Liquefied Natural Gas (LNG) – letztes Aufbäumen der alten Energie

Erdgas

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Der Widerstand der Maschinenstürmer, die sich in der Frühzeit der Industrialisierung gegen das Neue auflehnten, scheiterte schnell. Beim Übergang von der in Form fossiler Brennstoffe „geronnenen“ Energie zur direkten Nutzung der Sonnenenergie sind die retardierenden Kräfte mit erheblicher Restmacht ausgestattet: Ein komplettes Wirtschafts-, Gesellschafts- und Staatssystem ist auf die zentralistische fossil/atomare Energieerzeugung abgestimmt beziehungsweise beruht auf ihr.

Den Menschen in den industriellen Zentren hat dieses System Bequemlichkeiten und Zerstreuungen gebracht, die zuvor unvorstellbar waren. Diese Vorteile (wenn man sie so nennen möchte) sind unmittelbar spürbar. Die Nachteile, mit denen all dies verbunden ist – an vorderster Stelle die Klimaerwärmung – sind zunächst nicht unmittelbar spürbar. Hierfür bedarf es einer gewissen Fähigkeit zur Gesamtschau, zum großen Überblick. Obwohl der Klimawandel zunehmend heftig in unsere Lebensrealität eingreift, gibt es sogar heute noch Menschen, die nur ausnahmshafte einzelne Wetterereignisse sehen wollen, wie sie schon immer hin und wieder vorkamen.

Bei den Sonnenenergien verhält es sich genau umgekehrt: Unmittelbar wahrnehmbar sind hier erst einmal Nachteile: neue, anfänglich teure und auch noch nicht ausgereifte Technik, da Vollversorgung in Deutschland bisher erst in wenigen Einzelprojekten realisiert wird. Zum Erkennen der Vorteile – Klimaschutz, Umweltfreundlichkeit – bedarf es besagter Fähigkeit zum Überblick. Dass diese nicht im wünschenswerten Maß verbreitet ist, erschwert bei den fossil/atomaren Energien das Erkennen der Nachteile und bei den Sonnenenergien das Erkennen der Vorteile.

Ein weiterer Faktor erschwert den Sonnenenergien die Durchsetzung gegenüber den fossil/atomaren: Letztere ziehen durch ihre konzentrierte Entfaltung brutaler Kraft auch Charaktere an, denen die Arbeit mit solchen Kräften „liegt“, die eine Affinität hierzu haben. Die Sonnenenergien sind sanft und ziehen sanfte Charaktere an. Für den auf dem Markt üblichen skrupellosen Konkurrenzkampf sind diese gar nicht prädestiniert.

Dass die Energiewende trotz alledem so weit gekommen ist, wie sie es ist, ist eigentlich erstaunlich und stärkt die Zuversicht, dass sie als „sanfter Krieger“ weiter vorankommen wird.

Das derzeitige groß angelegte Manöver, Deutschland zu einem wahren Erdgas-Magneten auszubauen, der den Stoff aus sämtlichen Himmelsrichtungen ansaugt, um damit die Kohle zu ersetzen, wird vor dem skizzierten Hintergrund als letztes Aufbäumen des alten Regimes kenntlich. Zuerst versuchten sie, mit CCS die Kohle zu retten. Das misslang. Nun geben sie die Kohle auf und versuchen es mit Erdgas. Auch diesen Fehlleitungsversuch sollten wir zurückweisen.

Mit bedeutungsvoller Geste flüstert man: Die jetzt aufzubauende Erdgas-Infrastruktur könnt ihr später doch mit grünem Methan betreiben. – Bloß: Der forcierte Ausbau von Photovoltaik und Windkraft, der hierfür nötig wäre, soll nicht stattfinden! Die Deckel werden nicht mal gelockert. Von der Abschaffung der Abgabenbelastung, mit der die Weiterentwicklung von Power-to-Gas verhindert wird, ist keine Rede. – Man sieht den Betrug.

Wie eine Regierung etwas voran treiben kann, wenn sie denn will, ist bei der Wegbereitung für das amerikanische Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) staunend zu beobachten. Hat man solchen Eifer schon einmal bei der Förderung der Energiewende erlebt?

