Die Industrie und die Energiewende

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Immer und immer wieder geistern diese Sätze durch alle Medien : „Die Energiewende und das EEG gefährde die deutsche Industrie, der Wirtschaftsstandort Deutschland sei bedroht, eine Abwanderung ins Ausland, insbesondere der energieintensiven Betriebe sei nicht mehr abzuwenden. Grund hierfür seien die stark ansteigenden Stromkosten durch das EEG.“ Was ist davon zu halten? Schauen wir uns die reale Situation einfach mal etwas genauer an. Der VIK, der Interessensverband für industrielle und gewerbliche Energiekunden, der sich selbst als die energiepolitische Stimme der Industrie in Deutschland bezeichnet, steht nicht im Verdacht, beschönigende Zahlen zugunsten der Solarbranche zu verbreiten.

Seit September 2002 veröffentlicht der VIK denStrompreisindex für Mittelspannungskundenin Industrie und Gewerbe. Grundlage für den VIK-Strompreisindex ist der Durchschnittspreis des Vormonats am EEX Terminmarkt für die kommenden vier Quartalsprodukte. Diese Großhandelspreise sind im ganzen Bundesgebiet einheitlich. Schaut man sich die dort zu sehende Grafik genauer an, stellt man fest, dass der Strompreisindex seit Mitte 2008 massiv gesunken ist und sich jetzt aktuell auf dem Niveau von 2005 befindet mit anhaltender, deutlicher Tendenz nach unten und das genaue Gegenteil dessen widerspiegelt, was gebetsmühlenartig durch diemeisten Printmedien verbreitet wird.

Die Industrie profitiert massiv von der preissenkenden Wirkung der Erneuerbaren Energien an der Strombörse. Selbst die Terminmarktpreise werden bis 2019 die 4-Cent-Marke unterschreiten. Steigende Strompreise sehen hingegen die Haushaltskunden und der Mittelstand, was mittlerweile nahezu vollständig abgekoppelt ist von der tatsächlichen Marktentwicklung der Erneuerbaren Energien. Das politisch gewollte Konstrukt der Ausgleichsmechanismusverordnung bewirkt mittels EEG-Paradoxon anhand verschiedener Verzerrungsinstrumente, diein diesem Artikel näher beschrieben sind, für eine überproportionale Aufblähung der EEG-Umlage. Diese steigt automatisch im gleichen Maße, wie die Börsenpreise sinken, selbst wenn der Zubau neuer Anlagen völlig zusammenbricht oder bei neu zugebauten Anlagen nur noch Eigenverbrauch stattfindet, statt Einspeisung. Die EEG-Umlage steigt – aufgrund des raffiniert ausgedachten Konstrukts – für Haushaltskunden und den Mittelstand dennoch unentwegt, auch wenn die eigentlichen EEG-Kosten – also die Summe aller an alle Anlagenbetreiber ausbezahlten Einspeisevergütungen – nicht mehr zunehmen.

Schenkt man den Einheitsschlagzeilen sowie dervon der Lobbyorganisation INSM in Auftrag gegebenen Studien Glauben, stellt die EEG-Umlage eine starke Belastung für die Industrie dar. Die Realität sieht, wie man dem VIK-Index entnehmen kann, anders aus. Diese Situation wurde nochmals verstärkt  durch eine Erweiterung der Ausnahmeregelungen. Auf Betreiben von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), der sich stets so sehr um den Geldbeutel des kleinen Mannes aufgrund steigender Strompreise sorgt, war die Ausnahme-Grenze noch einmal um das Zehnfache gesenkt worden – nachzulesen in § 41 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG).  Ergebnis war, dass genau der Geldbeutel des kleinen Mannes umso stärker belastet wurde, um den er sich angeblich so sorgt.

