Ahrtal wird Solartal – Ist die Regierung mit im Boot oder nicht?

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Die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal stellt die bisher gewaltigste Manifestation des Klimawandels in Deutschland dar. Damit ist sie der ultimative Anstoß, alle Kräfte unverzüglich auf ein völlig neues Tempo der Energiewende auszurichten.

Der „Runde Tisch Erneuerbare Energien“, an dem sich etwa 20 Energiewende-Organisationen zu gemeinsamen Aktivitäten zusammenfinden, verbreitete denn auch die Botschaft „Wiederaufbau ja – und zwar erneuerbar“: Es kann nicht sein, dass die fossile Energieversorgung, die ursächlich für die Katastrophe ist, für die Zukunft wieder hergerichtet wird. Stattdessen muss das Ahrtal zu einem Leuchtturm der Energiewende, zur Modellregion für 100-prozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien aufgebaut werden. Der in der Region ansässige Solarverein „Goldene Meile“ brachte es mit dem Motto „Ahrtal wird Solartal“ auf den Punkt. Sein Vorsitzender Klaus Karpstein vertiefte: „Man muss im Ahrtal ein kohlenstoffbasiertes System als anachronistisch empfinden; erst dann ist das Projekt geistig bewältigt.“ Eine Gruppe von Wissenschaftlern konkretisierte das Vorhaben in einem „Impulskonzept“, wonach das Ziel bis 2030, bilanziell bereits bis 2027 erreicht werden kann. Der Landkreis beschloss dessen Umsetzung. (ausführlicherer Bericht dazu von Hans-Josef Fell )

In der Region hat man also verstanden, was die Stunde schlägt. Steigt man auf der Leiter eine Sprosse höher, gelangt man allerdings in eine andere Welt: Auf die Initiative der Kreisverwaltung Ahrweiler reagiert die Landesregierung bislang ablehnend. Sie erkennt weder den vom Kreis- und Umweltausschuss final beschlossenen Projekt-Status an, noch stellt sie die beschlossenen Haushaltsmittel von 10 Millionen Euro aus Mitteln der Wiederaufbauhilfe bereit. Von Christoph Schmitt (SPD), kürzlich Kandidat in der Landratswahl, ließ sich seine Parteigenossin Ministerpräsidentin Malu Dreyer das „Impulskonzept“ überreichen und dabei fotografieren . Das war aber auch alles. Von der SPD-geführten Bundesregierung gibt es ebenfalls keine positiven Signale.

Ist da vielleicht die alte, aber gewichtige „Kohle-Tradition“ der SPD noch am Wirken? Das ist der innere Widerspruch dieser Partei: Einerseits besagte Tradition, andererseits war sie das politische Haus dessen, den man „Vater der Energiewende“ nennen möchte: Hermann Scheer.

Vielleicht schauen Malu Dreyer und ihre Genossen und Genossinnen in der Bundesregierung mal in die „Sonnen-Strategie“ und lesen , was dort bereits 1994 geschrieben wurde: „Ein Friedensvertrag der Menschheit mit der Natur ist ohne eine globale Sonnenenergiewirtschaft nicht möglich. Wir stehen so sehr unter Zeitdruck, und wir haben andererseits die Chancen einer Sonnenstrategie so greifbar vor uns, dass wir die menschenverachtenden Verschleppungsmethoden derjenigen, >>die nicht tun, was sie wissen<< (Robert Jungk), nicht mehr hinnehmen werden.“ (S. 294)

Im Ahrkreis gibt es die „unabhängige Initiative aus der Gesellschaft“, die Scheer an anderer Stelle postuliert. Wenn das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und die von der Ampel-Koalition angekündigten Vorhaben in irgendeiner Weise ernst genommen werden sollen, müssen sie dazu führen, dass diese Initiative unterstützt wird!

Oder sehen wir hier bereits den gezielten Rückzug des Staates aus der Verantwortung, die Bevölkerung vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen? (siehe hierzu „Vor den Auswirkungen des Klimawandels wird der Staat kapitulieren“)

In Sachsen-Anhalt etwa ist das längst offiziell. Laut Landesrechnungshof müssen die Bürger in Zukunft durch entsprechende Versicherungen selbst Vorsorge für Schäden durch Wetterextreme treffen. Die im Land verbreitete Lokalzeitung „Volksstimme“ hält das auch für recht und billig: „Es kann … nicht sein, dass die Allgemeinheit immer wieder zur Kasse gebeten wird. Zumal aufgrund des Klimawandels weiter mit Katastrophen – ob Dürre, Brände oder Überschwemmungen – zu rechnen ist.“

Wird es also auf das hinauslaufen, was der renommierte britische Klimawissenschaftler Kevin Anderson kommen sieht? Im Interview sagt er: „Wenn also die Menschen beginnen würden, die Macht, die sie tatsächlich haben, zu mobilisieren, … könnten wir – statt der elitären Top-Down-Form – eine andere Machtstruktur schaffen, die offener ist und Veränderung von unten ermöglicht. Das soll nicht heißen, dass Führungskräfte nicht wichtig sind. Das sind sie. Es geht vielmehr um das Verhältnis von Bottom-Up und Top-Down. Im Moment werden die Entscheidungen von oben getroffen. Doch die Eliten versagen, sie sind ungeeignet, auf die Klimakrise zu reagieren. Sie sind einer Denkweise und einem Modell verhaftet, die das Problem verursacht haben und einer Lösung im Weg stehen. Wir brauchen also eine Mobilisierung von unten, die uns aus dieser Sackgasse, in der wir stecken, herausführen kann.“

Rainer Doemen, führender und verbindender Kopf am Runden Tisch und in der Solartal-Initiative hofft: „In der Stunde der Not war die Bevölkerung auf sich allein gestellt. Selbsthilfe und Solidarität untereinander verbreiteten sich rasend schnell und halten an. Auf diesem Fundament sollte es Regierungen erheblich leichter fallen, den Landkreis Ahrweiler auf seinem politisch beschlossenen Weg zu einer Erneuerbaren-Modellregion bestmöglich zu unterstützen. Die Hoffnung, den kommunalpolitischen Beschluss umzusetzen und damit auch die Bereitschaft zu zeigen, Versäumnisse wieder gut machen zu wollen, stirbt bekanntlich zuletzt.“

— Der Autor Christfried Lenz, politisiert durch die 68er Studentenbewegung,  Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Seit 2013 verfügt der stellvertretende Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ im Bündnis Bürgerenergie (BBEn) über eine 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak. —

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