Nein, jeder Euro, der für Erdgas-Infrastruktur ausgegeben wird, fehlt beim Ausbau der Erneuerbaren. Diese brauchen wir, nicht Erdgas. Wenn Erdgas-Infrastruktur mit grünem Gas genutzt werden soll, kann man damit umgehend beginnen und bestehende Gaskraftwerke mit regenerativem Methan betreiben. Dafür braucht man mehr Windkraft und mehr Photovoltaik, aber nicht Erdgas.

In Brunsbüttel wird derzeit über LNG-Terminals diskutiert. Die Feststellung von Prof. Howarth (Cornell University, New York), dass Methan in den ersten 10 Jahren seiner Exposition in die Atmosphäre die 100-fache Klimawirkung von CO2 hat, so dass Erdgas aufgrund seiner Vorkettenemissionen mindestens so klimaschädlich ist wie Kohle, versucht niemand zu widerlegen, auch nicht, dass 10 bis 30% der im LNG enthaltenen Energie allein für Kompression, Abkühlung auf -160 Grad und Transport benötigt werden.

Durch all dies lässt sich eine Firma wie Shell aber nicht im Geringsten dabei stören, per Studie zu behaupten:

„Einsatz von LNG kann Treibhausgas-Emissionen im Güterverkehr bis 2040 um 142 Millionen Tonnen senken“
https://www.shell.de/medien/shell-presseinformationen/2019/einsatz-von-lng-kann-treibhausgas-emissionen-im-guterverkehr-bis-2040-um-142-millionen-tonnen-senken.html

Die Treibhausgasemissionen von Gasmotoren werden mit denen bisher in Schiffen und Lkw eingesetzten Motortypen verglichen. Um das beabsichtigte Ergebnis zu erreichen,

  • lässt man die Vorkettenemissionen der Erdgasproduktion und der LNG-Herstellung außer Acht,
  • setzt man für die insbesondere bei Viertaktern unverbrannt entweichenden 1 bis 2% des Methans lediglich die 30fache Klimawirkung des CO2 an (doch schon damit wird die CO2-Einsparung bei der Verbrennung aufgehoben: Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages https://www.bundestag.de/blob/559626/b136948e9897d506d321fb4fca5ca00c/wd-8-032-18-pdf-data.pdf S.11)
  • will man zur Aufbesserung des Klimaresultats dem LNG 30% Biogas beimischen, ohne aber die bei dessen Herstellung auftretenden Emissionen zu berücksichtigen.

Wem nichts anderes übrig bleibt, als Zuflucht im Post-Faktischen zu versuchen, hat auch seine eigene Faktizität bald hinter sich.

Örtliche Kräfte glauben an 70 in Aussicht gestellte Arbeitsplätze. – Wann schaffen wir einmal den Denkschritt vom „Arbeitsplatz als solchem“ zur Frage, was auf diesem Platz gearbeitet wird und ob das gut ist oder nicht?

Auch die Beantwortung einer solchen Frage steht im Zuge der Energiewende an. Und ebenso die Beantwortung so vieler weiterer Fragen, wie wir es uns noch gar nicht vorstellen können. – Aber auf dem Weg sind wir, das ist Fakt. Und es geht gar nicht anders als weiter zu gehen!

— Der Autor Christfried Lenz war unter anderem tätig als Organist, Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Politisiert in der 68er Studentenbewegung, wurde „Verbindung von Hand- und Kopfarbeit“ – also möglichst unmittelbare Umsetzung von Erkenntnissen in die Praxis – zu einer Leitlinie seines Wirkens. So versorgt er sich in seinem Haus in der Altmark (Sachsen-Anhalt) seit 2013 zu 100 Prozent mit dem Strom seiner PV-Inselanlage. Nach erfolgreicher Beendigung des Kampfes der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“ engagiert er sich ganz für den Ausbau der Ereneuerbaren in der Region. Als Mitglied des Gründungsvorstands der aus der BI hervorgegangenen BürgerEnergieAltmark eG, wirkte er mit an der Realisierung einer 750 Kilowatt-Freiflächenanlage in Salzwedel. Lenz kommentiert das energiepolitische Geschehen in verschiedenen Medien und mobilisiert zu praktischen Aktionen für die Energiewende —

Die Blogbeiträge und Kommentare aufwww.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.

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