Zahlenspiele

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First Solar verkündete Ende April den Plan, das in San Francisco ansässige Unternehmen Nextlight Renewable Power für circa 285 Millionen US-Dollar zu kaufen. Damit teilte First Solar gleichzeitig etwas anderes mit: Der Kauf werde dem Unternehmen Projekte in Höhe von 1,1 Gigawatt einbringen, die sich in der Entwickung befinden. „Das verschafft uns die Möglichkeit, den Kunden mehr Wert zu bieten und durch die übernommene Pipeline ein rasanteres Wachstum herbeizuführen“, sagte dazu CEO Rob Gillette.

Aber was drückt der Begriff Projektpipeline tatsächlich aus? Allgemein ist damit schlicht eine Liste geplanter Kraftwerke gemeint. Ohne weitere Details ist es daher für Energieversorger, Kunden oder Investoren schwierig, Vergleiche zu ziehen und zu beurteilen, ob die aufgeführten Projekte auch in die Tat umgesetzt werden können. Denn wie bei allen Projekten gibt es auch bei der Photovoltaik immer wieder Überraschungen oder Unwägbarkeiten. „Pipelines werden in Stufen eingeteilt, damit man Risiken abschätzen und eine Bewertung durchführen kann“, sagt Sheldon Kimber, Senior Vice President von Recurrent Energy, einem unabhängigen Stromerzeuger in Kalifornien. „Das gilt für Wind, Gas, Solar und weitere Energiemärkte.“

Innerhalb der letzten vier Jahre wurden in den USA Photovoltaik-Großprojekte von mehr als zehn Gigawatt angekün digt, so Shayle Kann, Senior Analyst bei GTM Research in Massachusetts. Denn Entwickler und Hersteller von Solarmodulen aus Europa und Asien kommen seit einigen Jahren in Scharen in die Vereinigten Staaten, nachdem immer mehr Bundesstaaten von den Energieversorgern verlangen, erneuerbare Energie anzubieten. Die Komplexität der Fertigstellung – von der Finanzierung bis zur Erlangung der behördlichen Genehmigungen – wird die Liste jedoch deutlich schrumpfen lassen.

Mehr Verträge als nötig

Einige Energieversorger haben beispielsweise mehr Verträge abgeschlossen, als nötig wären, um den gesetzlichen

Anforderungen gerecht zu werden. Denn die Unternehmen können nicht davon ausgehen, dass alle Projekte umgesetzt werden. Inzwischen heißt es bei Projektentwicklern, dass starke Konkurrenz diejenigen ausgemerzt hat, denen es an Entwicklungskompetenz fehlte. Dazu trugen auch Unternehmen bei, die ins Strudeln geraten waren, weil sie nicht die nötige Finanzierung aufbringen konnten.

„Entwickler, die den Bau mit zehn Cent pro Kilowatt versprechen, werden nicht ernst genommen. Es gibt da eine Art solaren Darwinismus“, sagt Tom Doyle, der Präsident von NRG Solar. Bei Sunpower gibt es nach Aussage von CEO Tom Werner fünf Faktoren, die bei der Definition von Projekten herangezogen werden: Land, Verträge mit Energieversorgern, Übertragung, staatliche Genehmigungen und Finanzierung. Anhand dieser Kriterien bewertet das Unternehmen die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Projekt wirklich in die Tat umgesetzt werden kann und Umsatz generiert, um daraus die Größe der Projektpipeline zu bestimmen. „Wenn nur Land zur Verfügung steht, wird die Wahrscheinlichkeit üblicherweise bei null angesetzt. Zumindest benötigt man Land und muss Energieversorger in Aussicht haben, damit ein Indiz für einen möglichen Vertrag vorliegt“, so Werner. „Die Aussicht auf einen Energieversorger ist Grundvoraussetzung. Wie schwer die anderen Faktoren zu erfüllen sind, hängt sehr stark vom Standort ab.“

Vertrag als Schlüssel

Bereits einen Vertrag unter Dach und Fach zu haben, ist in der Tat der Schlüssel zur Beschleunigung eines Projektes. Egal, ob es hierbei um den Verkauf von Strom oder Engineering und Baudienstleistungen für einen Stromgroßhändler geht. Dadurch entsteht der gewünschte Dominoeffekt. Für Entwickler ist es entscheidend, sich Kunden bereitzuhalten, um sich Geld zu leihen oder anderweitig an die Finanzierung für Projekte zu kommen. Diese Investitionen helfen den Entwicklern beim Überwinden wichtiger Hürden, angefangen beim langwierigen Zulassungsprozess bis zur Genehmigung, ein Kraftwerk ans Stromnetz anzuschließen.

