Solar neu erfinden

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Sie erwähnen die entscheidende Rolle, die die Photovoltaik für die Energiewende spielen muss, in Ihrem Buch „Intelligente Verschwendung: The Upcycle: Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft“, das Sie zusammen mit dem US-Architekten William McDonough verfasst haben. Was erwarten Sie von der Branche?

Keine andere Branche hat so viel Potenzial für die Zukunft des Planeten. Die Sache muss aber anders organisiert werden. Unter den gegebenen Bedingungen sind die chemischen Zusammensetzungen von Solarmodulen ein Albtraum für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Wir lösen ein Energieproblem, indem wir ein viel größeres Materialproblem verursachen. Es werden eine ganze Reihe von seltenen problematischen Materialien verwendet, wie UV-stabilisierende Antioxidantien, Weichmacher, seltene und giftige Metalle wie Blei, Chrom, Selen, Quecksilber, Indium, Gallium, Germanium und Nickel.

Was muss getan werden?

Ich spreche davon, dass man das Photovoltaikgeschäft mit einem anderen Geschäftsmodell neu erfindet. Das bedeutet, dass nicht mehr die Materialien oder Equipment verkauft werden, sondern der Service für die Nutzung. Niemand braucht ein Solarmodul. Alles, was man braucht, sind Photonen. Sobald Sie ein Solarmodul kaufen, werden Sie im Grunde genommen ein Besitzer von Giftmüll. Und wenn Sie Solarmodule verkaufen, müssen Sie die billigsten Materialien nehmen, nicht die besten. Sie sollten besser eine Dienstleistung sein. Wer 25 Jahre Photonen-Ernte verkaufen würde, statt der Solarmodule, könnte die besten Materialien verwenden. Es könnten Solarmodule hergestellt werden, die leicht auseinandergenommen werden können, was im Moment überhaupt nicht der Fall ist, sodass man die sehr guten Materialien wiederverwenden könnte.

Wie sollte ein Hersteller dies finanzieren?

Im Grunde genommen könnten die Photovoltaikanlagen mit den Solarmodulen und dem Equipment zu Materialbanken werden, wenn Sie die Systeme am Ende ihrer Lebenszeit nicht mehr als Sondermüll an die Hightech-Abfallwirtschaft verkaufen. Wir glauben, dass die Hersteller in Europa wettbewerbsfähig sein könnten, wenn sie den Serviceansatz in Betracht ziehen und nicht versuchen würden, beim Verkauf mit den billigsten Modulen zu konkurrieren. Damit könnte man die Kosten der Materialien in ein anderes Finanzierungssystem transferieren. Wenn Sie mit Versicherungsgesellschaften sprechen, dann hören Sie, diese würden gerne die Materialien versichern. Da weiß man genau, wo sie sind und wann man sie ‚ernten‘ kann. Dies ist völlig anders als das Geschäftsmodell, wenn man die Solarmodule verkauft und nie weiß, was mit den Materialien am Ende passiert. Wenn man sieht, dass es Solarmodule auf dem Markt gibt, die wirklich umweltschädliche Stoffe wie Cadmiumtellurid enthalten, müssen die Hersteller unbedingt auf ein dienstleistungsbasiertes Geschäftsmodell umsteigen.

Kristalline Solarmodule machen einen viel größeren Teil der Photovoltaikindustrie aus. Welche Chemikalien können dort ausgetauscht werden?

Die Frage ist mehr, wie man Photovoltaik von Anfang an anders gestalten kann. Die in der Photovoltaik verwendeten Materialien waren nie zur Wiederverwertung bestimmt. Was passiert mit diesen Solarmodulen, wenn sie außer Betrieb genommen werden? Es wird nie Recycling sein, sondern nur Downcycling. Beispielsweise wird Vinylacetat verwendet, um verschiedene Schichten im Solarmodul zu verbinden. Die Industrie könnte sich eine Technologie ausdenken, die es ihr ermöglicht, diese Schichten leichter zu trennen, und das Vinylacetat könnte zum Beispiel in neuen Bodensystemen wiederverwendet werden. Außerdem werden viel zu viele verschiedene Materialien genutzt. Solarmodule bestehen aus mehr als 280 verschiedenen chemischen Komponenten und es gibt keine Notwendigkeit dafür. Das gleiche Solarmodul und die gleiche Ausrüstung ließe sich mit weniger als zehn Komponenten herstellen, wenn die besten Materialien gewählt werden.

Welche Materialien, die nicht benötigt werden, sind in Modulen?

