Seit Jahren wird in der Energiebranche über die Sektorenkopplung diskutiert. Die intelligente Vernetzung von Elektrizität, Wärme und Mobilität gilt als Schlüssel für die dezentrale Energiewelt. Zwar gibt es bereits erste größere Fortschritte, gleichwohl ist der Energiemarkt noch immer stark fragmentiert. Häufig werden die Chancen für neue Geschäftsmodelle und die Einsparpotenziale nicht richtig verstanden.
Doch was sind die Ursachen für die langsame Umsetzungsgeschwindigkeit der dringend notwendigen Sektorenkopplung? Hierfür gibt es vier wesentliche Gründe: Zum einen ist die technische Komplexität rund um riesige Datenmengen, zahlreiche Systeme und Geräte unterschiedlicher Hersteller, verteilt auf eine Vielzahl an Orten und Gebäuden, extrem hoch. Außerdem gestaltet sich die operative Umsetzung sowohl fachlich als auch logistisch herausfordernd. Den Endkundinnen und Endkunden stehen schon vor der Erstinstallation bis hin zur Anlagenwartung zahlreiche Hürden im Weg. Ein häufig unterschätzter Punkt ist, dass sich die Kundenanforderungen durch einen starken Bewusstseinswandel geändert haben. Es braucht integrierte Angebote, um vielfältige Bedürfnisse abzudecken. Schlussendlich bedarf es vor allem auch politischer Weichenstellung. Deutschland war hier lange Vorreiter, doch hinkt nunmehr mit der Umsetzung europäischer Vorgaben hinterher.
Technische Komplexität
Um die zahlreichen Systeme und Geräte verschiedener Hersteller – beispielsweise Photovoltaik-Anlagen, Stromspeicher, Wärmepumpen, Wallboxen für Elektroautos – optimal aufeinander abstimmen zu können, muss deren nahtlose Konnektivität gewährleistet sein. Das erfordert passende Schnittstellen zwischen intelligenten Geräten und Steuerungssoftware. Einhergehend müssen die riesigen Datenmengen der digitalisierten Energiewelt hochsicher, stabil und in Echtzeit verarbeitet werden. Hierfür bedarf es skalierbarer und hochleistungsfähiger Softwarelösungen, die Quartiere, Gebäude, Fahrzeuge und Energiegeräte vernetzen.
Neben der Konnektivität ist auch die Speicherung von Energie eine zentrale Herausforderung. Um die fluktuierende Produktion erneuerbarer Energien bestmöglich zu nutzen, die Einspeisung zu maximieren und Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ist die Energiespeicherung wesentlich. Intelligente Grünstromtarife in Kombination mit einem Energiemanagementsystem regen Endkunden schon heute an, unter anderem ihre Wärmespeicherheizungen und Elektroautos in Zeitfenstern geringer Nachfrage oder hoher Einspeisung zu laden. Kunden reduzieren dabei Kosten und unterstützen ein stabiles Netz. Die technologischen Möglichkeiten im Demand Side Management, zur netzdienlichen Nutzung der Elektroautobatterien und für dynamische Tarifmodelle müssen aber noch ausgebaut und regulatorisch unterstützt werden.
Operative Umsetzung
Zumeist wird die Installation der verschiedenen Geräte einer Anlage von unterschiedlichen Ansprechpartnern bewerkstelligt. Für Endkunden und Installateuren ist das gleichermaßen eine organisatorische wie auch logistische Herausforderung. So müssen für Einrichtung und Betrieb integrierter Lösungen aufwendige Recherchen und mehrere Vor-Ort-Termine mit unterschiedlichen Experten abgewickelt werden. Installateure haben wiederum teils unverhältnismäßig lange Anfahrtswege für oftmals vergleichsweise kurze Wartungsarbeiten oder Serviceanfragen.
Die Sektorenkopplung muss praktisch so umgesetzt werden, dass hier keine Hürden mehr im Weg stehen. Dazu sollten Elektriker, Solar- und Heizungsinstallateure koordiniert und effizient zusammenarbeiten. Digitale Energieprodukte unterstützen die Gewerke in der Schaffung eines abgestimmten, funktionalen und wirksamen Energiemanagementsystems und ermöglichen auch eine wirtschaftliche Anlagenwartung aus der Ferne. Die Herausforderung der operativen Umsetzung muss aber letztendlich von Wirtschaft und Installateuren gemeinsam angegangen werden. Sie wird spannende Arbeitsplätze schaffen, da Berufe in Zukunft neue Spezialisierungen und Themenfelder im Bereich Erneuerbare vereinen werden.
Wahrnehmung der Thematik in der Bevölkerung
Während ein effizienter Energieverbrauch bereits seit langem im Fokus der Endkunden steht, ist das weitergehende Interesse an nachhaltigen Energiekonzepten vergleichsweise neu. Für lange Zeit wurde die Versorgung mit Energie, Wärme und Mobilität voneinander losgelöst betrachtet. Die gewohnte Infrastruktur funktionierte aus Verbrauchersicht meist sehr einfach und wurde nicht in Frage gestellt. Für Versorger und Automobilhersteller gab es deshalb auch keinen Anlass, ihr Angebot zu ändern.
