Die Energiewende wird meist entlang großer Themen verhandelt. Ausbau der Übertragungsnetze, Strommarktdesign, Kapazitätsmärkte, Förderung großer Windparks und Freiflächen-PV lauten seit Jahren die Buzzwords. Die politische Debatte folgt damit nach wie vor weitestgehend der Logik der großen Energieversorger und Stadtwerke, genau hier liegen ihre Geschäftsfelder. Aus dem Blick gerät dabei allzu oft jener Bereich, der bei konsequenter Nutzung kurzfristig einen der größten Beiträge zur Energiewende leisten könnte: der bestehende Mehrfamilienhausbestand. Genau dort treffen erneuerbare Erzeugung, planbare Lastprofile und konkrete Entlastungseffekte für Verbraucher unmittelbar aufeinander.
Kaum ein Gebäudetyp bietet ein ähnlich günstiges Verhältnis von verfügbarer Dachfläche, gleichmäßigem Strombedarf und hohem wirtschaftlichen Nutzen wie der Mietwohnungsbestand. Photovoltaik auf Wohngebäuden kann – je nach Auslegung, Komponentenwahl und Laststruktur – bis zu 60 Prozent des Jahresstrombedarfs direkt vor Ort decken. Dieser lokal genutzte Solarstrom entlastet Netze, reduziert Transportverluste, senkt CO₂ und schafft sofort spürbare Kostenvorteile. Für Mieter bedeuten sinkende Nebenkosten eine echte Entlastung im angespannten Wohnungsmarkt. Für Eigentümer entsteht ein planbarer, risikoreduzierter Renditebaustein. Für das Gesamtsystem ist lokale Erzeugung eine der stabilsten Formen dezentraler Einspeisung.
Mehrfamilienhäuser als unterschätzter Hebel der Energiewende
Trotz dieser klaren Vorteile bleibt das Potenzial im städtischen Mehrfamilienhaus weitgehend ungenutzt. Der Gebäudesektor verursacht rund 112 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr und damit knapp ein Drittel aller energiebedingten Emissionen in Deutschland. Gleichzeitig stammen weniger als 15 Prozent des im Wohngebäudebestand genutzten Stroms aus erneuerbaren Quellen, obwohl geeignete Dachflächen und Lastprofile seit Jahren bekannt sind. Viele dieser Dächer könnten unmittelbar aktiviert werden, ohne dass zusätzliche Netze gebaut oder neue Flächen versiegelt werden müssten.
Das Mehrfamilienhaus bietet nicht nur Fläche und Verbrauch, sondern ist auch die natürliche Plattform für Sektorkopplung: Wärmepumpen, Ladeinfrastruktur und perspektivisch Speicher entfalten ihre Systemwirkung besonders dann, wenn sie mit lokalem Solarstrom verknüpft werden. Jede zusätzlich elektrifizierte Kilowattstunde, die nicht aus dem Netz, sondern vom eigenen Dach kommt, entlastet Netze, reduziert Gasimporte und stabilisiert Energiekosten. Für Mieter mit Elektrofahrzeugen sinken die Mobilitätskosten deutlich. Für Eigentümer verbessern sich ESG-Ratings und die Zukunftsfähigkeit der Immobilie.
Eine aktuelle Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) im Rahmen des Ariadne-Projekts quantifiziert dieses Potenzial eindrucksvoll: Bis zu 20,4 Millionen Wohnungen in rund drei Millionen Mehrfamilienhäusern könnten technisch mit Mieterstrom versorgt werden. Das entspricht einem PV-Zubau von bis zu 60 Gigawatt allein im Gebäudesektor – nahezu einem Drittel des gesamten nationalen PV-Ziels für das Jahr 2030. Dem gegenüber stehen aktuell nur rund einige tausend realisierte Mieterstromanlagen, wobei die genaue Zahl seit einigen Jahren nicht mehr lückenlos erhoben wird. Klar ist aber: Die Lücke zwischen Möglichkeit und Realität ist enorm und zeigt, wie stark der Gebäudebereich die Gesamtenergiewende beschleunigen könnte.
