Türkei erschwert Investitionen in lizenzfreie PV-Anlagen mit neuer Energie-Verordnung

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Die in der Türkei seit November 2015 mit Spannung erwartete neue Verordnung zur Errichtung lizenzfreier 1-Megawatt (MW)-Photovoltaik-Anlagen wird voraussichtlich bald in Kraft treten. Die neue Verordnung übernimmt die einschränkenden Vorschläge des im November 2015 veröffentlichten Diskussionsentwurfs in vollem Umfang. Zusätzlich zum Entwurf wurden weitere strengere Beschränkungen vorgesehen. Verbesserungen werden hingegen für kleine Dachanlagen vorgesehen.

Die mit der neuen Verordnung einhergehenden wesentlichen Veränderungen für Investoren von 1 MW lizenzfreien Solaranlagen und unseren Kommentar fassen wir im Folgenden zusammen:

1. Beschränkung auf 1 MW pro Person pro Umspannwerk

Die auch im Entwurf enthaltene Regelung wurde in die Verordnung in einer strengeren Form aufgenommen. Der Entwurf hatte Begrenzungen für natürliche oder juristische Personen sowie für Gesellschaften, an denen juristische Personen direkt oder indirekt beteiligt waren enthalten. In der Verordnung wurde der Personenkreis weiter erweitert. Zusätzlich werden diejenigen Gesellschaften mitumfasst, welche durch die Gesellschafter der antragstellenden Gesellschaften kontrolliert werden.

2. Übertragungsverbot von Anteilen an Projektgesellschaften

Auch diese Regelung war im Entwurf bereits enthalten. In der Verordnung wurde diese weiter ausgedehnt und verschärft. Im Entwurf war die Anteilsübertragung einer Projektgesellschaft vom Zeitpunkt der Antragstellung für die Netzanschlusszusage (call letter) bis zur vorläufigen Abnahme der Anlage verboten. In der Verordnung ist während dieses Zeitraums zudem die Fusion und die Spaltung der Gesellschaft unzulässig gemacht worden. Dies ist die strittigste Regelung in der Verordnung. Denn das Verbot der Anteilsübertragung stellt eine grundlegende Grundfreiheitsbeschränkung dar, welche nur durch Gesetz geregelt werden darf. Diese Regelung verstößt gegen Art. 490 des Türkischen Handelsgesetzbuches, nach welchem die Übertragung von Namensaktien nur durch Gesetz und Gesellschaftsvertrag begrenzt werden darf. Daher könnte das Anteilsübertragungsverbot im Falle einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgerichtshof eventuell gekippt werden.

3. Verbot lizenzfreier Produktion für Personen in Verbindung mit Vertriebs- und Zulieferunternehmen

Diese Regelung wurde ebenfalls ausgedehnt. Im Entwurf waren zwei Personengruppen geregelt: direkte oder indirekte Gesellschafter von Vertriebgesellschaften für Strom, sowie Gesellschafter oder Angestellte von Vertriebs- oder Produktionsgesellschaften. Im Zusammenhang fielen natürliche oder juristische Personen aus diesen zwei Gruppen, die als direkte oder indirekte Gesellschafter fungierten ebenfalls unter das Verbot. Nunmehr fallen zusätzlich Verwandte ersten Grades der natürlichen Personen darunter.

4. Mindestmaß an Eigenbedarf (3,33 Prozent)

Diese Regelung war im Entwurf nicht enthalten und wurde nachträglich in die Verordnung aufgenommen. Zuvor war kein Mindestmaß für den Eigenbedarf geregelt. Nunmehr wird bei jedem Projekt ein Anspruch auf lizenzfreie Stromerzeugung von maximal des 30-fachen des Eigenbedarfs gewährt. Aus diesem Grund ist ein Abnehmer für mindestens 33,3 kW Eigenbedarf erforderlich, um eine 1-MW-lizenzfreie PV-Anlage aufstellen zu können. Diese Regelung kann in seiner jetzigen Fassung Schwierigkeiten bei der Ausführung mit sich bringen. Es ist nicht deutlich, ob die Beschränkung monatlich oder im Jahresdurchschnitt nachzuweisen ist. Sofern der Eigenbedarf mit der Zeit nachlässt, wird die Situation des Investors jedoch fraglich sein. Das wird wahrscheinlich künftig zu unnötigem Stromverbrauch führen, um die Quote zu erfüllen.

5. Beschränkung bei der Netzanschlussentfernung

Obwohl im Entwurf keine diesbezügliche Regelung enthalten war, wurde sie in die Verordnung aufgenommen. Davor wurde bis 1 MW eine Netzanschlussentfernung bis zu 10 Kilometern genehmigt. Nach der neuen Verordnung wurde die Entfernungsbestimmung von 0 bis 499 kW auf 5 Kilometer, von 500 bis 1.000 kW auf 10 Kilometer verändert. Für Investoren wird dies keine erhebliche Veränderung darstellen, da eine längere Verbindungsentfernung sowieso aus wirtschaftlichen Gründen nicht bevorzugt wird.

