Solarpflicht: Es gibt Wichtigeres!

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Die Solarpflicht ist keine schlechte Idee. Auf den ersten Blick. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass sie nicht hält, was sie verspricht. Wenn man das Wort Solarpflicht hört, denkt man sofort an blühende Landschaften mit einer großen Photovoltaik-Anlage auf jedem Dach. Genau dieses Versprechen kann die Solarpflicht aber nicht halten. Zeit für ein paar Fakten.

Fakt Nummer 1: Die Solarpflicht führt nicht zu mehr Photovoltaik-Zubau

Das klingt jetzt erst einmal überraschend. Aus verfassungsrechtlichen Gründen kann es eine konsequente Solarpflicht nur für Neubauten geben, aber nur ganz eingeschränkt im Gebäudebestand. Das Potenzial bei Neubauten ist aber vergleichsweise wenig: 2018 gab es 32.000.000 Wohneinheiten, aber nur 260.000 neue wurden errichtet, also weniger als ein Prozent. Und natürlich waren das nicht 260.000 neue Dächer, weil in dieser Zahl viele größere Häuser mit zahlreichen Wohneinheiten stecken. Von den Häusern, in denen diese Wohneinheiten errichtet werden, scheiden viele wegen Verschattung, Lage, Nachbarschaftsschutz, Statik, Brandschutz oder individuellen Gründen aus. Und auf die Dächer, die dann noch übrig bleiben, bringt die Solarpflicht auch keine Vollbelegung, sondern nur Anlagen in der verfassungsrechtlich rechtssicheren Mindestgröße.

Denn: Beim Neubau wird jeder Cent umgedreht. Deswegen wird meist nicht in die passende, sondern die billigste und kleinste Photovoltaik-Anlage angeschafft werden. Auf einem Dach, das später für die Nachrüstung ausfällt – es gibt ja bereits eine Solaranlage. Hier könnte Potenzial verloren gehen. Denn heute ist es oft so, dass die Solaranlage einige Jahre nach Fertigstellung nachgerüstet wird. Die Musik für den Photovoltaik-Dachzubau spielt deswegen fast nur in der Nachrüstung des Bestands. Ist das Dach einmal mit einer Kleinstanlage belegt, wird es sehr aufwändig, sie einige Zeit später durch eine angemessen dimensionierte Anlage zu ersetzen oder zu ergänzen.

Hinzu kommt der atmende Deckel – richtig, das ist das Ding, das durch die Absenkung der Solarförderung den Ausbau der Photovoltaik bremst. Je mehr Photovoltaik-Anlagen gebaut werden, desto stärker ist die Absenkung. Jede Anlage, die durch die Solarpflicht errichtet wird, steigert den Ausbau und führt zu einer schnelleren Absenkung der Förderung, was wiederum, Überraschung, zu einer Drosselung des Photovoltaik-Zubaus führt. Das Wenige, das also tatsächlich im Rahmen der Solarpflicht neu gebaut werden muss, kürzt den Zubau an anderer Stelle. Ein Nullsummenspiel, bei dem nur einer gewinnt: Die Bürokratie.

Fakt Nummer 2: Beliebter wird Solarenergie durch die Solarpflicht nicht

Wir alle lieben hohe Steuern und zahlen gerne deftige Gebühren. In meiner Generation waren wir stets voller Entzücken über den Wehrdienst und konnten den Musterungstermin im Kreiswehrersatzamt gar nicht abwarten. Wer kennt nicht die Begeisterung über die anstehende Steuererklärung, die Wurzelbehandlung, die GEZ und die fälligen Abwasserschutzentgelte? Aber Spaß beiseite. Pflichten sind etwas für Verzweifelte.

Wenn ich etwas loswerden will, das so unbeliebt ist, dass es partout niemand machen will, dann greife ich als Staat zur Pflicht. Ultima Ratio. Aber ist das so bei der Solarenergie? Haben die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger, die Investorinnen und Investoren keinen Bock auf Solar? Das Gegenteil ist doch der Fall! Solarenergie bricht seit Jahren alle Beliebtheitsrekorde und kann es in den Umfragen locker mit Katzenbabys, Mutter Theresa oder Lady Gaga aufnehmen. Wir haben kein Nachfrageproblem. Unser Problem sind die Hürden, die die Politik inzwischen in Gebirgshöhe zwischen dem drängenden Wunsch der Investoren nach einer Photovoltaik-Anlage und deren Realisierung errichtet hat. Wenn man nicht wüsste, wie sehr die Politik bemüht ist, die Energiewende zum Erfolg zu führen, könnte man auf den Gedanken kommen, jemand wolle uns Steine in den Weg legen. Und zwar ziemlich große Steine. Aber hey, es ist uns gelungen trotz härtesten Gegenwinds und teilweise wirklich schrecklicher Hemmnisse den Zubau in Richtung sechs Gigawatt jährlich zu drehen. Zugegeben: Wir brauchen fünfzehn Gigawatt. Jährlich. Die Solarpflicht bringt dafür, siehe oben, nur sehr wenig. Was wir dagegen ganz dringend brauchen, um den Klimawandel wenigstens einigermaßen in den Griff zu bekommen, ist Akzeptanz. Und die wollen wir für ein Instrument aufs Spiel setzen, das nicht einmal den Zubau boostet? Never.