Mieterstrom als Schlüssel zur Aktivierung des Bestands
Mieterstrom ist das effizienteste Instrument, um diese Potenziale schnell, skalierbar und praxistauglich zu heben. Der Grund ist einfach: Die energiewirtschaftliche Alltagskomplexität wird vollständig durch spezialisierte Dienstleister übernommen. Dazu gehören Messstellenbetrieb, Bilanzierung, Abrechnung, Kundenservice und die gesamte Kommunikation mit Netzbetreibern und Marktpartnern. Für Mieter entsteht ein einziger Stromvertrag, der sowohl den lokal erzeugten PV-Anteil als auch den benötigten Reststrom abdeckt. Für Eigentümer entfällt die operative Komplexität, ohne dass sie auf attraktive Ertragsmodelle verzichten müssen.
Die Systemwirkung steigt mit der Akzeptanz im Haus: Je höher die Teilnahmequote, desto günstiger wird der Tarif und desto besser lassen sich Reststrommengen einkaufen. Die Bündelung über virtuelle Summenzähler ermöglicht bessere Einkaufsbedingungen und damit langfristige Preisstabilität. In Kombination mit Ladeinfrastruktur und Wärmepumpen entsteht ein integrierter Energiestandort, der unabhängig von steigendem Netzentgeltniveau wird.
Doch die Branche wurde zuletzt durch das EuGH-Urteil zur Kundenanlage verunsichert. Die Entscheidung stellte etablierte Interpretationen infrage. Es entstand die Sorge, dass Betreiber künftig wie Energieversorgungsunternehmen behandelt werden könnten mit erheblichen bürokratischen und praktischen Folgen. Der Bundestag hat inzwischen eine Übergangsregel beschlossen, die für bestehende Anlagen bis Ende 2028 Planungssicherheit schafft. Für neue Projekte fehlen jedoch weiterhin klare, bundesweit einheitliche Vorgaben. Ohne eindeutige Definitionen von Kundenanlage, Messkonzept und Betreiberpflichten bleiben neue Mieterstromprojekte unnötig komplex und schwer planbar.
Genau diese Klarheit ist der Schlüssel, um das enorme Potenzial des Gebäudesektors zu aktivieren. Standardisierte Prozesse bei Netz- und Messstellenbetreibern und klare technische Vorgaben für Speicher, Wärmepumpen und Ladeinfrastruktur können binnen kurzer Zeit ein Marktumfeld schaffen, das Skalierung ermöglicht. Technik und Geschäftsmodelle sind vorhanden. Es fehlt nur ein regulatorischer Rahmen, der die Potenziale nicht länger blockiert.
Die Energiewende wird im Mehrfamilienhaus entschieden. Wer Netze entlasten, CO₂ senken, Kosten stabilisieren und Sektorkopplung ermöglichen will, findet hier den schnellsten und wirksamsten Hebel. Mieterstrom ist dafür eines der leistungsfähigsten Instrumente: dezentral, effizient und für alle Beteiligten ein Gewinn.
— Der Autor Marian Hallal ist Mitgründer von Alva Energie und dort Leiter Planung & Bau. Das Berliner Unternehmen wurde Anfang 2024 gegründet und ist spezialisiert auf Planung, Umsetzung und Verwaltung von Photovoltaik-Projekten auf Wohn- und Gewerbeimmobilien. —
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… und eine Teilmenge der MFH sind Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG).
Und für diese Gruppe hat das Einzählermodell unschlagbare Vorteile, wenn, ja wenn sich die WEG’ler einig sind !
– Nur ein gemeinsamer offizieller Zähler, alle anderen sind „privat“, damit entfallen sofort die Grundkosten je Eigentümer/Mieter der Wohnung !
– Alle profitieren sofort vom PV Dachstrom
– Keine sog. SmartMeter je Haushalt, gelebter Datenschutz
– Einigung auf einen Lieferanten für die Reststrommenge erforderlich
– KEIN Dritter kassiert Gebühren, die Abrechung erfolgt durch jährliches Ablesen und Umlegung analog zu Wärme- oder Hausmeisterkosten
Und aus genau dem letzen Grund ist das Einzählermodell kaum bekannt, bzw. wird nicht beworben: Es können Dritte daran kein Geld verdienen und damit kann es die effiziente Lösung für WEG’ler sein.
Mit etwas gooogeln findet man/Frau jedoch Hinweise, Lösungsvorschläge und Umsetzungsberichte.
Zu diesem Thema bitte beachtden: https://pv4wegs.de/
Hier wird nicht nur über Erfahrungen bei der Einführung des Einzählermodells berichtet, sondern auch Information ausgetauscht!
