Wie Communities der Energiewende dienen

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pv magazine: Lumenaza kann im Prinzip Bilanzkreise automatisiert betreiben, sodass steuerbare Lasten und steuerbare Erzeuger geregelt werden. Das System wickelt auch den ­Day-ahead- und Intraday-Markt automatisiert ab, um Reststrommengen zu kaufen oder zu verkaufen. Was ist das Besondere?

Christian Chudoba: Das Besondere an unserem Ansatz ist, dass wir sowohl Erzeugung als auch Verbrauch aus demselben Bilanzkreis steuern. Das heißt, der Strom aus den angeschlossenen Produktionseinheiten wird direkt an die Verbraucher weitergeleitet, ohne den Umweg über die Börse. Daher erhalten wir die große Transparenz, woher der Strom kommt. Zusätzlich werden wir Flexibilitäten vermarkten, zum Beispiel Batterien zu Zeiten negativer Börsenpreise beladen und Wärmepumpen oder auch Power-to-Heat-Anwendungen entsprechend den Strompreisen steuern. Wir machen auch die Prognosen, die für das Agieren am Energiemarkt nötig sind, basierend auf Wetterprognosen, physikalischen Modellen und historischen Daten selbst. Wir nutzen hier Verfahren des „machine learning“ und der „artificial intelligence“. Die Prognosen sind nicht trivial, zumal wir es in vielen Fällen mit Prosumern zu tun haben, das heißt der Eigenverbrauch überlagert die Einspeisung. Wir müssen daher sowohl die fluktuierende Erzeugung als auch den fluktuierenden Verbrauch prognostizieren.

Warum ist Ihr System sinnvoll?

Unser Ansatz für die Bilanzkreise ermöglicht eine maximale Transparenz über die Herkunft des Stroms, indem wir die Endkunden direkt aus dem Bilanzkreis bedienen, in den auch die Produzenten einspeisen. Gleichzeitig stehen alle Erzeugungs- und Verbrauchsdaten der Community jederzeit zur Verfügung. Außerdem sind wir bereits heute in der Lage, sehr kleinteilige Erzeugungsanlagen in die Direktvermarktung zu überführen. Dies ermöglicht zum Beispiel Eigenheimbesitzern, die eine Photovoltaikanlage auf dem Dach haben, ihren Strom mit den Mitgliedern der Community zu teilen und dadurch finanzielle Vorteile zu genießen. Damit bilden wir bereits schon heute Peer-to-Peer-Ansätze ab, die zum Beispiel in der Blockchain-Community intensiv diskutiert werden.

Wie einzigartig ist das?

Unsere ursprüngliche Idee war, dass wir uns auf die Algorithmen zur Optimierung fokussieren und auf Standardsoftware zurückgreifen. Wir haben aber schnell festgestellt, dass die vorhandenen Systeme in einer Zeit entwickelt wurden, in der wenige Kraftwerke und Marktteilnehmer den Markt bestimmt haben. Diese Systeme haben nicht die Flexibilität, Dinge neu zu denken, wie zum Beispiel Verbraucher und Produzenten direkt miteinander zu verbinden. Daher war es für uns effizienter, die Software selbst zu entwickeln und sie modular, flexibel und hochskalierbar zu gestalten. Mit unserer Utility-in-a-Box-Lösung sind wir einzigartig am Markt. Sie bildet alle Funktionen ab, die ein „neuer oder alter“ Versorger für die neue Energiewelt, das heißt die Vermarktung von dezentralen Energiequellen, die Bildung von Communities, neue Tarifansätze, Regionalstrom oder andere P2P-Ansätze benötigt. Dazu gehören das Bilanzkreismanagement, Endkundenabrechnung, Marktkommunikation, Produzentenabrechnung und Direktvermarktung. Die Funktionalitäten und Daten innerhalb der Software können über umfangreiche APIs abgerufen werden, damit der Versorger seine eigenen Webseiten und Applikationen mit unserer Plattform verbinden kann. Alternativ liefern wir einen eigenen Webseiten-Baukasten.

Das Besondere ist aber auch das Konzept, wie Sie diese Bilanzkreise organisieren. Sie sollen nämlich mit möglichst wenig Kauf oder Verkauf an der Börse oder anderswo funktionieren. Warum?

