Photovoltaik mit circa 750 Terawattstunden gut 30 Prozent des gesamten deutschen Energiebedarfs 2030 gedeckt werden könnte mit Energiepflanzen auf dieser Fläche wären es nur circa zwei Prozent. Gleichzeitig stünde diese Fläche durch die Doppelnutzung wieder weitgehend für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung.

Biodiversität und Agri-Photovoltaik – eine hervorragende Symbiose

Ralf Schnitzler adressiert in seinem Beitrag völlig zurecht, dass die Biodiversität neben dem Klimawandel eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist. Es besteht jedoch keineswegs ein Widerspruch zwischen Agri-Photovoltaik und Biodiversität – ganz im Gegenteil: Gerade Agri-Photovoltaik-Anlagen können hier einen sehr wertvollen Beitrag leisten. Die regelmäßigen Unterbrechungen der landwirtschaftlichen Monokulturen durch die Modulreihen können nicht nur die bodennahen Winde bremsen und so die Bodenerosion vermindern, sondern zur gezielten Förderung der Biodiversität eingesetzt werden. Während die eigentliche Überbauung der Flächen bei vertikalen bifazialen Anlagen unter einem Prozent liegt, zeigen erste Erfahrungen, dass etwa 90 Prozent der Fläche maschinell bewirtschaftet und weiterhin effizient landwirtschaftlich genutzt werden können. Somit verbleiben knapp zehn Prozent im unmittelbaren Umfeld der Modulreihen, die für Altgras- und Blühstreifen genutzt werden können und so gerade und auch in großen landwirtschaftlichen Monokulturen neue Habitat-Strukturen für eine diverse Flora und Fauna schaffen können.

Netzdienliche Agri-Photovoltaik als wichtiger Baustein für eine beschleunigte Energiewende

Ganz nebenbei kann diese Art der Agri-Photovoltaik auch noch einen weiteren kritischen Faktor für die Energiewende in den kommenden Jahren entschärfen: Die Netzstabilität und die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien über den Tag. Konventionelle südausgerichtete Photovoltaik-Anlagen mit einer Peak-Produktion um die Mittagszeit führen schon jetzt häufig zu einem Strom-Überangebot zur Tagesmitte, während die Tagesrandzeiten weiterhin im Wesentlichen auf konventionelle Energieerzeugung angewiesen sind. Die für die landwirtschaftliche Primärnutzung erforderliche geringere Belegungsdichte ermöglicht neue, netzdienliche PV-Konzepte. So haben Ost-West-ausgerichtete vertikale bifaziale Anlagen ihre Peak-Produktion in den Morgen- und Abendstunden und können so die Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom über den Tag erheblich verbessern, den Bedarf für knappe und kostenintensive Stromspeicherung vermindern und die mögliche Geschwindigkeit bei der weiteren Energiewende erhöhen.

Sozioökonomische Chancen der Agri-Photovoltaik

Der – erheblich subventionierte – Anbau von Energiepflanzen und die konventionelle Photovoltaik stehen vor allem auch deshalb in der Kritik, da sie in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen und einen erheblichen Druck auf die Pachtpreise für landwirtschaftliche Flächen ausüben. Was den ökonomisch fokussierten Landeigentümer freuen mag, kann für den Landwirt mit Pachtflächen in existenzielle Schwierigkeiten bringen. Die Pachtpreise steigen, und wichtige Flächen fallen für die Nahrungs- und Futtermittelerzeugung weg. Nicht so bei Agri-Photovoltaik – hier wird der „Tank-Teller-Tradeoff“ aufgelöst und Pächter und Landeigentümer können gleichermaßen von der Doppelnutzung profitieren: Der Landeigentümer durch zusätzlichen Pachtertrag von der Photovoltaik, der Pächter durch eine geringere Pacht, eine langfristige Sicherung der Bewirtschaftbarkeit und die positiven Effekte der Modulreihen im Hinblick auf die Bodenerosion und den landwirtschaftlichen Ertrag.

All diese Vorteile der Agri-Photovoltaik sind aus meiner Sicht in den bisherigen Überlegungen zum weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien noch viel zu wenig berücksichtigt. Es gilt, die Vorteile von Agri-Photovoltaik für die weitere Gestaltung der Energiewende zu nutzen und dafür die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Agri-Photovoltaik hat das Potenzial, ein wesentlicher Pfeiler für eine beschleunigte Energiewende in Deutschland zu werden. Damit Agri-Photovoltaik ihre volle Wirkung entfalten kann, müssen aber schnellstmöglich die richtigen Voraussetzungen geschaffen werden:

  • eine großflächige Förderung von Agri-Photovoltaik im EEG-Regime
  • ein exklusiver Zugang für Agri-Photovoltaik zu landwirtschaftlichen Vorrangflächen
  • eine Erhaltung der landwirtschaftlichen Flächenprämie auf Agri-Photovoltaik-Flächen

Erste Schritte sind hier durchaus erkennbar, zum Beispiel in Niedersachsen – ich hoffe auf eine baldige Verstetigung.

— Der Autor Sascha Krause-Tünker ist Geschäftsführer und Gesellschafter der Next2Sun GmbH. Der langjährige Unternehmensberater und Interim-Manager hat 2018 entschieden, seine Erfahrungen im Auf- und Umbau von Unternehmen für die Next2Sun im Bereich der erneuerbaren Energien einzusetzen. Er ist seit 2019 Gesellschafter der Next2Sun GmbH und seit 2020 auch Geschäftsführer. https://www.next2sun.de/

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