„Und für diese Gruppe hat das Einzählermodell unschlagbare Vorteile, wenn, ja wenn sich die WEG’ler einig sind !“
Ich würde mich an der Stelle freuen, wenn man auch die Nachteile erwähnt, falls ein Teilnehmer nicht am gemeinsamen Konzept teilnimmt.
Ich beobachte das Thema Mieterstrom schon seit ein paar Jahren und hatte auch die Gelegenheit mit einem Planer, der Mieterstrom für ein kleines Stadtwerk durchgerechnet hat, zu sprechen.
Dabei kam raus, dass das Messkonzept für offiziellen Mieterstrom, die Wirtschaftlichkeit stark beeinträchtigt (gelinde ausgedrückt). Damals war es allerdings noch so, dass man, es ging um 16 bis 32 Wohnungen an einem Hausanschluss, von einer RLM-Messung ausgehen musste. Wenn dann vorne eine RLM-Messung verlangt wurde, mussten auch alle dahinter liegenden Zähler als RLM ausgeführt werden. Damit war das Messkonzept zu teuer für solche Anwendungen. Das dürfte sich aber mittlerweile geändert haben, oft reicht eine Wandlermessung aus, die deutlich günstiger zu haben ist, aber immer noch im Bereich von 4000 bis 8000 Euro Installationskosten liegen dürfte.
Aktuell ist es aber leider wohl so, dass in vielen Fällen, je nach alter der Zähleranlage im Bestand, diese auf den neuesten Stand nach TAB und VDE gebracht werden muss, was oft den kompletten Tausch der Zähleranlage bedeutet. Diese Kosten kommen dann bei einer Wandlermessung noch hinzu.
Vermutlich rechnet sich dann ein Mieterstromprojekt auch nicht mehr sonderlich gut?
In der Tat ist das Einzählermodell eine interessante Lösung, aber nur dann, solange niemand aus dem Modell raus möchte. Da man das einem Mieter oder Eigentümer aber nicht vorschreiben kann, jeder hat das Recht seinen Energieversorger frei zu wählen, könnte es dann doch wieder teurer werden, weil die Bestandsanlage auf den neuesten Stand gebracht werden muss.
Ich frage mich allerdings, das ist etwas für unsere Fachleute, ob man diesen Umbau nicht umgehen kann, indem man eine zweite Sammelschiene für die Teilnehmer baut, die nicht teilnehmen möchten. Vorteil, der Solarstrom und die Speichernutzung wird nur von den teilnehmenden Parteien verbraucht. Nachteil, bei einem Wechsel zwischen den Modellen muss ein Elektriker den Zähler auf die andere Schiene legen.
@Frank Schreiber: Bitte Achtung: Nicht die Themen Mieterstrom und EinZählerModell vermischen. Das passiert schnell und schwupps hat man eine Soße und kein klares Konzept mehr.
Beim EinZählerModell kann der eine oder andere nicht mitmachen, aber dass stört nicht – denn er /(oder sein Mieter) schießt sich nur selbst ins Knie.
Seinen eigenen Bezug muß er separat abrechnen, mit eigener Grundgebühr. Und/aber sein (Tages-)Verbrauch geht in den allgemeinen Eigenverbrauch mit ein. Das bedeutet, er erhöht die Rentabilität für alle anderen.
Ob eine RLM Messung bei kleinen WEG Häusern wirklich notwendig ist, muß halt geprüft werden. Bei größeren sind es Einmalkosten, die sich ebenfalls schnell amortisieren.
Das Einzählermodell ist sicher interessant. Aber so ganz verstehe ich es nicht. Bzw. ich verstehe es so, dass alle Parteien dann „einfach“ die Stromkosten gleichmäßig aufteilen untereinander? Unter’m Strich spart man dann wegen Enfall Grundgebühr und PV-Eigenverbrauch dennoch Geld? Aber eben der Eine mehr, der Andere weniger, richtig?
Für z.B. eine überschaubare Anzahl von WEG-Parteien könnte man ja erstmal bei der nächsten Eigentümerversammlung die Stromrechnungen nebeneinanderlegen, und dann rechnen was und wieviel der Einzelne im Zweifel spart. Klar, alles freiwillig, sobald einer querschießt, ist es vorbei.
Sehr guter Artikel, der mir aus dem Herzen spricht! Viele Unternehmen die wachsen, geraten in Grössenwahn mit wenig Aufwand viel Umsatz/Gewinn zu realisieren, bzw. kleinere Anlagen links liegen zu lassen, trotzdem gerade dieses Segment viel mehr für die Energiewende beitragen wird.
