Solarenergie hat das Zeug, Europas Industrie aus der Krise zu führen

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„Die Notwendigkeit für beschleunigtes Handeln war nie dringender, wenn es um die Zukunft unseres Planeten geht.“ – Für eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 muss Europa seinen Anteil an erneuerbaren Energien auf mindestens 80 Prozent des europäischen Energiemix anheben. Selbst Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union mit deutlichen Worten klargemacht, wie wichtig dieser im Green Deal verankerte Paradigmenwechsel ist. Auch wenn die CO2-Emissionen infolge der Covid-19-Pandemie zuletzt zurückgegangen sind, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen, um diesen Trend zu verstetigen und einen nachhaltigen Wandel herbeizuführen, sobald die Industrie wieder auf Hochtouren läuft.

Solar- und Windenergie sind während der Covid-19-Pandemie kontinuierlich gewachsen. Aber, das Wachstum nicht groß genug, um das Abschalten der Kernkraftwerke auszugleichen – mit der Folge, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe in den letzten Monaten sogar zugenommen hat. Das zeigt, dass wir aktuell noch nicht über die richtigen Mechanismen verfügen, um Erneuerbare Energien mit der notwendigen Geschwindigkeit auszubauen.

Die Solarenergie kann bei der Transformation der europäischen Industrie und der Wirtschaft insgesamt eine besonders wichtige Rolle spielen. Während Photovoltaik-Anlagen aktuell nur einen Anteil von 5 Prozent an der europäischen Stromerzeugung ausmachen, dürfte dieser Wert bis zum Jahr 2050 auf 36 Prozent steigen. Die finnische LUT-Universität prognostiziert sogar einen Anteil von bis zu 62 Prozent.

In seiner Rede auf dem Solarpower Summit im September betonte der Direktor der Internationalen Energieagentur IEA, Fatih Birol, wie wichtig ein aggressiver Ausbau der Solarenergie sei. Zu diesem Schluss kommt auch die jüngste Ausgabe des World Energy Outlook. In dem von der IEA herausgegebenen Bericht ist zu lesen, dass sich die Solarenergie „als König der Stromerzeugung“ entwickelt habe und „vor einer massiven Expansion“ stehe. Diese Aussage wird durch die Tatsache gestützt, dass die Erzeugungskapazitäten in den kommenden Jahrzehnten bei keiner Technologie so stark steigen werden wie bei der Solarenergie.

Aktuell werden die meisten Photovoltaik-Module in China hergestellt. Die Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie mit ihren verheerenden wirtschaftlichen Folgen lehren uns jedoch, dass sich Europa bei der Gewährleistung grundlegender Infrastruktur nicht blind auf Importe aus anderen Ländern verlassen sollte. Der Ausbau der europäischen Solarindustrie schafft nicht nur mehr als 500.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze allein bis zum Jahr 2030, sondern ist zugleich eine Riesenchance für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen. Genau dieser Aspekt war zuletzt einer der umstrittensten im Zusammenhang mit der europäischen Energiewende und es braucht einen gut durchdachten Plan, um möglichst viele Verbündete für die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien zu gewinnen.

Schon ein jährlicher Ausbau von 25 bis 30 Gigawatt würde Photovoltaik zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in Europa machen, der wiederum den Ausbau der europäischen Solarindustrie befördern würde – übrigens über alle Stufen der Wertschöpfungskette hinweg. Obwohl Europa schon heute weltweit führend im Bereich Forschung und Entwicklung von Solarenergie ist, muss noch einiges getan werden, um den Markthochlauf zu beschleunigen und eine Modulherstellung im industriellen Maßstab aufzubauen. Die Chancen für die europäische Wirtschaft sind also enorm, sofern Investitionen jetzt in die richtigen Regionen und Technologien gelenkt werden.

Klar, das schiere Ausmaß der Energiewende kann auf den einen oder anderen einschüchternd wirken. Auf der anderen Seite können wir sie aber auch als eine riesige Chance begreifen. Der Ausbau der Solarindustrie wird mit einem entsprechenden Ausbau von Arbeitsplätzen einhergehen. Und mit der richtigen Unterstützung kann die Branche Wohlstand in diejenigen Regionen bringen, die andernfalls vielleicht als Verlierer der Energiewende dastehen würden.

