Flexibel werden

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Welche Innovationen sind noch nötig, um die Flexibilität im Energiesektor zu erhöhen?
Jens Strüker: Ein Geschäftsmodell besteht in einer Welt mit wetterbedingt schwankender erneuerbarer Energieerzeugung darin, auszunutzen, dass Strom zu gewissen Zeiten mehr wert ist als zu anderen. Ob ich das selbst mache oder das jemand für mich tut, ist eine andere Frage. Aus diesem theoretischen Geschäftsmodell muss ein praktisches werden. Da ist viel Ausprobieren nötig, also ganz normales Unternehmertum, um damit auch Geld zu verdienen. Die Direktvermarkter haben das bereits gemacht. Als zweiten Punkt, wo Innovationen nötig sind, sehe ich, dass man die Flexibilität auch tatsächlich erschließen muss. Man muss dazu die Fragen beantworten, wie groß das tatsächliche Verschiebepotenzial ist und mit welcher Technologie Lasten verschoben werden sollen. Ein Aspekt davon ist, wie man Knappheits- oder Überangebotssignale zu denjenigen bekommt, die Lasten zum Verschieben haben.
Was ist dafür in erster Linie wichtig?
Energiedaten werden wichtig, damit die beteiligten Player zum Beispiel darüber Bescheid wissen, was in den Niederspannungsnetzen passiert. Das gilt sowohl für die Netzsteuerung als auch für den Vertrieb, also die ökonomische Seite. Beide sind für den Ausgleich von Fluktuationen verantwortlich. Wenn im Netz eine kritische Situation herrscht, übernimmt der Netzbetreiber die Steuerung. Ist das Netz im grünen Bereich, ist der Stromvertrieb und Stromhandel zuständig. Für mich ist die entscheidende Frage: Wie handeln Stromvertrieb und Stromhandel? Eigentlich nach Signalen der Großhandelsbörse. Deren Schwankungen werden derzeit aber nicht an die Endkunden weitergegeben. Aber selbst wenn das so wäre, braucht der Vertrieb genauere Daten darüber, wie der Verbrauch reagiert, wenn er diese Steuerungssignale bekommt. Heute wird der Stromverbrauch einmal im Jahr abgelesen. Man weiß nicht, was die Leute wann, wie, wo verbrauchen. Das gilt auch für Gewerbebetriebe, für die großen öffentlichen Gebäude und Bürogebäude.
Was für Möglichkeiten hätte denn ein Stromvertrieb?
Dazu ein Beispiel: In einem Gebiet, in dem 60 Prozent Pendler wohnen, die tagsüber gar nicht da sind, sieht das Lastprofil ganz anders aus als einem anderen Gebiet, in dem nur zehn Prozent Pendler wohnen. Es kann für einen Stromvertrieb viel Sinn machen, solche Gebiete zu kombinieren, vielleicht sogar auch noch mit etwas Gewerbe. Der Vertrieb muss Kundengruppen und Stromeinkauf und -vermarktung geschickt abstimmen und einen kombinierten Tarif anbieten. Diese Entwicklungen fangen jetzt gerade erst an, und wir wissen nicht, was alles möglich sein wird. Allerdings gibt es immer noch regulatorische Hemmnisse. Selbst wenn ein Stromvertrieb heute genauer über die Verbräuche in seinem Gebiet Bescheid weiß, kann er dieses Wissen nicht einfach zu Geld machen. Er ist derzeit gesetzlich gezwungen, nach sogenannten Standardlastprofilen, das heißt repräsentativen Lastprofilen, Strom einzukaufen. Das ist natürlich Gift für Innovationen und soll auch in den nächsten Jahren geändert werden.
Viele bezweifeln, dass es wirklich so viel Verschiebepotenzial in Haushalten gibt. Können Innovationen das ändern?
Das Spannende ist, dass wir noch gar nicht absehen können, was für Tarife neu entstehen und welche Flexibilitäten noch entdeckt werden. Es wird häufig mit Untersuchungen argumentiert, dass in Deutschland das Verschiebepotenzial von Haushalten gering sei. Hinter dieser Aussage stehen aber zwei Annahmen, die ich anzweifle: Erstens, heute vorliegende Strompreise und heute vorliegende Marktsituationen werden als gegeben angesehen. Diese werden sich jedoch mit steigendem Anteil Erneuerbarer an der Stromerzeugung massiv ändern. Zweitens, dass es keine Bezahlung dafür gibt, wenn man das Netz entlastet. Hier lässt sich bereits heute zeigen, dass man sehr wohl mit Energiedaten Geld verdienen kann.
Wie kann durch neue Geschäftsmodelle der Wert des Solarstroms gesteigert werden?
