Kongress des Fraunhofer IEE: „Wir benötigen ein neues Betriebssystem für die Energiewende!“

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Ob Hans Eichel plötzlich klar wurde, welch radikale Umbrüche in der Energieversorgung bevorstehen, als er in den neunziger Jahren als hessischer SPD-Ministerpräsident das Institut für Solare Energieversorgungstechnik ISET in Kassel besuchte? Das Foto von dieser Begegnung, projiziert bei der Feier zum 30-jährigen Jubiläum der Forschung für den Umbau des Energiesystems in Kassel, zeigt Eichel jedenfalls beeindruckt. Das 1988 von Werner Kleinkauf – einer der weltweit wichtigsten Wegbereiter der erneuerbaren Energien – gegründete ISET ging 2009 im Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES auf. Anfang dieses Jahres wurde der Kasseler Institutsteil des IWES als Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE eigenständig.

Das Fraunhofer IEE nutzte jetzt das Jubiläum, um den Ausflug in die Vergangenheit mit einem Blick nach vorne zu verbinden – die Forscher luden am Montag zum „Zukunftsforum Energiewende“ in das Kasseler Kongresspalais. Institutsleiter Clemens Hoffmann begrüßte die 250 Teilnehmer aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit einer nüchternen Bestandsaufnahme der Energiewende. Ob Photovoltaik oder Windenergie, Power-to-Gas-Anlagen oder Wärmepumpen: die Zubauzahlen reichen bei weitem nicht aus, um das Energiesystem bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Hoffmann verband das mit einer politischen Forderung: „Mit dem EEG werden wir den nötigen Zubau der Erzeugungsanlagen nicht erreichen. Wir brauchen daher die CO2-Bepreisung!“ Den Ball nahmen manche Diskussionsteilnehmer später auf und forderten darüber hinaus, endlich einen echten Markt für Strom aus erneuerbaren Quellen zu schaffen – einen Markt, der es zum Beispiel möglich macht, die Energie inklusive ihrer grünen Eigenschaft lokal zu verkaufen.

Im Zentrum vieler Beiträge zur Konferenz stand die Frage, wie sich das Energiesystem angesichts der steigenden Komplexität durch eine zunehmend dezentrale Erzeugung und der notwendigen Vernetzung von Strom, Wärme und Verkehr künftig optimal steuern lässt. Benjamin Schott von Sonnen zeigte sich überzeugt: „Wir benötigen ein neues Betriebssystem für die Energiewende.“ Heute tauschten einige Akteure immer noch Excel-Listen aus. „Bei vielen Millionen zu steuernden Assets funktioniert das natürlich nicht mehr“, so Schott. Vor allem bei Netzbetreibern hapere es noch bei der Digitalisierung. Das verkompliziere die Prozesse sehr. „Aber das ist gar nicht mal unbedingt die Schuld der Netzbetreiber, denn sie sind gefangen in den Vorgaben der Regulierung“, ergänzte der Sonnen-Manager.

Wie ein solches Betriebssystem für die Energiewende aussehen könnte, vermittelte Michael Frech von der Erzeugergemeinschaft ARGE Netz. Das Unternehmen betreibt ein Virtuelles Kraftwerk mit einer Leistung von zwei Gigawatt, darunter 63 Megawatt Solarleistung. Für dessen Direktvermarktung hat ARGE Netz zusammen mit Fraunhofer-Forschern eine Plattform entwickelt, die momentan mehr als 10.000 fortlaufende Zeitreihen integriert. „Wir können damit zuverlässige, durch Livedaten optimierte Intraday- und Day-Ahead-Prognosen vornehmen“, erklärte Technik- und IT-Chef Michael Frech. Künftig will das Unternehmen hier auch Künstliche Intelligenz einsetzen. „Wir werden auf Basis der vorhandenen Datenanalyse einen Prototyp für die Strategieerlernung entwickeln und diesen dann testen und kalibrieren. Ziel ist ein vollautomatischer Handel“, sagte Frech.

Als wollte er ein Gegenbild zur Kritik des Sonnen-Managers Schott an den Netzbetreibern zeichnen, präsentierte Roland Hermes von Innogy gleich einen ganzen Strauß von Projekten seines Unternehmens, die mehr Flexibilität ins System bringen und die Steuermöglichkeiten verbessern sollen. So hat Innogy unter anderem mit dem Fraunhofer IEE und weiteren Partnern eine Plattform entwickelt, über die Verteilnetzbetreiber durch eine koordinierte Regelung dezentraler Erzeugungsanlagen die für die Netzstabilität nötige Blindleistung bereitstellen können. „Die Rolle der Verteilnetzbetreiber ändert sich massiv, sie übernehmen neue Aufgaben“, betonte Hermes.

Viele der auf der Konferenz vorgestellten Projekte zu Digitalisierung und Sektorenkoppelung stammen aus der angewandten Forschung; es dürfte wohl noch ein wenig Zeit vergehen, bis sie in das Tagesgeschäft Einzug halten werden. In einigen Bereichen ist die sektorenübergreifende Vernetzung jedoch bereits gängige Praxis. Einen stellte Frank Röder von Stiebel Eltron vor: die Koppelung von Photovoltaik-Anlagen und Wärmepumpen. „Häuser lassen sich sehr gut als Speicher in das Energiesystem einbringen. Allerdings gibt es bislang keine Stromtarife, die das honorieren. Daher fokussieren wir uns momentan auf die Verknüpfung von Wärmepumpe und der Solaranlage auf dem Dach“, so Röder. Wie gut das funktionieren kann, erläuterte er anhand eines Einfamilienhauses in München: Dessen Eigentümer können dank eines guten Energiemanagements 58 Prozent des Strombedarfs der Wärmepumpe aus der Photovoltaik-Anlage decken. (Ralph Diermann)

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