Fakt Nummer 3: It´s the regulation, stupid!

Die Liste der Hürden und Hemmnisse ist lang. Professor Volker Quaschning von der HTW Berlin hat vor zwei Jahren 56 Felder identifiziert, auf denen blockiert wird, unsere BSW-interne Liste ist noch länger. Was haben die letzten Jahre gebracht? Ein EEG, das so irre komplex ist, dass jede nordkoreanische Bedienungsanleitung leichter zu verstehen ist. Wer die Regeln des Artikels 62b EEG auf einem Bierdeckel erklären kann, bekommt von mir ein Eis. Mit Sahne. Und Kirsche obendrauf.

Was alleine die bisher vergeigte Einführung der Digitalisierung für faktische Hürden errichtet, warum einfache Regeln auf einmal dazu führen, dass komplette Zählerschränke ausgetauscht werden müssen, Ausschreibungspflichten für mickrige Dächer, eine anteilige EEG-Umlage, die sich so eigentlich nur ein mit den Nachtmaren von Franz Kafka besetztes Zentralkomitee  ausdenken kann –  das alles hemmt und hindert den Zubau. Besonders negativ sind auch die Defizite im Baurecht. Viel zu viele Hallen, die heute neu errichtet werden, sind aus statischen Gründen gar nicht geeignet, um darauf Photovoltaik-Anlagen zu errichten. Hier würde die Solarpflicht einfach ins Leere laufen. Was wir brauchen und was jetzt Not tut, ist deswegen nicht eine neue staatliche verhängte Pflicht, es ist die drastische Heraufsetzung der Ausbauziele und des Ausbaupfades, eine Ausschreibungsgrenze bei zumindest 1000 Kilowatt, sehr viel mehr und sehr viel häufigere Ausschreibungen, Ausschreibungen für Agri-, Floating, Parkplatz- und gebäudeintegrierte Photovoltaik, die Abschaffung der elenden Umlagen-Doppelbelastung für Speicher, die Streichung der Sonnensteuer auf den Eigenverbrauch und neue, ganz neue Regeln für das Prosuming.

Was Unternehmen und Bürger hinter dem Netzanschlusspunkt machen, geht den Staat einen feuchten Kehricht an, solange sie sich angemessen an den Infrastrukturkosten beteiligen. Hier sind die echten Stellschrauben für den dynamischen Zubau, den wir für die entschlossene Bekämpfung des Klimawandels brauchen.

Fakt Nummer 4: Solarpflicht kann sinnvoll sein

Das alles gilt vor allem für die Bundesebene. Auf der Landesebene und in Kommunen kann die Solarpflicht durchaus Sinn machen. Vor allem, wenn es sich um Gegenden handelt, die beim Photovoltaik-Ausbau hinterherhinken. Sinn machen kann eine Solarpflicht auch für noch nicht erschlossene Segmente, beispielsweise bei größeren Parkplätzen. Hier fände dann tatsächlich mehr Zubau statt. Richtig sympathisch wird eine Solarpflicht vor allem für den Oberdrückeberger beim Photovoltaik-Ausbau: Den Staat. Es gehört zu den echten Skandalen der Energiewende, dass der Staat sich beim Ausbau der erneuerbaren Energien auf eigenen Häuser einen schlanken Fuß macht. Öffentliche Gebäude sind bei Solaranlagen katastrophal unterrepräsentiert und viel zu selten mit Photovoltaik, Solarthermie, Speichern ausgerüstet. Hier braucht es eine Pflicht und mehr noch: Eigene Haushaltstitel für die Nachrüstung des Bestands. Im Falle öffentlicher Liegenschaften könnte ich mich sogar nicht nur für eine Solarpflicht, sondern auch für die Einführung neuer Bußgelder begeistern.

Fakt Nummer 5: Das. Solar. Zeitalter. Bricht. An.

Photovoltaik ist mittlerweile eine der tragenden Säule der Stromerzeugung in Deutschland. Solarparks sind die günstigste Stromerzeugungstechnologie. Die Akzeptanz von Solarenergie ist groß. Man kann Solar auf jeder Hütte und bei jeder Industrieanlage installieren. Die Sonne ist speicherbar, Wasserstoffkompatibel und systemdienlich. Die Photovoltaik ist der Garant dafür, dass der Klimawandel bekämpft werden kann und trotzdem die Lichter an bleiben. Was das mit der Solarpflicht zu tun hat? Im Grunde nichts. Aber ich finde, dass kann gar nicht oft genug gesagt werden. Denn Energie aus Sonnenlicht ist eine gute Idee. Auf den ersten Blick. Und auch auf den zweiten.

Über den Autor:

Der 52 Jahre alte Jörg Ebel ist seit November letzten Jahres Präsident der deutschen Solarwirtschaft und mischt im Vorstand des europäischen Solarverbands Solarpower Europe und dem Board des Weltsolarverbands Global Solar Council mit. Er ist seit zehn Jahren hauptberuflich für den Erfolg der Solarenergie unterwegs.

Lesen Sie zu diesem Thema auch die Replik: Solare Baupflicht – Ein wichtiger Beitrag zur Beschleunigung der Energiewende von Christian Mildenberger, Geschäftsführer LEE NRW.

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