Solarpower Europe hat im Mai dieses Jahres den „Solar Manufacturing Accelerator“ gestartet – eine Plattform, die die Umsetzung von Projekten zur Modulherstellung in Europa beschleunigen soll. Das Ziel: Europas führende Rolle im Bereich Erneuerbare Energien zu stärken und gleichzeitig zu einer nachhaltigen Reindustrialisierung Europas beizutragen. So wichtig diese Plattform für den strategischen Ausbau der Solarindustrie auch ist; sie kann nur erfolgreich sein, wenn sie von ebenso ambitionierten gesetzlichen Rahmenbedingungen flankiert wird. Stabile und verlässliche Regelungen, die auf einer zukunftsfähigen Vision aufbauen, sorgen dafür, das Investitionsrisiko für Unternehmen, die in der Region aktiv werden wollen, gering bleibt.

Der Aufbau einer großangelegten Modulherstellung mitten in Europa mag auf den ersten Blick eine Herausforderung darstellen. Auf der anderen Seite lässt das sich abzeichnende Ausmaß der Klimakrise selbst die ambitioniertesten Pläne winzig erscheinen. Deshalb müssen wir unsere Anstrengungen gegenüber früheren Planungen sogar noch verstärken – so wie es Ursula von der Leyen in ihrer Rede gefordert hat. Dafür ist eine enge Kooperation zwischen Industrie, Regierungen und Regionen erforderlich. Aber wenn wir erfolgreich sind, tragen wir damit erheblich dazu bei, die Zukunft Europas und die unseres Planeten zu sichern.

Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal für Europa wäre die Einführung klarer Umweltverträglichkeitsstandards. Damit könnte der Kontinent seine führende Position beim Übergang in eine klimaneutrale Zukunft ausbauen. Was es dafür braucht, sind transparente Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien bei der öffentlichen Beschaffung, hohe Einstiegshürden sowie neue Regelungen zum Ökodesign und zur Energieverbrauchskennzeichnung. Nur so kann sichergestellt werden, dass der in Europas Solaranlagen erzeugte Strom auch tatsächlich so kohlenstoffarm ist, wie es das Ziel der Klimaneutralität erfordert.

Europa steht vor der einmaligen Gelegenheit, einmal mehr die Führungsrolle beim Übergang in ein neues Industriezeitalter zu übernehmen – eines, das sauberer, nachhaltiger und gerechter ist als all die vorherigen. Bei der Klimakrise handelt es sich um ein noch nie dagewesenes Problem globalen Ausmaßes. Einfach nur die CO2-Emissionen bei uns und in unseren Nachbarländern zu reduzieren, reicht nicht aus. Europa muss vorangehen und die Grundlage für eine weltweite Energiewende legen, mit der wir den weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius begrenzen können.

Ursula von der Leyens Rede zur Lage der Europäischen Union war ein wichtiges und richtiges Signal. Klar ist aber auch, dass Worte allein die existenzielle Krise, in der wir stecken, nicht lösen können. Es ist Zeit, gemeinsam konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die europäische Solarindustrie zu stärken und erneuerbare Energiekapazitäten sowohl im In- als auch im Ausland auszubauen.

Konkret bedeutet das: Investitionsbarrieren, wie der erschwerte Zugang zu erschwinglichen Bauflächen oder günstigem Strom, müssen zeitnah beseitigt, regionale Lieferketten müssen aufgebaut und die finanzielle Unterstützung durch die Europäische Investitionsbank und andere öffentliche Geldgeber für die Herstellung von Solarmodulen und für den Ausbau sauberen Stromerzeugung müssen ausgebaut werden. All diese Punkte stehen im Green Deal der Europäischen Kommission. Er ist damit Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Transformation.

Mit einer gemeinsamen Anstrengung von politischen Entscheidungsträgern, Regulierern und der Industrie können wir eine gerechte Energiewende gestalten – mit Hilfe bewährter Fördermechanismen und vorhandener industrieller Kapazitäten. Europa kann aus der aktuellen Krise stärker und widerstandsfähiger als je zuvor hervorgehen. Es ist an der Zeit, diesem Aufruf zu folgen und gemeinsam eine bessere Zukunft aufzubauen.

— Der Autor Stefan Degener ist Vice President von First Solar für Europa und Afrika und Mitglied des Board of Directors von Solarpower Europe. Stefan Degener ist seit 2011 bei First Solar in verschiedenen Positionen mit Schwerpunkt auf Business Development tätig. —

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