Die grosse Frage in der Marktwirtschaft ist, wie diese Erkenntnis marktwirtschaftlich auch am besten darzustellen ist, damit die Ökologie gewinnt und nicht nur das Geld.
Rentner als unterschätzter Hebel der Wohnungswende !
Ein neues Mehrfamilienhaus mit 4 bis 40 Wohnungen ist energetisch betrachtet alten Einfamilienhäusern deutlich überlegen .
Zudem hat man doch hin und wieder menschliche Begegnungen im Trockenraum und im Treppenhaus.
Der Trockenraum könnte auch durch einen Sandspeicher der Wärme speichert mit Wärme versorgt werden . Photovoltaikstrom der sonst abgeregelt wird , kann den Wärmespeicher auf Sandbasis erhitzen .
Der *Seniorengarten* Deutschlands umfasst ja mittlerweile deutlich mehr als 22 Millionen Einwohner , welche doch auch etwas für die Klimaneutralität beitragen wollen.
Statt die Rente und Pension für die Miete einer energetisch schlechten Behausung auszugeben ,
sollten spezielle Wohnungsbaugesellschaften Rentner und Pensionäre zu Bauherren und Baufrauen machen . Selbstverständlich inkludiert der Neubau sämtliche moderne klimaneutrale Technik .
Natürlich werden die meisten Rentner wegen der begrenzten Zeit die neue Eigentumswohnung nicht mit den 750 EURO im Monat abzahlen können , aber doch so lange bis der Verkaufspreis die Schulden tilgen kann . Zu Beginn muss eventuell auch eine Versicherung abgeschlossen werden , welche im frühzeitigen Todesfall die Lücke zwischen Verkaufspreis und Darlehensschuld schließt .
Im Kern geht es darum , alte Immobilien durch neue zu ersetzen . Es soll also nur wenig neues Land zugebaut werden .
Deutschland ist mit den heimeligen Einfamilienhäusern bereits ausreichend versorgt , und Neubauten sollten gut überlegt sein .
Aus der Serie : Ideen die die Welt nicht braucht.
Sorry, aber das Klein-Klein mit Mietern und Eigentümern ist ein frustrierender zeitfressender Wichtelkirmes. In meinen Augen gibt es nur eine Lösung. Die Dächer werden jeweils von einem Betreiber mit Solar ausgestattet. Dafür bekommen die in dem Mehrfamilienhäuser wohnenden einen Betrag x sagen wir geschenkt. Pauschale Bürgerbeteiligung wäre -wenn doch mal die Gesetzgebung Fahrt aufnehmen würde – auch noch eine umsetzbare schnelle Option. Kostenverwaltung und alle anderen To-Dos läuft über eine Stelle, die Wichtel sind raus. Man hat immer Quertreiber, weil man ja wichtig ist. Gruß Frank
Je nach verfügbarer Dachgröße im Verhältnis zu den Wohneinheiten: max 4 Module (2000 W) je Wohneinheit an je einem Balkon-PV-Wechselrichter 800 VA -> kein Zählerumbau, keine neuen monatlichen Kosten für Verwaltung. Wer will, kann sich einen AC-Speicher in die Wohnung stellen für das Zwischenspeichern vom eigenen PV-Strom.
Wir hatten zuletzt ein solches Objekt: 6 WE + Allgemeinstrom. Auf das Flachdach passen etwa 26 Module. Und die Balkone haben praktischerweise Außensteckdosen.
Bildunterschrift: „in Kooperation mit Stromnetz Berlin“
Ich wusste gar nicht, dass Stromnetz Berlin als landeseigener Betrieb offiziell mit einzelnen privatwirtschaftlichen Unternehmen „kooperiert“!
Oder ist hier gemeint, dass Stromnetz Berlin der zuständige Verteilnetzbetreiber ist? Dann wäre ja jedes einzelne PV-Projekt in Deutschland „in Kooperation“ mit dem zuständiven Verteilnetzbetreiber entstanden.
Nur erstens zweifle ich, dass Stromnetz Berlin sich hier tatsächlich als Kooperationspartner sieht, und zweitens dürfte es wohl in der Praxis eher als „in scharfer Auseinandersetzung mit“ gewesen sein, denn die Verteilnetzbetreiber und insbesondere Stromnetz Berlin sind nicht gerade dafür bekannt, besonders schnell, flexibel und kundenorientiert zu agieren!