Und dieser Netzzugang ist nicht billig. So muss zum Beispiel ein Entwickler in Kalifornien für ein Projekt von mehr als 20 Megawatt den Antrag zusammen mit einer Einzahlung von etwa 100.000 US-Dollar einreichen; der Geldbetrag ist allerdings abhängig von mehreren Faktoren und kann variieren. Im weiteren Verlauf muss der Entwickler dann eine weitere Einzahlung in der Höhe der ersten Einzahlung machen, um seinen Platz in der Warteschlange zu behalten, so Gregg Fishman, Sprecher von California Independent System Operator, das mit der Verwaltung des Stromgroßhandels im Bundesstaat betraut ist und über Vernetzungsanfragen entscheidet.

US-Markt besonders schwierig

Obwohl ein Vertragsabschluss, unabhängig davon, wo auf der Welt ein Kraftwerk gebaut werden soll, absolut notwendig ist: Viele Entwickler sagen, dass es schwieriger sein könnte, in den USA Fuß zu fassen als in Europa. In Europa nämlich wird den Energieversorgern durch Einspeisetarife neben einer Preisfestsetzung vorgeschrieben, verfügbare erneuerbare Energie zu kaufen. In den Vereinigten Staaten gibt es keine Einspeisetarife, weshalb Entwickler in der Regel langwierige Verhandlungen mit den einzelnen Versorgungsunternehmen und Stromgroßhändlern führen müssen. In mehr regulierten lokalen Märkten werden Verträge durch die einzelnen Bundesstaaten oder andere staatliche Behörden genehmigt. Als First Solar Ende April den Kauf von Nextlight ankündigte, unterteilte das Unternehmen die Projekte in der Pipeline in solche mit Stromkaufverträgen und solche ohne. Von den 1,1 Gigawatt, die sich bei Nextlight in der Entwicklung befinden, sind 570 Megawatt in Verträgen verankert. Nach dem Kauf von Nextlight wird First Solar also insgesamt 2,2 Gigawatt vertraglich in der Pipeline haben, wie das Unternehmen mitteilt, das Cadmium-Tellurid-Dünnschichtmodule produziert und über das Geschäft mit der Projektentwicklung die Marktdominanz in den USA erreichen will. Die Erweiterung der Projektpipeline „gibt uns einen besseren Einblick in die Modulnachfrage bis 2015 und stellt für uns einen Puffer gegen Nachfrageunsicherheit dar“, sagt Sprecher Alan Bernheimer.

Ein Stromkaufvertrag ist nicht alles. Bei NRG Solar betrachtet man ein Projekt als fortgeschritten, wenn es einen Stromverkaufsvertrag sowie ein Gelände und Übertragungsanträge gesichert hat, so Präsident Doyle. NRG Solar ist Teil von NRG Energy, einem Betreiber von Gas- und Kohlekraftwerken in der ganzen Welt. Im letzten Jahr ist das Unternehmen auf den Solarzug aufgesprungen. Sein erstes im Betrieb befindliche Solarkraftwerk ist das 21-Megawatt-Projekt, das von First Solar zu einem unbekannten Preis gekauft wurde.

Die Sicherung von Land gehört also häufig zu den ersten Bestrebungen der Entwickler. Die Entscheidung, wo ein Kraftwerk am besten gebaut werden soll, kann für die Schwierigkeiten und Kosten der Anbindung und Baugenehmigung eine große Rolle spielen. Soll ein Projekt auf öffentlichem Land umgesetzt werden, ist in der Regel eine ausgiebigere Umweltprüfung vonnöten, was sich bei Großprojekten über einige Jahre hinziehen kann. Die Zustimmung der Anwohner zu erhalten – und die Billigung durch Umweltgruppen – kann sich bei der Wahl eines Standorts als schwierig erweisen.

