Reif für die Insel

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„Reif, reif, reif, reif für die Insel“, schmetterte Peter Cornelius vor 30 Jahren – und blieb dann doch Österreich und der Schlagerwelt erhalten, denn „zum Aussteig‘n bin i scheinbar zu feig“. Ein aktuelles Projekt seiner Schweizer Nachbarn, der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, hätte ihm vielleicht damals Mut machen können, seine Inselträume in die Tat umzusetzen: Bautechnologen der EMPA haben mit Partnern aus Forschung und Industrie einen futuristischen Container mit Namen „Self“ entwickelt. Darin sollen zwei Menschen an fast jedem Ort der Welt ein Jahr lang komfortabel wohnen und auf Wunsch auch arbeiten können, ohne auf Strom- oder Wasseranschlüsse angewiesen zu sein – dank eines ganzheitlichen Energie-, Wasser- und Wärmekonzepts, zu dem auch eine gebäudeintegrierte Photovoltaikanlage gehört. Einzige Bedingung: Zu Beginn der Nutzungsdauer muss der Energiespeicher vollgeladen und der Frischwassertank mit 400 Litern gefüllt sein.

3,75 Kilowatt Photovoltaik

Auf einsame Inseln ist der Einsatz von Self natürlich nicht beschränkt, frische Almwiesen oder das Dach eines Hochhauses sind als Standorte ebenso denkbar. Hauptsache, der Container steht nicht im Schatten. Denn die in Dach und Vordach integrierte Photovoltaikanlage, entwickelt von der Schweizer Solventure GmbH, ist Herzstück der Energieversorgung. Eingesetzt werden Sunpower-Siliziumzellen mit 23 Prozent Wirkungsgrad, laminiert in Glas-Glas-Modulen der Firma Ertex. Die 3,75-Kilowatt-Anlage soll nicht nur Strom für Licht und alle elektrischen Geräte im Container liefern, sondern auch Heizung und Lüftung unterstützen – immerhin kann sie selbst in der Schweiz eine beachtliche Strommenge erzeugen, laut EMPA beispielsweise 4.375 Kilowattstunden in Zürich oder 5.285 Kilowattstunden in Davos.

Mehr als für den täglichen Bedarf nötig: Die Forscher rechnen in mindestens neun von zwölf Monaten mit einem Stromüberschuss. Den wollen sie nutzen, um für Nächte und Regentage mit Lithium-Ionen-Batterien 56 Kilowattstunden Solarstrom zu speichern. Und mit einer Wasserstoffanlage wollen sie weitere 120 Kilowattstunden Energie produzieren und in Metallhydridtanks speichern – Energie zur Heizungsunterstützung im Winter und ganzjährig zum Kochen. Das Betanken eines Elektrofahrzeugs ist in sonnenreichen Monaten ebenfalls eingeplant: Self soll also nicht allein ein bequemer Aufenthaltsort sein, sondern auch der Startpunkt für tägliche, 80 bis 100 Kilometer lange Pkw-Ausflüge.Grafik: EMPA

Wirklich verzichten müssen Self-Bewohner eigentlich nur auf eines: Platz. Self ist 3,6 Meter breit, 7,5 Meter lang und 3,2 Meter hoch und damit gerade mal so groß wie ein Frachtcontainer. Vorteil: Dank der Abmessungen und eines überschaubaren Gewichts von rund fünf Tonnen lässt sich die mobile Wohnzelle problemlos mit Lkw oder Hubschrauber an jeden gewünschten Ort transportieren. Sechs der 27 Quadratmeter Fläche frisst zwar der Technikraum, aber der Rest ist groß genug für Schlafbereich, Duschbad, Küchenecke und Wohnraum.

Vor den nicht gerade seltenen Unbilden des Aussteigens wie suspekten sanitären Anlagen, unbekannten Krabbeltieren und zugigen Zelten sind die Bewohner also sicher – und auch weitestgehend vor Montezumas Rache: Eine eigene Wasseraufbereitungsanlage, die mit Hilfe von Membranen und UV-Licht sowohl Regenwasser als auch schwach verunreinigtes Wasser nutzbar machen kann, sorgt für sauberes Nass. Lediglich das Abwasser der Toilette wird gesammelt und regelmäßig entsorgt. Das stille ist allerdings auch ein wassersparendes Örtchen, pro Spülung wird nur ein knapper Liter Wasser verbraucht.