In den letzten Jahren ist in der Bevölkerung ein generelles Umdenken erfolgt, getrieben von dem steigenden Bewusstsein für Umweltthemen, dem Erfolg der Erneuerbaren und dem Willen zur Senkung der CO2-Bilanz. Die Wirtschaftlichkeit und Praktikabilität der sektorenübergreifenden Nutzung erneuerbarer Energie im Alltag ist signifikant angestiegen. So haben sich die Kosten für Photovoltaik-Anlagen von 2010 bis 2020 bereits mehr als halbiert. Und unter Berücksichtigung der geringeren Lade- und Instandhaltungskosten sind vollelektrische Elektroautos mittlerweile günstiger als Verbrenner.
Endkunden stellen deshalb völlig neue Anforderungen an ihre Versorger und den Mobilitätsmarkt. Sie verlangen von etablierten Versorgern neue Optionen oder haben die Möglichkeit, flexibel zu neuen Anbietern zu wechseln. Unternehmen müssen also neue Angebote schaffen, um in einem sich wandelnden Markt weiter zu bestehen. Es bedarf vor allem intelligenter Tarifmodelle und qualifizierter Energiemanagement-Tools, die auf die höchstmögliche Eigenversorgung mit erneuerbarer Energie und auf die Nutzung weiterer Komponenten, wie der eigenen Wärmepumpe und Wallbox, zugeschnitten sind. Diese Angebote müssen einfach einzurichten sein und in den Alltag passen.
Politische Weichenstellung
Deutschland war lange Vorreiter bei der Unterstützung der Erneuerbaren, hinkt jedoch im Moment vor allem im Bereich Digitalisierung, aber auch bei der Umsetzung europäischer Vorgaben hinterher. Der Smart-Meter-Rollout trifft hierzulande auf enorme Hindernisse im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Dies führt immer wieder zu Verunsicherung bei Unternehmen und in der Bevölkerung.
Die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums zur mittelfristigen Abschaffung der EEG-Umlage sind jetzt wichtig. Erst wenn ein Nutzen für Endkunden klar im Vordergrund steht, werden die technischen Möglichkeiten ihr Potenzial entfalten können. Dabei ist auch eine Reform der Netzentgelte vonnöten. Der Ausbau der Netzinfrastruktur sollte die dezentrale Versorgung berücksichtigen. Gerade in letzterer stecken große ungenutzte Reserven zur Erreichung noch ambitionierterer Klimaziele.
Wir sehen, dass die CO2-Besteuerung im letzten Jahr schnell umgesetzt wurde. Politische Gestaltungsprozesse haben die Möglichkeit, eine hohe Dynamik zu entfalten. Vorschriften beeinflussen dabei nicht nur das Verhalten etablierter Unternehmen, sondern verbessern auch die Rahmenbedingungen für junge Unternehmen. Denn verlässliche, zukunftsorientierte Rahmenbedingungen motivieren Vertrauen und Investitionen in technologische Innovation.
Ausblick
Die Vorteile einer dezentralen, erneuerbaren Energieversorgung liegen auf der Hand: Saubere, günstige und umweltfreundliche Energieerzeugung, schadstoffarme Luft, Versorgungsunabhängigkeit von politisch volatilen Energieproduzenten und die Schaffung lokaler Wertschöpfung sowie neuer Arbeitsplätze. Die Energiewende ist kein Nischenphänomen mehr, mit dem sich nur die Politik, die Wissenschaft und Technologie-Unternehmen beschäftigen – sie ist bis in das Bewusstsein der breiten Bevölkerung vorgedrungen.
Die richtigen politischen Weichenstellungen unterstützen unverzichtbare Innovationen, die es möglich machen, unsere Umwelt zu schützen. Wenn das verstanden, zugänglich und bezahlbar wird, engagiert sich jeder Einzelne und spornt wiederum Politik und Wirtschaft zur Erreichung noch höher gesteckter Ziele an. Diese Dynamik sollten wir nutzen, um die notwendigen Veränderungen zu beschleunigen und damit die 100 Prozent erneuerbar angetriebene Energiewelt und die dafür notwendige Sektorenkopplung vollständig auf den Weg zu bringen.