Entwickler von solarthermischen Kraftwerken stießen bei ihren Projektvorhaben in der Mojave-Wüste in Ost-Kalifornien auf starken Widerstand. First Solar entschied sich für den Kauf einer Option auf ein Grundstück in der Nähe des ursprünglichen Standorts für ein 550-Megawatt-Projekt in Zentral-Kalifornien. Das sollte dem Unternehmen Raum bieten, Wildtierkorridore zu schaffen, Agrarland zu erhalten und die Unterstützung der Anwohner zu erlangen. „Im Idealfalle sollten Entwickler mit den Ansprechpartnern vor Ort zusammenkommen“, sagt April Sall, Tierschutzbeauftragte von Wildlands Conservancy Sall. „Das würde vielen Menschen Mühe, Energie und Geld sparen.“

Sobald ein Entwickler einen Standort gesichert hat und die Anbindungs- und Genehmigungsvoraussetzungen gegeben sind, kann er bei einem Auftragsangebot viel überzeugender auftreten, wie Kimber von Recurrent Energy sagt. Die frühe Entwicklungsphase erfordert auch kräftige Investitionen. Recurrent, das weitgehend durch das Private-Equity-Unter nehmen Hudson Clean Energy Partners in New Jersey abgesichert ist, kann Hunderttausende von Dollar für diese Vorvertragsphase aufwenden, fügt er hinzu. „Man kann sich an PG&E wenden und sagen: ‚Gebt uns einen Vertrag und dann machen wir uns auf die Suche nach dem Standort‘“, sagt Kimber. „Es gibt viele finanziell schlecht ausgestattete Entwickler und Gerätehersteller, die glauben, Geld machen zu können, ohne Geld einzusetzen.“ Recurrent konzentriert sich auf Projekte von bis zu 20 Megawatt und bedient Handels- und Utility-Kunden. Es hat Verträge für Nordamerika von 250 Megawatt, darunter 154,5 Megawatt in Kanada, angekündigt. Die weltweite Pipeline des Unternehmens, darunter Projekte ohne Verträge, hat die Marke von einem Gigawatt überschritten.

Ergebnisse wichtiger als Pläne

Eine große Pipeline bedeutet jedoch nicht, dass das Unternehmen alle Projekte abschließen kann. „Uns beeindrucken nicht die Pipelines, sondern was erreicht wurde“, sagt Hal La Flash, Direktor von Emerging Clean Technologies bei PG&E, das Verträge für Solarenergie von insgesamt mehreren Gigawatt abgeschlossen hat, um Kaliforniens Energieziele zu erreichen. Der amerikanische Markt ist jedoch noch relativ jung und so gibt es bisher nicht viele ans Netz angeschlossene Photovoltaik-Großprojekte. Nach Angaben der Solar Energy Industries Association, die Kraftwerke ab einem Megawatt zählt und Konzentrator-Projekte nicht einbezieht, wuchs die installierte Kapazität in den USA von 22 Megawatt im Jahr 2008 auf 88 Megawatt im Jahr 2009. Nach der letzten veröffentlichten Zählung Mitte Mai ist die Menge inzwischen auf 107 Megawatt gestiegen. 63 Megawatt befinden sich im Bau – und zwölf Gigawatt in der Entwicklung. Sunpower beispielsweise schloss im letzten Jahr mit einem 25-Megawatt-Kraftwerk für Florida Power & Light das größte Photovoltaikprojekt in den Vereinigten Staaten ab. Das Unternehmen, das auch Solarmodule herstellt, hat eine Pipeline von rund vier Gigawatt, darunter vertraglich 429 Megawatt für drei Versorgungsunternehmen in den USA.