Unser Ansatz ist, dass die Erzeugung und der Verbrauch innerhalb einer Region immer möglichst ausgeglichen sind. Heute hat dies hauptsächlich ideelle Gründe, da wir stark daran glauben, dass die regionale Versorgung sowohl die Akzeptanz der Energiewende stärkt als auch volkswirtschaftliche Vorteile bringt, indem sie die Dimensionierung des notwendigen Netzausbaus reduziert. Leider sind momentan alle Regularien darauf ausgerichtet, dass der Stromtransport immer gleich viel kostet, egal ob ich ihn an meinen Nachbarn liefere oder quer durch Deutschland über Hunderte von Kilometern. Bevor wir überschüssigen Strom vermarkten oder Reststrom am Markt beschaffen, optimieren wir alle Bilanzkreise, für die wir verantwortlich sind, untereinander. Dies reduziert die Komplexität und die Kosten und erhöht die Transparenz.

Wie haben Sie darauf Einfluss, da es doch die Entscheidung Ihrer Kunden ist, deren Bilanzkreise Sie managen?

Wir haben darauf Einfluss, indem die Konditionen für unsere Kunden attraktiv sind. Unsere Kunden sind an einer Lösung interessiert, die für sie das optimale Ergebnis erzielt. Dazu zählt eben auch die Optimierung der Bilanzkreise untereinander, bevor wir externe Handelsmöglichkeiten hinzuziehen. Es eröffnet für unsere Kunden auch interessante Möglichkeiten, sodass sich zum Beispiel benachbarte Stadtwerke mit einem überregionalen Produkt zusammenschließen können.

Wieso ist ein System wie Ihres für die Energiewende sinnvoll?

Unsere Vision ist, Erzeuger und Verbraucher von erneuerbaren, dezentralen Energien so direkt wie möglich zusammenzubringen. Als Ziel steht grüner, günstiger Strom von jedermann für jedermann. Die Erzeugung von Energie ist deutlich dezentraler geworden, Verbraucher sind zu Prosumenten geworden und können selbst die Energiewende in die Hand nehmen. Gleichzeitig müssen Themen wie Versorgungssicherheit und die effiziente Nutzung der Netze sichergestellt werden. Dies geschieht am besten durch eine intelligente, digitale Vernetzung und Steuerung wie durch unsere Plattform. Die Anlagen sind heute vernetzt – das steigert die Intelligenz im Markt. Unsere Software setzt genau an diesem Punkt an: Die Integration von erneuerbaren Energien in den Markt, die Synchronisation von Erzeugung und Verbrauch sowie das Ermöglichen neuer Geschäftsmodelle. Häufig wird die Energiewende rein technisch diskutiert. Dabei steht und fällt sie mit der Akzeptanz der Bürger. Unser Ansatz ermöglicht die wirtschaftliche, soziale und ökologische Teilhabe von jedem. Strom wird dort verbraucht, wo er regional auch erzeugt wird. Das schafft Arbeitsplätze und belässt die Wertschöpfung vor Ort. Durch die Einbindung von erneuerbaren Energien wird der CO2-Ausstoß vermindert und das Klima geschützt. Unsere Software ist dabei nicht nur auf die Erzeugung von Energie ausgerichtet, sondern kann auch Speicher, Ladesäulen und Power-to-Heat-Systeme steuern und einbinden.

In einem sehr dezentralen Energiewende-Szenario werden Erzeugung und Verbrauch möglichst lokal zum Ausgleich gebracht. Das geht in Bezug auf den Energiehandel in Viertelstundenfenstern mit Ihrem System, zumindest wenn Sie auch Lastmanagement mit einbeziehen. Aber ist für diesen dezentralen Ansatz nicht entscheidend, dass auch die Funktionen, die die Regelleistung innerhalb der 15 Minutenfenster erfüllt, lokaler werden? Wie kann das gehen?

Generell müssten die Märkte regionaler und internationaler werden. Ein Teilaspekt davon wären lokale Regelenergiemärkte, aber auch unterschiedliche Preiszonen für Strom. Wiederum andere Aspekte wären lokale Netzampeln, die Preissignale für die Netznutzung senden, auf die jeder einzelne dann mit Hilfe unserer Software reagieren kann. Perspektivisch gehen wir davon aus, dass bis auf die Primärregelenergie die Regelenergiemärkte eher in den kontinuierlichen Börsenhandel aufgehen werden. Wir gehen weiterhin davon aus, dass der jetzige Handel in 15 Minuten-Zeitfenstern nicht das Ende der Entwicklung sein wird. Moderne IT-Systeme in Kombination mit neuen Erzeugungstechniken und Speichern, die praktisch instantan reagieren, werden wir auch kürzere Zeiten sehen, Stichwort Power-only-Märkte. Unser Ziel ist momentan 60 Sekunden. 30 Sekunden wären wahrscheinlich auch machbar. Generell unterstützen wir alle Bestrebungen, die die Preisbestandteile des Strompreises für Endkunden dynamisieren. Dazu gehören die Netzentgelte aber auch die diversen Abgaben. Die Dynamisierung sollte sowohl lokale wie zeitliche Elemente haben. Durch diese Marktanreize werden sich dann die wirtschaftlich sinnvollsten Lösungen etablieren.

