Warum Energieunternehmen auch selbst am Fachkräftemangel schuld sind – und was sie dagegen tun können

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Die deutsche Energiewirtschaft steht bei der Umsetzung der Energiewende vor einer Reihe von Herausforderungen. Ein massives Hemmnis, insbesondere für mittelständische Unternehmen und kommunale Energieversorger, ist der Fachkräftemangel. Laut einer Umfrage des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft hat bereits heute fast die Hälfte der befragten Unternehmen Probleme, offene Stellen zu besetzen. 80 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, dass die Fachkräftesicherung in Zukunft noch schwieriger wird. Bereits heute fehlen in der Branche bis zu 216.000 Arbeitskräfte und in den nächsten 10 bis 15 Jahren werden rund 70 Prozent der Beschäftigten in den Ruhestand gehen.

Im europaweiten Vergleich haben es insbesondere deutsche Unternehmen schwer, qualifiziertes Personal zu finden. Langfristig hilft hier nur ein wirtschaftlicher und politischer Systemwandel. Unternehmen, die im gegenwärtigen Wettbewerb bestehen wollen, können aber auch auf ein intelligentes Personalmanagement setzen, um die richtigen Fachkräfte für sich zu gewinnen.

Energieunternehmen tragen auch selbst zum Fachkräftemangel bei

Für unser Unternehmen Talentlotsen arbeite ich gezielt mit Unternehmen aus der Branche und ein Faktor fällt immer wieder auf: Ein Großteil der Unternehmen schafft sich ihre Probleme auch selbst. Denn ja, es fehlt an Fachkräften und qualifiziertem Personal, das ist unumgehbarer Fakt. Gleichzeitig arbeiten aber viele Unternehmen noch mit veralteten Recruiting-Methoden, haben Vorbehalte gegenüber Quereinsteigern und kämpfen mit Imageproblemen – und machen es sich so noch schwerer. Gerade kommunale Energieversorger und mittelständische Unternehmen sind oft traditionsbewusst und schauen bei Bewerbern nicht über den Tellerrand. Das wird dann zum Problem, wenn nur noch Start-ups Talente überzeugen können. Wenn der Mittelstand Innovationshemmungen in diesen Bereichen beibehält, wird Deutschland bei den erneuerbaren Energien in eine ähnliche Situation geraten, wie wir sie jetzt schon bei den Banken haben: Die “jungen Wilden” könnten nach und nach etablierte Unternehmen vom Markt verdrängen.

Unternehmen müssen offener gegenüber Quereinsteigern werden

Zuerst sollten Unternehmen offener für Quereinsteiger werden. Sie bringen oft wertvolle Fähigkeiten und Erfahrungen aus anderen Branchen mit und können den Innovationsprozess der Unternehmen vorantreiben. Viele Kompetenzen sind übertragbar und können an die Anforderungen des Energiesektors angepasst werden. So können beispielsweise Fachkräfte mit technischem Know-how aus der IT-Branche oder dem Baugewerbe schnell in der Energiewirtschaft eingesetzt werden.

Innovative Recruitingstrategien sind gefragt

Ein Lösungsansatz auf Unternehmensebene wäre innovativeres Recruiting. Klassische Stellenanzeigen führen nicht immer zum Erfolg. Eine direkte Ansprache der Kandidaten ist oft zielführender, da sie den Anforderungen und Fähigkeiten der Fachkräfte besser entsprechen kann. Zudem ist die Mehrheit der Arbeitnehmer nicht aktiv auf der Suche nach einer neuen Stelle, aber offen für Angebote. Von genau dieser Bereitschaft zum Arbeitsplatzwechsel können Unternehmen profitieren, indem sie die Kandidaten gezielt ansprechen. Und damit meine ich nicht nur klassisches Headhunting: Gerade Social Recruiting, also Anzeigen auf Plattformen wie Facebook, Instagram, Tik Tok oder Linkedin, lohnt sich.

Auch die Mitarbeiterbindung ist wichtig

Viele Unternehmen vergessen, wie wichtig es ist, die vorhandenen Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Denn gerade ein Energieunternehmen kann ein attraktiver Arbeitgeber sein. Sinnstiftung ist hier das Stichwort: Man bietet Mitarbeitenden schließlich die Möglichkeit, die Energiewende und eine nachhaltige Zukunft aktiv mitzugestalten. Das ist einer der wichtigsten Trends für jüngere Arbeitnehmer und somit ein starker Hebel für Unternehmen, der noch zu wenig genutzt wird. Eine KPMG-Studie aus dem Januar 2023 belegt, dass viele Talente sich entweder gar nicht erst bewerben oder kündigen, wenn ihre Werte nicht mit denen des Unternehmens übereinstimmen. Dabei geht es ihnen vor allem um Nachhaltigkeit, Gleichberechtigung und Vielfalt. Darüber hinaus sollten Unternehmen generell stärker auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter eingehen und Angebote entwickeln, die den Arbeitgeber attraktiv machen, zum Beispiel flexible Arbeitszeitmodelle oder Gesundheitsangebote. Dies kann die Mitarbeiterzufriedenheit deutlich erhöhen, Fachkraft-Fluktuation verringern und die gesamte Branche attraktiver machen. Faktoren, die schlussendlich auch langfristig helfen und zum Ausgleich des Mangels beitragen können.

Die Energiewende ist kein Selbstläufer

Der Fachkräftemangel ist eine ernsthafte Bedrohung für die Energiebranche, die sich in einer Phase des Wandels und der Transformation befindet. Die Verantwortung, diese Herausforderung zu bewältigen und die Zukunft der Energieversorgung zu sichern, liegt nicht allein auf den Schultern der Unternehmen. Auch Bildungseinrichtungen und nicht zuletzt die Politik muss handeln. Doch es hilft nichts, alle Verantwortung von sich zu schieben: Unternehmen müssen sich ihrer Rolle bewusst werden und Maßnahmen ergreifen, um dem eigenen Fachkräftemangel aktiv entgegenzuwirken. Es ist an der Zeit, dass Verantwortliche ihre Recruiting-Strategien überdenken, auf innovative Lösungen setzen und neue Wege gehen, um talentierte Fachkräfte zu gewinnen und zu fördern.

Dennis Szimmetat, Talentlotsen— Der Autor  Dennis Szimmetat ist Recruiting-Experte und Head of Consulting bei Talentlotsen, einem Unternehmen, das sich auf moderne Talentakquise spezialisiert. In seiner Arbeit mit Unternehmen der Energiebranche sowie städtischen Energieversorgern hat er viele Fachkräfte im Sektor erneuerbare Energien erfolgreich vermittelt. Szimmetat begleitet Unternehmen verschiedenster Branchen auf ihrer Suche nach qualifiziertem Personal. https://talentlotsen.de/

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