Wenn wir in unserem Stromsystem eine Berücksichtigung des Stromtransports bekommen. Heute haben wir bereits verstopfte Netze. Diese Engpässe bepreisen wir aber nicht konsequent und geben damit auch keine entsprechenden Knappheitssignale. Wo Probleme sind, wo Knappheit herrscht, müsste der Preis für Netzentgelte viel höher sein. Wenn es eine marktliche Bepreisung der Entfernung gibt, lohnt es sich plötzlich, lokal erzeugten Strom lokal zu verbrauchen. Oder eben genau umgekehrt. Der Wert von PV-Strom steigt zwar nicht automatisch, aber wir erhielten zumindest einen realistischen Wert.
Müssen wir, um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, den Datenschutz reduzieren?
Datenschutz ist ein Knackpunkt. Wenn man den Datenschutz nicht hinbekommt, wird das Ganze nicht funktionieren. Aber ich wehre mich vehement dagegen, Datenschutz und Datenvermeidung gleichzusetzen oder Datenschutz auf Datenvermeidung zu reduzieren. Geschäftsmodelle mit Daten sind ja nichts Neues. Wenn Sie sich die Telekommunikation ansehen, dann gehört zu dem Dienst, den Sie empfangen, dass man weiß, wo Sie sind. Das wird automatisch aufgezeichnet, um abrechnen zu können. Das stört heute niemanden. Da ist eine Umgebung geschaffen worden, wo das offensichtlich funktioniert. Da sind wir dann auch bei dem Thema Start-ups. Meine Idealvorstellung ist, dass Firmen, die in Deutschland agieren, direkt von Anfang an Datenschutz in die Systeme einbauen und dass das international ein Differenzierungsmerkmal wird.
Sehen Sie in diesem Bereich in Deutschland viele relevante Start-ups?
Wir haben auch in Deutschland eine Szene, die immer größer wird. Es ist fantastisch, was da entsteht. Man muss sich aber klar sein, dass das in Relation zu den USA deutlich geringer ist.
Warum ist das so?
Das hängt historisch-kulturell damit zusammen, dass unsere Studenten, die von der Universität kommen, Start-ups nicht als wahnsinnig attraktive erste Station sehen, wo man hingeht. Ich sage allerdings nicht, dass man das nicht ändern kann. Das Entscheidende, und das betrifft Energie-Start-ups genauso wie alle anderen Start-ups, ist, dass es in Deutschland weniger Risikokapital gibt. Für die Gründungsfinanzierung gibt es bei uns viele Angebote. In Deutschland ist das Problem die Wachstumsfinanzierung, die danach kommt. Der andere große Unterschied sind Investoren wie der Y-Combinator. Das ist ein Gründungsfinanzierer. Der schaut sich Unternehmen zehn Minuten an. Die Bewerber legen nicht mal einen Businessplan vor. Nach zehn Minuten gehen sie, wenn sie erfolgreich sind, mit 125.000 Euro raus und haben drei Monate Zeit, ihre Idee zu entwickeln. Sie haben dann viele Verbindungen, die nächste Runde finanziert zu bekommen, wenn sie gut sind.
Sie haben gesagt, auch die Green-Button-Initiative hilft bei den Gründungen. Was ist das?
Mit der Green-Button-Initiative sollten die Smart-Meter-Daten in ein einheitliches Profil gebracht werden. Die Stromvertriebe werden dazu verpflichtet, ihren Kunden die Daten in diesem Profil zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel Verbrauchsprofile. Der Kunde hat die Kontrolle darüber. Er kann die Daten jemandem geben, zum Beispiel einem Software-Unternehmen, das sie analysiert und darauf basierend Empfehlungen gibt. Das sollte Unternehmensgründungen in Gang setzen, und es gibt inzwischen immer mehr Start-ups, die damit arbeiten.
Welche Erfahrung haben Sie in den USA gemacht?
Ich habe eine Zeit im Silicon Valley in Kalifornien gelebt und gearbeitet und besuche seitdem regelmäßig interessante Start-ups im Energiebereich. Wie disruptiv, wie zerstörerisch Software sein kann, erstaunt mich jedes Mal aufs Neue. Jüngstes Beispiel ist Uber: Viele meiner Bekannten und Freunde vor Ort nutzen kein traditionelles Taxi mehr. Wir neigen leider in Deutschland dazu, uns auf unserer ingenieurwissenschaftlichen Exzellenz auszuruhen und Software mit den Themen Cloud und Big Data zu verteufeln oder ihr zumindest mit dem erhobenen Zeigefinger zu begegnen. Ich will nicht den US-amerikanischen Datenschutz. Aber gerade wenn man unser hohes Niveau erhalten will, muss man sich proaktiv mit den ökonomischen Chancen auseinandersetzen und gestalten. Heute meckern wir gerne über Whatsapp, Google und Amazon. Kritisch müssten wir uns aber eingestehen, dass wir die entsprechenden Geschäftsmodelle verschlafen haben.
Das Gespräch führte Michael Fuhs.

Jens Strüker ist Professor an der Fresenius Hochschule. Er erforscht in Frankfurt am Main, wie Energiedaten die Basis für neue Geschäftsmodelle sein können.

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