Wir würden bei sachgemäßer Handhabung keine Aluminium- oder Stahlrahmen benötigen. Wir könnten ein Polymer, einen Kunststoff wie Polycellschäume oder Polysulfonverbindungen, verwenden, das 500-mal für diesen Zweck genutzt werden kann sowie seine Größe und Festigkeit bei unterschiedlichen Temperaturen beibehält. Aber dieses Polymer muss eine Art Service sein. Wir sind am Ende der möglichen Optimierung des bestehenden Systems angelangt, daher müssen wir es aus einer anderen Perspektive und von einem anderen Geschäftsmodell her überdenken.

Können Sie das näher erläutern?

Um Ihnen ein Beispiel zu geben, ich habe mit dem Autobauer Ford zusammengearbeitet, um ein Fahrzeug auseinanderzunehmen. Wir wollten wissen, warum es doppelt so viel Zeit braucht, um einen Ford Mustang im Vergleich zu einem To­yota Corolla zusammenzubauen. Es stellte sich heraus, dass Ford 516 verschiedene Schrauben verwendete, nur um dieses Auto herzustellen. Die Logistik ist erstaunlich. To­yota verwendete weniger als 20 Schrauben. Jede Schraube war viel teurer, aber das Gesamtsystem ist so viel günstiger.

Wie lässt sich das auf die Photovoltaik übertragen?

Solarmodule verwenden die billigsten Materialien, anstatt ein anderes Geschäftsmodell zu definieren. Wenn die Solarmodule zu einer Materialbank werden, können Sie das Eigentum an Dritte verkaufen. Lassen Sie mich das am Beispiel eines Windparks erklären. Ein 7,5-Megawatt-Windpark benötigt mindestens zwölf Tonnen Kupfer. Wenn Sie das Kupfer nicht verkaufen und es einem Drittinvestor, einer Bank, die dann eine Tonne Kupfer an jeden von uns verkaufen kann, geben, dann können Sie das Kupfer 20 Jahre lang in der Windkraftanlage lagern. Es würde das Windrad 60.000 Euro billiger machen, weil Sie das Kupfer nicht mehr kaufen müssen und die Bank einen Zinssatz auf das Kupfer im Windrad zahlen könnte.

Viele Hersteller können nicht über die Kosten hinausdenken. Wie spricht man ein solches Thema an, wenn man sagt, alles müsse neugestaltet werden?

Die Technologie ist der Schlüssel zur Bekämpfung des Klimawandels. Wir investieren besser in diese Technologie als in die Steigerung der Energieeffizienz der alten Modultechnologie. Denn mit der Zukunft kommt das Potenzial der Innovation. Wenn Sie die besten Materialien verwenden können, wird das Modul zu einer Materialbank. Da Sie wissen, dass das Material 25 Jahre lang an einem bestimmten Ort gelagert wird, können Sie die Photovoltaikanlage als Lager nutzen. Aber dazu braucht es eben andere Technologien. Die Indus­trie hat die falschen Dinge optimiert. Sie hat die falschen Dinge perfekt gemacht und jetzt sind sie völlig falsch. Jedes Solarmodul muss als technischer Nährstoff und nicht als Haftungsproblem betrachtet werden.

Kasten: Was bedeutet „from Cradle to Cradle“ oder „von der Wiege zur Wiege“?

1992 verfasste der Wissenschaftler Michael Braungart die „Hannover Prinzipien“. Das sind neun Aussagen darüber, wie man Gebäude und Gegenstände in Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und nachhaltiges Wachstum gestalten kann. 2001 veröffentlichte er dann mit dem US-Architekten William McDonough „Einfach intelligent produzieren. Cradle to Cradle: Die Natur zeigt, wie wir die Dinge besser machen können“.

Das Manifest fordert, bei der Produktgestaltung umzudenken und sich am biomimetischen System der Lebenszyklusentwicklung zu orientieren. Produkte und ihre Komponenten müssen danach entweder ein Teil sogenannter technologischer Nährstoffkreisläufe oder Teil der biologischen Nährstoffskreisläufe sein. Wenn man das konsequent verfolgt, wirken sich Produkte positiv auf Mensch und Umwelt aus, so das Konzept. Es gibt dann gar keinen Abfall mehr, sondern nur noch Nährstoffe, die die Wiege für den nächsten Zyklus bereiten, so wie der sterbende Baum als Humus die Grundlage der nächsten Pflanzengeneration wird. Umweltschützer und Kapitalgeber müssen für diesen Ansatz Hand in Hand arbeiten.

Inzwischen können Produkte auch über das Cradle-to-Cradle (C2C) Produkt-Innovations-Institut, eine gemeinnützige, unabhängige Einrichtung, eine C2C-Zertifizierung auf verschiedenen Levels erhalten.

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