Auf in den Konsumgütermarkt

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Sie bereiten sich auf die Zukunft dadurch vor, dass Sie Ihre Kunden intensiv befragen. Was wollen diese?

Holger Krawinkel: Es stellt sich immer wieder heraus, dass unsere Kunden sehr viel Wert auf technische Zuverlässigkeit und auf Regionalität legen, also auf Nähe zu ihrem Versorger. Eines ist aber besonders interessant: Wenn es darum geht, direkt zu kommunizieren, sind sie doch eher zurückhaltend. Ihr Gefühl ist: Der Energieversorger liefert etwas, was ohnehin da ist. Deswegen wird die Notwendigkeit der Kommunikation über diese Lieferung hinaus als eher gering eingeschätzt. Das liegt auch daran, dass den Kunden bislang nur relativ wenige unterschiedliche Produkte angeboten werden. Das unterscheidet die heutige Energiewirtschaft etwa vom Konsumgüterbereich.

Das hört sich noch nicht so sehr danach an, dass der „Prosumer“ kommt, der nicht nur Energie verbraucht, sondern auch erzeugt, oder?

Es ist immer leichter, nach der Gegenwart zu fragen als nach der Zukunft, vor allem in Zeiten großer technischer Weiterentwicklungen. Wenn man Sie im 19. Jahrhundert gefragt hätte, wie Sie künftig reisen wollen, hätten Sie vermutlich gesagt: „Mit besseren und schnelleren Pferden.“ Da hat niemand an technologische Fortschritte wie Flugzeug oder Auto gedacht. Trotzdem versuchen wir natürlich, solche Punkte zu erfragen. Dabei sehen wir, dass auch bei dezentraler Energieerzeugung, zum Beispiel bei Photovoltaikanlagen mit Batteriespeichern, genau die gleichen Anforderungen bestehen wie heute: eine hohe technische Zuverlässigkeit, der regionale Bezug und ein guter Service.

MVV Energie kommt aus dem städtischen Bereich. Ist der Wunsch, Prosumer zu sein, auf dem Land höher?

Auch in Städten wie Mannheim gibt es Gebiete mit Reihenhäusern oder Einfamilienhäusern. Dort sehen wir ein hohes Interesse. Wir haben zum Beispiel ein Quartierspeicher-Projekt (Strombank, siehe Seite 6). Dafür haben wir in der näheren Umgebung etwa 40 Betreiber von Solaranlagen angeschrieben. Die Hälfte hat sich gemeldet und macht mit. Solche Modelle stoßen also auch in Städten auf großes Interesse.

Wo sehen Sie bei der MVV die größten Schwierigkeiten des Wandels in Richtung neue Energiewelt? Oder, wo wandeln Sie sich hin?

Die Branche muss die neue Energiewelt aktiv gestalten. Dabei entstehen Chancen, die wir nutzen wollen. So werden zwar einige der bestehenden Geschäftsmodelle nach und nach an Bedeutung verlieren, etwa ein Teil der zentralen und unflexiblen Stromerzeugung. Die Unternehmen reagieren darauf durch einen anderen Erzeugungsmix. Dafür stehen exemplarisch unsere Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch in Energieeffizienz und Kraft-Wärme-Kopplung. Gleichzeitig wollen wir die Wertschöpfungskette hinter den Zähler verlängern, also direkt zu den Kunden. Dazu dienen Angebote im Bereich des dezentralen Energiemanagements, Photovoltaikanlagen und Batteriespeicher. Dafür haben wir gemeinsam mit Glen Dimplex, einem führenden Hersteller von Heizgeräten, mit Baywa r.e. und mit dem IT-Spezialisten Greencom Networks das Joint Venture Beegy gegründet.

Wenn wir die von Ihnen skizzierte Entwicklung anschauen, wie kann unter diesen Bedingungen ein Energiesystem aussehen?

Wir müssen uns klarmachen, dass wir im Energiebereich Änderungen auf drei Ebenen haben. Die Strukturen verändern sich zum einen von zentraler zu dezentraler Erzeugung und zum zweiten von konventionellen zu erneuerbaren Energien. Das hat sich ja schon lange abgezeichnet und ist schon im Gange. Jetzt kommt noch eine dritte Ebene dazu, nämlich die Verschiebung vom Investitionsgüter- in den Konsumgüterbereich.

Was hat das für Konsequenzen?