Und auch sonst wird gespart: Ein Wärmetauscher wärmt die Frischluft mit der Abluft vor, der Wasserfilter läuft fast ohne Strom, für Licht sorgen LEDs. Die Gebäudehülle – die übrigens nicht nur die Witterung abhält, sondern auch lästigen Lärm – besteht aus glasfaserverstärktem Kunststoff, für die Dämmung sind hoch isolierende Vakuumplatten im Einsatz, alle Fenster sind mit dem Edelgas Krypton gefüllt und mehrfach verglast. Stromfresser wie beispielsweise Heizstrahler gibt es nicht, auch keine Wasser verschwendende Badewanne.

Alle liebgewonnenen Zivilisationsstützen müssen Aussteiger aber nicht in der alten Heimat zurücklassen, die Energie reicht unter anderem für zwei Laptops, Drucker, Geschirrspüler und Kühlschrank. Und damit der Schlaf bequem ist und weder Kaffeetassen noch Computer vom Tisch rutschen, sorgen hydraulische Stützen unter dem Container automatisch für ebenen Stand, selbst auf schwierigem Untergrund.

Mattgold und multifunktional

Auch ein anderes wesentliches Detail des Wohncontainers wurde nicht vergessen: ein ansprechendes Design, so dass Self nicht nur komfortables, sondern auch stilvolles Aussteigen ermöglicht. Die Außenhaut des Containers schimmert in mattem Gold, vor dem großen Panoramafenster befinden sich ein Balkon und das schattenspendende Vordach. Und im Inneren haben die Designer auf Multifunktionalität ebenso Wert gelegt wie auf klare Formen. Fugen in den Seitenwänden stützen das Mobiliar und funktionieren gleichzeitig als Stromschiene; die Steckdosen sind direkt an den Längsseiten der Tische und damit immer dort, wo sie gebraucht werden. Für eine Partyzone können die Tische als dekorative Elemente an die Wand gehängt und die Hocker zusammengeklappt im Schrank verstaut werden; die Küchenzeile lässt sich abgedeckt als Sideboard nutzen.

Kleiner Wermutstropfen für Verliebte: Die zwei Betten konnten nur übereinander im Container untergebracht werden, das untere ist über den 450 Kilogramm schweren Lithium-Ionen-Batterien montiert. Dafür haben die Schlafstätten Fächer für persönliche Utensilien und lassen sich individuell beleuchten; die runden Fenster sind mit Schaltglas ausgerüstet und können bei Bedarf abgedunkelt werden. Und der Sanitärbereich nebenan hat ein Dachfenster, das neben Licht auch das Gefühl ermöglicht, unter freiem Himmel zu duschen – beziehungsweise unter freien Solarzellen.

Aber egal, wo der Container steht: Ganz sorglos können seine Bewohner dann doch nicht in den Tag hinein leben, denn sie werden ständig mit ihrem Ressourcenverbrauch konfrontiert. Ein Touchscreen, der mobil an den Wänden montiert werden kann, liefert aktuelle Informationen zu Energieverbrauch und Speicherkapazität. Dimmbare Lichtbahnen in Decke und Boden fungieren nicht nur als Beleuchtung, sondern auch als überdimensionale Anzeigebalken für die noch zur Verfügung stehende Energie. Und das auf dem Dach gesammelte Regenwasser wird entlang des Panoramafensters und der Lichtschienen zu einem durchsichtigen Brauchwassertank in einer Zwischenland geleitet; auch der Frischwassertank im hinteren Teil des Containers ist beleuchtet und durchsichtig.

Die EMPA-Forscher haben allerdings im Moment ein ganz anderes Ressourcenproblem: Am Karfreitag ist der Self-Prototyp, für den die Schweizer seit der Projektidee schon rund eine halbe Million Euro aus Forschungsmitteln und Sponsorengeldern lockergemacht haben, wegen eines noch nicht genau geklärten technischen Defekts abgebrannt. Die Arbeiten an seinem Nachfolger Self II haben jedoch schon begonnen – der Brand ist also kein Grund, den Wunsch nach einem ebenso komfortablen wie stilvollen Leben auf einer einsamen Insel zu begraben. Übrigens: Peter Cornelius tourt immer noch singend durch Österreich. Eines seiner neuesten Lieder heißt „Burn Out Syndrom“.

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