— Der Autor Frank Schlichting ist CEO von Kiwigrid. Er ist Mitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) und des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE). Schlichting studierte Angewandte Physik an der TH-Darmstadt und der University of California in Berkeley. Nach seinem Abschluss als Diplom-Physiker wechselte er an die TU-Berlin und promovierte dort in den Ingenieurwissenschaften. Von 2014 bis 2020 übernahm er die Geschäftsführung und Entwicklungsleitung als CEO/CTO bei Solare Datensysteme im Bereich Erneuerbare Energien, mit Schwerpunkt Produktentwicklung und Internationalisierung. Parallel steuerte er die Unternehmenstransformation im Zuge des M&A Prozesses zum Schweizer Energieversorger BKW AG, wo er zusätzlich auch als Geschäftsführer für die SDS Entwicklung GmbH Berlin (jetzt Proxima Solutions) im Bereich Windenergie verantwortlich zeichnete. —
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Gerade die Milliardenprojekte Nordstream und weitere Großprojetkte im Höchstspannungsbereich werfen die Frage auf:
Wurde schon untersucht, bei wieviel dezentraler Erzeugungng das bestehende Netz ausreicht, um die Versorgung und Netzsicherheit zu gewährleisten?
In Summe gesehen ein guter Artikel. Zum bemängltem Smartmeter Rollout habe ich aber die Anmerkung, dass dieser zwar sicher wichtig ist, die monatlichen Kosten für die Kunden aber viel zu hoch sind.
Ein wichtiger und völlig unterschätzter Bereich in der Sektorenkopplung liegt in der bidirektionalen Ladetechnik auf hoher Leistungsstufe, welche in Europa völlig verschlafen wird. Längst könnte diese Technik in Europa, wie dies in Japan der Fall ist, verfügbar sein, denn die Kenntnisse sind da. Der ganz grosse Vorteil liegt darin, dass die sehr teuren und meist nicht amortisierbaren Hausbatterien für Hausbesitzer zu einem grossen Teil überflüssig würden und es den E-Fahrzeugen einen richtigen Schub verleihen würde. Da heute Fahrzeugbatterien nicht mehr wegen den maximal möglichen Ladezyklen unbrauchbar werden, sondern das Alter (15 -20 Jahre) diese beschränkt, würde sich die Anschaffung eines Fahrzeuges mit einer grossen, also 100 kWh Batterie, nicht zuletzt auch wegen des Umweltschutzes lohnen. Heute stellen Fahrzeugbatterien in dieser Grössenordnung eine riesige Belastung für die Umwelt dar. Denn diese Fahrzeuge erreichen den CO2 Ausgleich zu einem Verbrenner bei einer eher geringen km-Leistung von z.B. 8‘000 km/Jahr nicht, da die Batterien altershalber vor dem Erreichen des CO2 Ausgleiches unbrauchbar werden. Anders sieht dies bei Kleinfahrzeugen mit Batterien von z.B. 40 kWh aus, diese erreichen den CO2 Ausgleich zu einem Verbrenner problemlos.
Angesichts der Schäden und die echten Probleme die grosse und schwere Fahrzeuge mit grossen Batterien anrichten, müsste endlich eine ehrliche und zukunftsgerichtete Diskussion stattfinden, denn einfach den Tank in jedem Fahrzeug durch eine Batterie zu ersetzten greift zu kurz und ist nicht die Lösung. Eine der Lösungen wäre aber die Sektorenkopplung im Haus mit bidirektionaler Ladetechnik. Der Hausbesitzer mit PV-Anlage könnte so nebst der riesigen Menge an Energie die ihm nun zur Verfügung stehen würde und die er mit hoher Leistung in die Batterie laden und von dieser für das Haus wieder beziehen kann, auch einen grossen Schritt zur Energie und Netzstabilität beitragen.
Das Problem sehe ich in Europa aber bei den Herstellern von Hausbatterien, welche sich mit Händen und Füssen gegen diese Technik wehren werden, denn sie sehen damit ihre Felle davonschwimmen. Für die Umwelt und die Energiesicherstellung wäre es aber ein Quantenschritt!
Ein Gruss aus der Schweiz
Der wirkliche Quantensprung wäre es, wenn man die Batterien nicht fest im Auto einbauen würde, sondern zum Laden und schnellen Austausch in Ladezentren abgäbe. Diese Ladezentren (heute noch: Tankstellen) können den Ladevorgang an das Angebot im Netz anpassen und ggf. auch etwas zurückspeisen. Die Nutzer fahren im Kurzstreckenverkehr mit kleineren Batteriepaketen durch die Gegend, und im Langstreckenverkehr auch, wenn sie die maximale Zuladung von sonstigem Gepäck nicht zu sehr einschränken wollen. Der Austausch wird wahrscheinlich günstiger, wenn man ihn langfristig anmeldet und teurer, wenn er spontan in Anspruch genommen wird.
In Frankreich geht jetzt ein Anbieter an den Start, der kleine Batterie-Anhänger für die Langstrecke vermieten will. Ein Notbehelf, so lange die direkt einbaubaren Batterien nicht genormt sind. In Schweden wird ein Elektroauto entwickelt, dessen Batterien leicht auszutauschen sind. Wenn die ihre Spezifikationen für alle freigeben, dann wird daraus eine europaweite Norm. Die deutschen Automobilfirmen scheinen die Chance verpasst zu haben, da an vorderster Front dabeizusein. Aber so ist das: Jedes Land hat seine gute Zeit, dann wird es fett und behäbig und von der hunrigen Konkurrenz überholt.