Bürger wollen zahlen

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Eigentlich hat die Bundeskanzlerin in der Energiepolitik bislang ein gutes Gespür für die Stimmung im Volk gezeigt: Nach Fukushima kassierte Angela Merkel über Nacht die bis dato gültige Doktrin von der Atomkraft als Brückentechnologie. Bei der Photovoltaik dagegen hat die Kanzlerin ihr Talent offenbar verlassen. Sonst wäre Merkel nämlich ihren Ministern Röttgen und Rösler in die Parade gefahren, als diese sich zu Jahresbeginn zum großen Solar-Kahlschlag verabredeten. Denn die Photovoltaik genießt allerhöchstes Ansehen in der Bevölkerung, wie mehrere repräsentative Umfragen namhafter Marktforschungsinstitute aus den vergangenen Monaten einhellig zeigen: Die Bürger halten die Kürzung der Solarförderung mehrheitlich für falsch, wünschen sich einen stärkeren Beitrag der Sonnenenergie zum Strommix und sind mit der finanziellen Belastung durch die EEG-Umlage einverstanden – so die wichtigsten Ergebnisse der Studien.
Die Solarindustrie ist der Bevölkerung so sympathisch wie kaum eine andere Branche. Laut einer im Auftrag des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) durchgeführten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen hat nur das Handwerk ein besseres Image als die Solarwirtschaft. Strom- und Gasversorger, Autohersteller und Finanzdienstleister liegen weit dahinter. Schlusslichter des Rankings sind die Atom- und die Mineralölindustrie.
Da wundert es nicht, dass 84 Prozent der Teilnehmer an einer Allensbach-Umfrage auf die Frage, wie man die Energieversorgung der nächsten 20 bis 30 Jahre vor allem sichern sollte, die Solarenergie nennen. Auf Erdgas wollen nur 19 Prozent, auf Kohle sieben Prozent setzen. Nach einer für Vattenfall durchgeführten Emnid-Umfrage sind 88 Prozent der Bürger dafür, im Zuge der Energiewende bevorzugt Photovoltaik-Dachanlagen auf Wohnhäusern auszubauen.
Entsprechend unzufrieden sind die Bürger mit der Solarpolitik der Bundesregierung, wie das ZDF-Politbarometer vom März zeigt: 60 Prozent der Befragten halten die Kürzung der Vergütung für falsch. Sogar unter den CDU-Anhängern lehnen 51 Prozent die Einschnitte der schwarz-gelben Koalition ab.
Dies deckt sich mit Daten, die Emnid im Auftrag des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW-Solar) im Februar erhoben hat. Nach den Ergebnissen der Erhebung sind fast zwei Drittel der Befragten dagegen, den jährlichen Zubau der Erzeugungskapazitäten zu halbieren. Rund 60 Prozent meinen, die Politik tue zu wenig für den Ausbau der Photovoltaik, und 65 Prozent halten Kürzungen der Solarförderung in Höhe von 30 bis 40 Prozent für falsch.
Bekenntnisse zu sauberem Strom kommen leicht über die Lippen – aber sind die Bürger auch bereit, für den Ausbau der regenerativen Energien zu bezahlen? Eindeutig ja, wie eine Umfrage von TNS Infratest im Auftrag der Agentur für Erneuerbare Energien zeigt: 25 Prozent halten die derzeitige EEG-Umlage von 3,5 Cent für zu niedrig, 54 Prozent für angemessen. Laut der Allensbach-Studie meinen 35 Prozent, die erneuerbaren Energien sollten stärker gefördert werden. Und nach der für Vattenfall durchgeführten Emnid-Umfrage würden 65 Prozent der Bürger mehr Geld für Ökostrom bezahlen. Die Behauptung vieler Energieversorger, die Unterstützung der regenerativen Erzeugung zwinge sie zu Preiserhöhungen, halten die meisten Bürger dabei für nicht stichhaltig: Nach der BDEW-Umfrage vermuten 35 Prozent, dass die Preissteigerungen auf das Gewinnstreben der Unternehmen zurückzuführen sind – eine Ohrfeige für die Stromanbieter.
So wie die Bürger bereit sind, die erneuerbaren Energien finanziell zu unterstützen, so akzeptieren sie auch Solarkraftwerke in ihrer Umgebung, wie die jährlich durchgeführte Infratest-Umfrage zeigt. 76 Prozent begrüßen es, wenn in ihrer Nachbarschaft – gemeint ist eine Entfernung von ein bis fünf Kilometer – ein Solarpark entstünde. Sogar noch größer ist die Zustimmung unter denjenigen, die heute bereits in der Nähe einer Freiflächenanlage leben. Hier liegt die Rate bei 82 Prozent.

Breite Zustimmung

Ob Emnid, TNS Infratest, Forschungsgruppe Wahlen oder Allensbach – die Institute gelten als seriös und unabhängig. Zwar lässt sich das Ergebnis jeder Umfrage durch die Fragestellung im Sinne der Auftraggeber beeinflussen. Die Studien zeichnen jedoch ein einheitliches Bild, obwohl sie von so unterschiedlichen Institutionen und Unternehmen wie dem BSW-Solar und der Agentur für Erneuerbare Energien auf der einen Seite und dem BDEW und Vattenfall auf der anderen Seite bezahlt wurden.
Die Methodik der allesamt telefonisch durchgeführten Interviews entspricht den üblichen Qualitätsstandards. Befragt wurden jeweils rund 1.000 zufällig ausgewählte Bundesbürger. „Je größer die Zahl, desto kleiner sind Zufallsfehler. Mit 1.000 Personen lässt sich die Vielfalt derMeinungen in der Gesamtbevölkerung gut abbilden“, erläutert Harald Schoen, Professor am Lehrstuhl für Politische Soziologie der Universität Bamberg. Handwerkliche Fehler oder Parteilichkeit kann man den Umfragen also nicht vorwerfen. Warum steht die Solarpolitik der sonst oft so um die öffentliche Meinung besorgten Bundesregierung dann aber im Widerspruch zu den Ergebnissen der Studien?
Harald Schoen warnt davor, Meinungsumfragen zu komplexen politischen Themen wie der Energiewende überzubewerten. „Ich habe den Verdacht, dass es manchen Befragten an Wissen mangelt, welche Implikationen ein für viele Menschen attraktives Ziel wie die Energiewende tatsächlich mit sich bringt. Dies hat natürlich Einfluss auf ihre Meinung.“ Dazu komme, dass auch der Zeitpunkt der Interviews eine Rolle spielt. „Solche Umfragen sind immer nur Momentaufnahmen“, so Schoen.
Dennoch beobachtet der Wissenschaftler, dass Politiker solche Meinungsumfragen in jüngster Zeit tendenziell wieder ernster nehmen. „Überspitzt gesagt sind die Politiker wegen der Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 traumatisiert. Sie gehen davon aus, dass heute deutlich weniger Menschen politische Entscheidungen einfach so hinnehmen. Ich habe den Eindruck, dass die Politiker jetzt stärker darauf achten, wie die Öffentlichkeit zu bestimmten Themen steht“, sagt Schoen. In der aktuellen Photovoltaikpolitik der Bundesregierung hat sich diese These des Bamberger Hochschullehrers allerdings noch nicht niedergeschlagen.

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