Prozess für Anlagenzertifikat muss nachhaltig beschleunigt werden

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Marko Ibsch ist Gründer und Geschäftsführer von Carbon Freed. Er ist seit mehr als 15 Jahren in der Erneuerbare-Energien-Branche tätig – vorrangig im Bereich Netzintegration von Erneuerbare-Energien-Erzeugern. Bei DNV, einem internationalen Dienstleister in den Bereichen technische Beratung, Ingenieurdienstleistungen, Zertifizierungen und Risikomanagement, war er zunächst vorrangig für die Vermessung von elektrischen Eigenschaften von Solar- und Windkraftanlagen zuständig und baute dann später das Messgeschäft in den USA auf. Ab 2017 war Marko Ibsch dann für DNV als Geschäftsführer des Bereichs Renewables in Deutschland tätig, bevor er 2020 Carbon Freed gegründet hat.

Foto: Carbon Freed

In den vergangenen Monaten war viel darüber zu hören, dass größere Photovoltaik-Anlagen nicht ans Netz gehen können, weil ihnen das Anlagenzertifikat fehlt. Hat sich an der Situation etwas geändert, zumal es seit der EEG-Novelle im Sommer ja auch eine Übergangregelung gibt, die den Anschluss mit einem vorläufigen Zertifikat ermöglicht?

Marko Ibsch: Der Stau bei den Zertifizierungsstellen ist tatsächlich ein großes Thema. Das hat sich durch das Anlagenzertifikat unter Auflagen, das Sie ansprechen, auch nur leicht verbessert. Ja, die Anlagen gehen jetzt zwar etwas früher ans Netz, aber die grundsätzliche Problematik bleibt ja trotzdem bestehen, sie wird nur in die Zukunft verlagert. Die Anlagenbetreiber haben jetzt etwas mehr Zeit, die Anforderungen für das Zertifikat zu erfüllen. Aber in sechs oder neuen Monaten sind die Zertifizierungsstellen höchstwahrscheinlich immer noch überlastet, das wird sich so schnell nicht ändern und durch den Fachkräftemangel noch zusätzlich verschärft. Wir brauchen also Lösungen, die den gesamten Zertifizierungsprozess nachhaltig beschleunigen – und nicht nur in die Zukunft verschieben. 

Sie halten nichts von der Übergangsregelung, die Anlagen zunächst anschließen zu können, und dann später die Unterlagen zu vervollständigen?

Die Anlagenzertifizierung unter Auflagen kann in Ausnahmefällen eine Lösung sein, wenn man beispielsweise die Unterlagen nicht in der notwendigen Zeit besorgen kann. Ziel sollte aber sein, den Prozess der Anlagenzertifizierung so zu beschleunigen, dass wir diese Übergangsregelung gar nicht erst brauchen. Erstens, weil die Problematik dadurch natürlich nur herausgezögert, aber nicht endgültig gelöst wird. Und zweitens, weil ich kein Freund davon bin, dass Anlagen ohne eingehende Prüfung ans Netz gehen. Die Netzanschlusszertifizierung ist aus meiner Sicht ein existentieller Bestandteil der Versorgungssicherheit in Deutschland. Wenn wir unsere Versorgung nahezu vollständig auf grüne Energieerzeuger umstellen, müssen wir auch sichergehen, dass die ans Netz angeschlossenen Anlagen sicher und stabil laufen. Wenn Anlagen ohne vorherige Prüfung ans Netz gehen, erhöht sich einfach das Risiko von Netzinstabilitäten.

Sie sagen, die haben eine Lösung entwickelt, die den Erhalt des Anlagenzertifikats deutlich beschleunigt. Wie sieht diese aus?

Was momentan einfach wahnsinnig viel Zeit kostet, sind die langwierigen Abstimmungen zwischen Installationsbetrieb und Zertifizierungsstelle, bis die Daten in dem Zustand sind, wie sie für die Zertifizierung benötigt werden. Wir von Carbon Freed nehmen den Installationsbetrieben und Projektierern die Fleißarbeit ab, indem wir die für die Zertifizierung notwendigen Daten von den Projektpartnern des Kunden zusammensuchen und am Ende einen in sich konsistenten Datensatz erstellen. Dieser kann dann von den Zertifizierungsstellen schnell bearbeitet werden, weil keine zusätzlichen Iterationen entstehen und ein Projekt in einem Rutsch geprüft werden kann. Das verkürzt die Zertifizierungszeit enorm – und sorgt auch dafür, dass wir nur in absoluten Ausnahmefällen auf das Anlagenzertifikat unter Auflagen zurückgreifen müssen. Mittlerweile haben wir mit unserem Team mehr als 450 Zertifizierungen begleitet. In der Vergangenheit haben wir das vor allen Dingen händisch gemacht, indem unsere Ingenieure die Informationen gesichtet und ausgewertet haben.