Beliebtes PR-Instrument

Laut Ty Jagerson, Präsident des in Kalifornien ansässigen Unternehmens Helio Micro Utility, das kommerzielle Projekte entwickelt und dem Versorgungsmarkt Engineering- und Baudienstleistungen anbietet, kann außerdem die Definition einer Pipeline je nach Zielsetzung unterschiedlich ausfallen. „Wenn es um den Preis geht und versprochen wird, dass jeder Dollar für jedes Megawatt in der Pipeline gezahlt wird, dann ist das von Bedeutung“, so Jagerson. Auch der Zeitplan ist eine wichtige Größe. Werden solche Details nicht geklärt, sagt die bloße Anführung der Größe einer Projektpipeline in Presseerklärungen oder öffentlichen Diskussionen nicht viel aus. „Die Größe von Pipelines ist größtenteils ein PR-Mittel. Und die Einigung auf eine Definition gestaltet sich schwierig“, sagt Shayle Kann. „Es gibt viele Entwickler, die behaupten würden, sie hätten Pipelines von fünf Gigawatt, auch wenn es sich nur um Pachtland mit einem Potenzial für fünf Gigawatt handelt.“ Die Größe der Pipeline eines Entwicklers wird Investoren daher kaum dazu bewegen, ihr Geld für ein Projekt einzusetzen, so Kann. Die Energieversorger könnten jedoch von der Anzahl der bereits abgeschlossenen Kaufverträge eines Entwicklers beeindruckt sein, bedenkt man, wie schwierig es ist, bis ein Vertrag zustande kommt. „Energieversorger sind vielleicht eher bereit, solchen Unternehmen einen Stromkaufvertrag anzubieten, die bereits welche abgeschlossen haben. Das folgt ein wenig dem Prinzip, dass Erfolg Erfolg mit sich bringt“, sagt Kann.

Auf dem US-Solarmarkt hat es in den vergangenen 18 Monaten einige bedeutende Akquisitionen gegeben. Unter anderem schnappte sich First Solar im letzten Jahr die 1,8-Gigawatt-Projektpipeline von Optisolar für 400 Millionen US-Dollar. Optisolar hatte einst das Ziel, sowohl Modulhersteller als auch Projektentwickler zu sein; für beides fehlte es allerdings an Kapital. First Solar hat auch Projekte von der Edison Mission Group für einen nicht genannten Preis gekauft. Dabei soll es sich dem Unternehmen zufolge um Projekte ohne Verträge zwischen 20 und 150 Megawatt handeln.

First Solar, der größte Solarmodul-Hersteller der Welt, hatte damit bereits die größte vertraglich gesicherte Projektpipeline in den Vereinigten Staaten. Der jüngste Kauf von Nextlight mit der zweitgrößten vertraglich gesicherten Pipeline macht First Solar zu einem Riesen in einem Land vieler Zwerge.

Diese Dominanz auch auf dem Papier sollte der Konkurrenz zu denken geben. Offen ist die Frage, ob das Unternehmen seine Kunden als Modulhersteller bedienen und gleichzeitig mit ihnen um Entwicklungsverträge konkurrieren kann. In der Geschäftsleitung von First Solar sieht man da keinen Konflikt. Der Finanzchef Jens Meyerhoff teilte Analysten im April mit, dass die Kunden von First Solar entweder nur Solarmodule benötigen oder aber die Ausrüstung sowie Engineering- und Baudienstleistungen. Somit habe First Solar einfach nur sein Angebot erweitert. In der Realität ist das nicht so einfach. Unternehmen, die Module von First Solar kaufen möchten, könnten am Ende doch um dieselben Verträge konkurrieren, da First Solar auf Stromkaufverträge mit Energieversorgern abzielt, auch wenn letztendlich der Verkauf der Projekte geplant ist.

Einige Stromerzeuger glauben unterdessen, mehr Gewinn einfahren zu können, indem sie selbst an der Entwicklung arbeiten, anstatt fertige Kraftwerke zu kaufen. „Wir bevorzugen das Aushandeln eigener Abnahmeverträge, sogenannter Off-Take Agreements, anstatt andere zu nehmen“, sagt Doyle von NRG Solar. „Wir haben ein Team, das nach Möglichkeiten sucht und Projekte voranbringt.“ Und es scheint wirklich viele Möglichkeiten zu geben. Photovoltaikstrom wird bei fallenden Kosten für Ausrüstung und Bau zu einer noch attraktiveren Energieform avancieren. Doch ob die Projekte in den beachtlichen Pipelines tatsächlich alle zu sauberer Stromerzeugung führen werden oder überwiegend Wunschträume sind, muss sich noch zeigen. Nach Kanns Berechnungen werden von den angekündigten zehn wahrscheinlich nur drei Gigawatt in den kommenden vier Jahren tatsächlich gebaut werden.

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