Energiewende ist Vorbedingung für langfristige Atommüll-Lagerung

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Die Suche nach einem Standort für die Atommüll-Endlagerung hat Phase 2 erreicht: Regionen, die prinzipiell geologisch geeignet sein sollen, wurden genannt. Schon bricht der Streit los. Der Freistaat Bayern betrachtet die Zugehörigkeit zu seinem Territorium als Ausschlusskriterium. Das AKW-lose Sachsen-Anhalt will nicht Müllhalde der Atomkraftnutzer werden.

„Ausschließlich wissenschaftliche Kriterien“: unmöglich!

Dass ausschließlich geologisch-wissenschaftliche Kriterien ausschlaggebend sein sollen – wie soll das gehen? Schon ist auch die Bevölkerungsdichte am potenziellen Standort als Kriterium in der Diskussion. Und die Wissenschaft selbst kann unmöglich Eindeutigkeit liefern. Geologie findet nicht im Labor mit genau definierten Bedingungen statt, sondern im Unterirdischen. Dort spielt auch heute noch die alte Bergmannserfahrung „vor der Hacke ist es dunkel“ eine Rolle.

Wir sind verantwortlich für unseren Atommüll: ja!

Ich finde absolut korrekt, dass wir die Verantwortung für den in unserem Land entstandenen Atommüll übernehmen müssen. Es wäre der Gipfel der Schande, wenn wir auch diesen – wie den Plastikmüll und den gasförmigen Müll – in Länder verlagern würden, die arm genug sind, um ihn aufnehmen zu müssen. Wir können die Verantwortung  auch nicht allein den Konzernen zuschieben, die mit der Atomenergie super Profite gescheffelt haben (und das auch jetzt noch tun). Dass wir dies jahrzehntelang zugelassen und nicht gefragt haben, wie der Strom, den wir aus der Steckdose herausholen, dort hineingekommen ist, das ist unser Anteil. So viel an Größe, hierfür gerade zu stehen, müssen wir aufbringen!

„Sicherheit für 1 Million Jahre“: lächerlich!

Doch was bedeutet diese Verantwortungsübernahme im Konkreten? Die mit großem Aufwand verbreitete Behauptung, es sei möglich, eine Sicherheit für 1 Million Jahre zu schaffen, rückt die ganze Kampagne in eine Dimension der Unwahrheit. Denn eine solche Sicherheit gibt es nicht. Vor ungefähr 300.000 Jahren ist der homo sapiens entstanden. Konnte dieser sich auch nur im Entferntesten vorstellen, was 300.000 Jahre später aus ihm und der Erde werden würde? Wohl kaum. Doch die Endlagersucher behaupten, für eine Zeitspanne von 1 Million Jahre etwas voraussagen zu können.  Es ist hybrid, absurd, lächerlich. Man versucht, durch eine gigantomanische Aussage Eindruck zu schinden. Ein menschliches Bauwerk, das 1 Million Jahre überdauern wird – wow! Dagegen verblassen die ägyptischen Pyramiden.

Energiewende in diesem Jahrzehnt ist Vorbedingung!

In der Realität haben wir es mit wesentlich kürzeren Zeitspannen zu tun. Wenn es nicht doch noch gelingen sollte, durch eine radikale Veränderung unserer Wirtschafts- und Existenzweise, zu verhindern, dass das Klima in die dann in keiner Weise mehr zu beeinflussende Selbstverstärkung kippt, wird fraglich, ob die Menschheit auch nur die nächsten 100 Jahre überlebt. Und wir wollen Vorkehrungen für 1 Million Jahre treffen?!

Alles hängt davon ab, dass wir im Verlauf der nächsten zehn Jahre den Weg in eine nachhaltige Daseinsweise einschlagen. Hierfür ist als allererstes die Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Energien entscheidend. Die Zustände, die durch weitere Klimaerhitzung in Richtung 4, 5 oder gar 6 Grad Celsius ausgelöst würden, wären chaotisch. „Rette sich, wer kann“ würde Motto des allgemeinen Verhaltens. Niemand wird sich da noch für eine sichere Lagerung des Atommülls interessieren. Auch für die Atommüll-Endlagerung ist also die Energiewende „conditio sine qua non“ – auf Deutsch: eine absolut notwendige Vorbedingung.

Ohne Energiewende bis 2030 keine Mitarbeit an der Standortsuche!

Diese Erkenntnis sollte in die Diskussion zur Endlagersuche eingebracht werden. Die Initiativen, die zwecks Verhinderung der Lagerung an der einen oder anderen Stelle demnächst vermutlich in Erscheinung treten werden, sollten als Voraussetzung einer sachlichen Arbeit an der Standortfindung von der Bundesregierung verlangen, dass sie ihre Energiepolitik umgehend den Notwendigkeiten des Klimaschutzes anpasst. Das bedeutet, im soeben begonnenen Jahrzehnt, also bis 2030, alle Energiesektoren auf 100 Prozent Erneuerbar umzustellen. Das ist ein Quantensprung zur bisherigen Energiepolitik, aber – im Gegensatz zur Sicherheit für 1 Million Jahre – möglich.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat bereits 2011 – mit freudiger Bestätigung durch den BEE – das Jahr 2030 für 100 Prozent erneuerbaren Strom genannt. Tony Seba „Saubere Revolution 2030“ sagt, dass durch disruptive Prozesse die komplette Energiewende bis dahin vollzogen sein kann. In den letzten Monaten haben etliche Organisationen der erneuerbaren Energien (etwa Metropolsolar, Bündnis Bürgerenergie, Solarenergie-Förderverein Deutschland, Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie, Energy Watch Group, Europäische Energiewende Community) die Jahreszahl 2030 als Richtschnur für das energiepolitische Handeln gesetzt.

Atommüll-Lagerung steht im Kontext der Zeitenwende

Durch volles und ehrliches Engagement für die Energiewende würde der Wille zur Abkehr von Raubbau und Naturzerstörung glaubhaft. Damit entstünde auch in der Bevölkerung die Bereitschaft, die Folgen der Sünden der Vergangenheit so unschädlich zu machen wie eben möglich. Die 1 Million Jahre sollten ausgedient haben, an die glaubt sowieso niemand. Statt großspuriger Behauptungen sollte Bescheidenheit walten und Handeln nach bestem Wissen und Gewissen.

Die Atommüll-Endlagerung kann nicht als isoliertes Problem betrachtet werden, sondern steht im Kontext einer Zeitenwende: Die giftigen Überreste einer harten, unerbittlichen Epoche werden zu Grabe getragen, während gleichzeitig einer neuen Lebendigkeit, Zartheit und Freundlichkeit der Boden bereitet wird.

— Der Autor Christfried Lenz, politisiert durch die 68er Studentenbewegung,  Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Seit 2013 verfügt der stellvertretende Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ im Bündnis Bürgerenergie (BBEn) über eine 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak. —

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