Und diesen Prozess haben Sie jetzt digitalisiert?

Genau. Mit gridcert haben wir eine Software entwickelt, die mithilfe künstlicher Intelligenz die Datenmengen durchsucht und dann den Datensatz erstellt – entsprechend der spezifischen Anforderungen der jeweiligen Zertifizierungsstellen. So schaffen wir es, die Schnittstellen zu optimieren, damit die Anlagen mit höherer Geschwindigkeit, aber gleicher Sorgfalt ans Netz gehen.

Scheitern sie mit ihrer Lösung nicht trotzdem an den unterschiedlichen Vorgaben, schließlich kochen doch auch beim Anlagenzertifikat viele der zuständigen Netzbetreiber ihr eigenes Süppchen, oder?

Da sprechen Sie in der Tat ein wichtiges Thema an. Wir haben in Deutschland knapp 900 Netzbetreiber und die Anforderungen an die Anlagenzertifizierung können schon recht unterschiedlich sein. Diese Problematik lässt sich aus unserer Sicht über ein digitales System wie gridcert sehr gut lösen. Unser Ziel ist, dass wir schon sehr bald diese verschiedenen Anforderungen direkt in unserer Software hinterlegen. Wenn also ein Installationsbetrieb eine Anlagenzertifizierung für einen spezifischen Netzbetreiber benötigt, weiß er sofort, welche Informationen er braucht, damit das Zertifikat zügig erstellt werden kann. Das beschleunigt den Prozess noch mal deutlich, weil wir die Abstimmungsschleifen zwischen den verschiedenen Partnern reduzieren. Und die Netzbetreiber sind ja durch Änderungen im EnWG ebenfalls angehalten, ihre Prozesse zu digitalisieren. Auch das ist perspektivisch mit unserer Lösung möglich.

Gibt es bereits Projektierer und Installateure, mit den sie für das Anlagenzertifikat zusammenarbeiten?

Wir haben in den vergangenen Jahren schon mit einer Reihe an Betrieben und Projektierern gearbeitet und viele Erfahrungen gesammelt, die jetzt in die Entwicklung von gridcert eingeflossen sind – darunter beispielsweise die Wirsol Roof Solutions. Unser Fokus liegt vorrangig auf mittelgroßen Installationsbetrieben, die pro Jahr zwischen zehn und 100 Anlagen ab einer Größe von 135 Kilowatt ans Netz nehmen. Wir sind aber auch für kleine Installateure ein guter Anlaufpunkt, da wir umfangreiche Hilfestellungen implementiert haben. Diese Betriebe haben nämlich oftmals noch keine Prozesse für die Anlagenzertifizierung entwickelt. Das Ergebnis ist, dass sich ein Ingenieur um das Thema kümmern muss, der eigentlich viel dringender auf der Baustelle oder für die Planung des nächsten Projekts gebraucht wird. gridcert eignet sich aber auch für die großen Projektierer, die ihre Prozesse digitalisieren und dadurch beschleunigen wollen. Diese Betriebe können wir per API-Schnittstelle einbinden.

Was kostet die Projektierer ihre Dienstleistung?

Die Nutzung unserer Dienstleistung kostet Geld – da haben sie vollkommen recht! Wir liegen auf einem ähnlichen Preisniveau wie ein Standard-Anlagenzertifikat bei einer Zertifizierungsstelle. Bei uns kommen aber noch viel mehr Leistungen dazu, weil wir den gesamten Prozess von Anfang bis zum Ende begleiten und den Betrieben dadurch viel Zeit und damit auch Geld sparen. Und man muss das auch mal so sehen: Wenn ein Installationsbetrieb durch unseren beschleunigten Prozess nur eine Anlage pro Jahr mehr umsetzen und ans Netz bringen kann, hat sich die Zusammenarbeit schon mehr als bezahlt gemacht.

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