Im Konsumgüterbereich, also etwa bei Autos oder Haushaltsgeräten, gelten andere Gesetzmäßigkeiten. Bei der Ausstattung von Badezimmern oder Küchen wird nicht nur betriebswirtschaftlich gerechnet. Die Nachfrage wird auch von den Bedürfnissen der Konsumenten bestimmt. Im Energiebereich kann es ähnliche Entwicklungen geben: Autarkie oder Autonomie können derartige Bedürfnisse sein. Ab einer bestimmten Preisschwelle wird dann zum Beispiel ein kleiner Batteriespeicher gekauft wie heute ein Fernsehgerät oder ein Kühlschrank.

Auch wenn es volkwirtschaftlich sinnvoller wäre, das Energiesystem anders zu konstruieren?

Wenn diese Entwicklung eintritt, greift die strenge volkswirtschaftliche Betrachtung, wie wir sie bisher aus dem Energiebereich kennen, nicht mehr. Das kann man sich vorstellen wie beim Übergang von der Dampflok zum Auto. In der Dampflok-Logik wird volkswirtschaftlich optimiert, sie soll möglichst immer fahren. Autos sind aus dieser Perspektive ineffizient, weil sie im Schnitt 23 Stunden am Tag stehen. Trotzdem hat sich das Auto durchgesetzt, weil es individuelle Bedürfnisse befriedigt.

Sehen Sie das in den Studien zur zukünftigen Entwicklung widergespiegelt, die ja maßgeblich die Diskussion bestimmen?

Die gesamte energiewirtschaftliche Diskussion ist durch die Auseinandersetzungen der letzten Jahre geprägt. Dabei spielte die volkswirtschaftliche Effizienz eine große Rolle. Das kann man etwa an der überholten Annahme erkennen, wir bräuchten keine Speicher. Volkswirtschaftlich gesehen kann es günstigere Alternativen geben, etwa den Netzausbau. Aber die Dampflokindustrie hat damals sicher auch behauptet, dass „wir“ keine Autos brauchen. Nur: Was passiert, wenn Speicher mit zwei bis drei Kilowattstunden Speicherkapazität für weniger als 1.000 Euro zur Verfügung stehen? Dann brauchen wir keine „Dampfloks“ mehr.

Wie meinen Sie das?

Einen Batteriespeicher für unter 1.000 Euro wird sich der Konsument auch mal spontan kaufen. Das sind dann Plug-and-play-Geräte, die einfach an die Steckdose angeschlossen werden und dann ihre Speicherfunktion erfüllen. Das Gleiche gilt, wenn eine Fünf-Kilowatt-Photovoltaikanlage künftig für einen Festpreis von unter 4.000 Euro zur Verfügung steht. Diese Zahlen sind durchaus realistisch. Eine solche Entwicklung hat erhebliche Wachstumseffekte, so dass wir gute Chancen für unsere neuen Geschäftsfelder sehen.

Was sehen Sie als die wichtigsten nächsten Schritte, die wir für den Weg in die neue Energiewelt brauchen?

Erneuerbare Energien werden immer günstiger. Diese Preiskurve treibt die Entwicklung zu mehr Dezentralität bei den Privatkunden und auch beim Gewerbe an. Wir arbeiten an Produkten, die zusätzlich Intelligenz in dieses System bringen. Ein solches dezentrales Energiemanagement verknüpft Erzeugung und Verbrauch und sorgt so dafür, dass Strom und Wärme optimal genutzt werden.

Das Gespräch führte Michael Fuhs

MVV Energie

MVV Energie bezeichnet sich selbst als eines der führenden Energieunternehmen in Deutschland. Es machte 2014 rund 3,7 Milliarden Euro Umsatz und hat knapp 5.200 Beschäftigte. Es ist in der Region Mannheim verwurzelt. Unter anderem erzeugt es Strom, handelt ihn, betreibt die Netze und versorgt Stromkunden. Die Gründung des Unternehmens geht auf das Jahr 1873 zurück. Mit dem Börsengang 1999 entstand laut Aussage von MVV „das einzige börsennotierte und mehrheitlich kommunale Energieunternehmen Deutschlands“. Es deckt nach der Selbstbeschreibung alle wesentlichen Stufen der Wertschöpfungskette bei der Versorgung mit Strom, Wärme, Gas und Wasser ab.

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