6. Inkrafttreten der Verordnung*

Die neue Verordnung tritt an dem Veröffentlichungsdatum in Kraft. Allerdings sind für bestimmte Projektkategorien ausdrücklich das Bestandsrecht anerkannt worden. Die Beschränkungen der neuen Verordnung hinsichtlich des Eigenverbrauchs, der Einschränkung pro Umspannwerk, der Netzanschlussentfernung und der Personenkreisbeschränkung bezüglich der mit den Stromvertriebsgesellschaften in Verbindung stehenden Personen sollen für die Projekte nicht angewandt werden, welche bereits die Netzanschlusszusage (call letter) erhalten haben. Diese sollen der alten Gesetzgebung unterliegen. Dagegen ist bezüglich des Anteilsübertragungsverbots keine Ausnahme gemacht worden. Demzufolge wird das Anteilsübertragungsverbot auch für alte call letters gelten.

Anträge, die bereits gestellt, jedoch noch keine Netzanschlusszusage (call letter) erhalten haben, sowie künftig zu stellende Anträge werden nach der neuen restriktiven Verordnung behandelt. Aus diesem Grund werden diese Anträge an den Beschränkungen der neuen Verordnung hängenbleiben.

Es ist problematisch, dass für alte call letters nur hinsichtlich des Anteilsübertragungsverbots kein Bestandsrecht anerkannt wird, während hinsichtlich der anderen Einschränkungen ein Bestandsrecht ausdrücklich vorgeschrieben wird. Eine solche differenzierte Regelungsweise ist nicht nachvollziehbar und dient wohl nur zum Schutz von Interessen bestimmter Investorengruppen.

Andererseits wird die Behandlung der Projekte umstritten sein, deren Anträge vor Inkrafttreten dieser Verordnung gestellt wurden. Die Frage, ob die Antragstellung allein ein Bestandsrecht zugunsten des Investors begründet, wird höchstwahrscheinlich im Falle einer Klage durch den Verwaltungsgerichtshof geklärt werden.

7. Kommentar des Autors

Die neue Verordnung beabsichtigt, Probleme bei der Entwicklung von 1 MW lizenzfreien Photovoltaik-Anlagen zu beseitigen und der Solarbranche in der Türkei zu helfen. Doch die erheblichen Beschränkungen und zusätzlichen Regelungen, stellen einen Rückschritt zu den vorherigen Investitionsrahmenbedingungen dar. Nun werden diese Bestimmungen neue Investitionen wesentlich erschweren und bremsen. Das Argument, dass künftig ebenso viel aber durch nicht institionelle Personen weiter investiert werden wird, überzeugt nicht.

Weltweit werden Investitionen in erneuerbare Energien gefördert. Die Türkei jedoch bremst nun mit der neuen Verordnung die bestehende, ohnehin rückständige Entwicklung der erneuerbaren Energien. Am Ende wird die Türkei voraussichtlich einen erheblichen Rückstand im weltweiten Vergleich erleiden, solange die mit der neuen Verordnung vorgesehenen Verschlechterungen bestehen bleiben.

Aus rechtlicher Sicht wird die Verordnung voraussichtlich ernstzunehmende Rechtsstreitigkeiten sowie Klagen gegen die Verwaltung mit sich bringen. Insbesondere das gesetzeswidrige Anteilsübertragungsverbot und die Begrenzung der 1 MW pro Umspannwerk werden sehr umstritten sein. Auch die Tatsache, dass für die vor dem Inkrafttreten eingereichten Anträge kein besonderer Rechtsstatus anerkannt wurde, wird zu Streitigkeiten und Klagen führen.

Die Verordnung kann von den Marktteilnehmern im Allgemeinen auch hinsichtlich der Verletzung des öffentlichen Interesses juristisch angegriffen werden. Das öffentliche Interesse diesbezüglich liegt vielmehr an der Förderung erneuerbarer Energien, nicht an der Einschränkung. Denn die Türkei deckt ihren Bedarf für die Elektrizitätserzeugung größtenteils durch den Gasimport welches zu einem hohen Leistungsbilanzdefizit sowie zur Abhängigkeit vom Ausland, insbesondere von Russland und dem Iran führt. Zuletzt stellte dieses Thema sogar ein Sicherheitsproblem dar. Dagegen haben die erneuerbaren Energien ein hohes Potenzial, diesem Problem zu einer Lösung zu verhelfen. Die Beschränkungen der Verordnung bremsen jedoch die effiziente Nutzung der erneuerbaren Energien des Landes und widersprechen somit dem öffentlichen Interesse. Sofern eine Klage gegen die neue Verordnung erhoben würde, können einzelne Bestimmungen dieser Verordnung möglicherweise durch den Verwaltungsgerichtshof aufgehoben werden.

*Punkt 6 ist nachträglich korrigiert worden. Die Anmerkung des Autors zur Korrektur: Hinsichtlich des Anteilsübertragungsverbots wird im Verordnungsentwurf doch kein Bestandsrecht vorgesehen, während bei anderen Beschränkungen das der Fall ist.

— Der Autor Fatih Dogan studierte Rechtswissenschaften an der Universität Instanbul. Anschließend promovierte er über den patentrechtlichen Schutz von Computerprogrammen an der Universität Mannheim. Seit 2007 ist er als Rechtsanwalt bei Wirtschaftsrechtskanzlei Falke law.tax | Dogan & Koyuncu in Istanbul tätig. Seine Schwerpunkte liegen auf dem Deutsch-Türkischen Rechtsverkehr, Gesellschaftsrecht sowie Erneuerbare-Energien-Recht in der Türkei.www.falke.com.tr —

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