Lumenaza-Autonomiegrad für die Versorgung in Schwaben und Altbayern für das Jahr 2015. Die Grafik zeigt, welcher Anteil des Stromes aus den Erzeugungsanlagen stammt, die an das Lumenaza-System angeschlossen waren. Eine hohe Autonomie lässt sich zwar durch eine starke Überdeckung mit Solar- oder Windleistung erreichen. In diesem Beispiel ist das nach Lumenaza-Angaben aber nicht der Fall. Es werde nur wenig exportiert, sagt Christian Chudoba. Langfristig strebt er einen Autonomiegrad von 100 Prozent an, kurzfristig ist er auch mit 90 Prozent zufrieden.

Bei dem Sinteg-Projekt Enera geht es darum, das dezentrale Konzept und das überregionale Konzept zusammenzubringen, zum Beispiel den Regelenergiemarkt nicht nur überregional, sondern auch lokal zugänglich zu machen. Was halten Sie davon und wie wichtig ist dabei, dass man im Stromhandel ausgeglichene Bilanzkreise mit möglichst wenig Verkauf und Zukauf hat?

Im Prinzip begrüßen wir alle Ansätze, die regionale Elemente berücksichtigen. Im Enera-Projekt bekommt auch die Wirkleistung, die an der EEX gehandelt wird, eine regionale Komponente. Im Ansatz soll sich dann der Netzbetreiber an diesem Markt bedienen, um Systemdienstleistungen abzurufen. In unserer Vision treten die Akteure eher direkt miteinander in Kontakt. Dies wird heute von den Versorgern, also den Stromlieferanten, vermittelt. Bei dem Versorger liegt der Kundenvertrag, und er sollte derjenige sein, der die attraktiven Kundenangebote schnürt, die die Vermarktung der Exklusivität beinhaltet. Der stark regulierte Netzbereich stellt ein natürliches Monopol dar und sollte nicht die attraktiven Kundenangebote übernehmen. In Analogie zum Internet stellt das intelligente Stromnetz eine Art Datenautobahn zur Verfügung, die Applikationen wie Netflix oder Facebook sind davon aber unabhängig.

An welcher Stelle können in Zukunft Blockchain-Technologien für Ihr System einen Vorteil bringen?

Die Herausforderungen der Blockchain sind eher generischer Art. Aus unserer Sicht sind die grundsätzlichen Herausforderungen zurzeit noch die mangelnde Skalierung, ein hoher Stromverbrauch für das Ent- und Verschlüsseln – dies führt also zu hohen Kosten – und vor allem ein fehlender regulatorischer Rahmen. Einsatzfelder sehen wir vor allem im Hinblick auf die großen Kostentreiber, wie zum Beispiel die Ablösung des klassischen Messstellenbetriebs durch die Bereitstellung der Daten über Blockchain. Genauso könnten Direktvermarktungsschnittstellen, also die Steuerung der Anlagen, über Blockchain autorisiert werden. Zuletzt liegt auch im Umfeld der Wechselprozesse, das heißt der sogenannten Marktkommunikation zwischen Altlieferant, Neulieferant, Netzbetreiber und Messstellenbetreiber, viel Optimierungspotenzial.

In welchen Ländern der Welt funktioniert der Energiemarkt, sowohl organisatorisch als auch technisch, ähnlich wie in Deutschland, so dass ihre Technologie erstens übertragbar und zweitens sinnvoll ist?

Das generelle Marktdesign ist in der EU identisch. Insofern ist es hier überall anwendbar. Entscheidend ist aber die Durchdringung an erneuerbaren Energien. Daraus ergibt sich, dass Märkte wie Italien, Benelux, Niederlande, UK und zunehmend Spanien wie Frankreich interessant werden. Wir werden aber von Akteuren aus der ganzen Welt kontaktiert. Sehr spannend ist auch Australien. Anfragen erreichen uns auch Asien, Japan, USA und Afrika.

Wie sind die bisherigen Ergebnisse von Lumenaza?

Wir haben insgesamt zwölf Projekte mit den unterschiedlichsten Akteuren realisiert und managen mehrere Hundert Anlagen in der Direktvermarktung.

Die schriftlichen Fragen stellte Michael Fuhs.

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