Nach§ 41 Abs. 3 EEG müssen nur Unternehmen bis zum Stromverbrauch von 1 Gigawattstunde (GWh) die komplette EEG-Umlage bezahlen. Für den Stromverbrauch, der 1 GWh übersteigt, zahlen die Firmen 10 Prozent der EEG-Umlage, bis zum maximalen Stromverbrauch von 10 GWh. Im Verbrauchsbereich von 10 GWh bis 100 GWh wird nur noch 1 Prozent der EEG-Umlage angerechnet, alles über 100 GWh  hinaus wird pauschal mit nur noch 0,05 Cent pro kWh belastet. Eine Gigawattstunde entspricht etwa einem Jahresverbrauch von 270 bis 280 Vier-Personen-Haushalten. Diese Größenordnung erreicht die produzierende  und besonders die energieintensive Industrie sehr schnell. Die volle EEG-Umlage zahlt in der Industrie faktisch kaum einer. Der kleine Mann, der wie wir wissen, förmlich unter dem persönlichen Schutz des Bundeswirtschaftsministers steht, dafür umso stärker – als Industriesubventionierung.

Die Tatsachenverdrehung der starken Belastung durch das EEG wird munter weiter betrieben, ist auf dem BDI-Kongress nochmals bekräftigt worden und von Bundeskanzlerin Merkel dankbar und unreflektiert übernommen worden. Trotz aller leicht zu belegenden Faktenlage des Gegenteils beginnt das Phänomen, das der US-Soziologe Robert Lynd wie folgt beschrieben hat, zu greifen:

„Es ist leichter eine Lüge zu glauben, die man schon hundert Mal gehört hat, als die Wahrheit, die man noch nie gehört hat.“

Der Auftraggeber der Studie, die INSM (Initiative neue soziale Marktwirtschaft) ist übrigens der größte Lobbyverband der deutschen Wirtschaft, der schon 2005 von der ZEIT in Anbetracht seiner starken Einflussnahme provokativ als „Lautsprecher des Kapitals“ bezeichnet wurde. Das von der INSM beauftragten InstituteIW ist ein Tochterunternehmen der Lobbyorganisation INSM selbst sowieRWI undEWI werden ebenfalls von der Wirtschaft, beziehungsweise den großen Energiekonzernen selbst unterstützt. Das RWI wird beispielsweise unter anderem finanziert von der "Gesellschaft der Freunde und Förderer des RWI". Der Präsident dieser Gesellschaft war ab 1996 Dietmar Kuhnt, dem Vorstandsvorsitzenden der RWE AG von 1995 bis 2003, danach bis letztes Jahr (Juni 2012) Rolf Pohlig, der bis Ende 2012 Finanzvorstand von RWE war.

Halten wir fest: Die Industrie profitiert gleich doppelt vom EEG oder besser, der Gestaltung der EEG-Umlage. Sowohl durch sinkende Bezugspreise, als auch durch Ausnahmeregelungen, die die Kosten asymmetrisch auf die Schultern von Haushaltskunden und Mittelstand verschieben. Warum wettert der BDI dennoch so sehr gegen das EEG?

Was bewirkt denn das EEG? Das EEG bewirkt einen Systemwandel. Es macht die Bürger und Kommunen zu Stromversorgern und sorgt für mehr Unabhängigkeit. Immer mehr Familien, Landwirte, mittelständische Betriebe reduzieren ihre Stromrechnung, indem sie beispielsweise eine Photovoltaik-Anlage auf ihrem Dach haben. Es gibt bereits heute im ländlichen Raum Gemeinden mit Wind- und Solar- und Biogasanlagen, die weitgehend unabhängig sind.

Große Kraftwerke werden hauptsächlich von der Industrie und Ballungszentren benötigt. Je mehr Verbraucher sich unabhängig machen, umso schwieriger wird es, das über lange Zeiträume erfolgreich praktizierte Prinzip der Quersubventionierung aufrecht zu erhalten: Der Haushaltskunde subventionierte lange mit seinem hohen Strompreis die niedrigen Industriepreise mit. So, wie es jetzt auch mit dem EEG-Paradoxon wieder elegant gelöst ist und als vermeintlicher, alleinschuldiger Sündenbock für die Entwicklung der EEG-Umlage die EEG-Branche gleich mit genannt wird. Doch jede Melkkuh hat eine Grenze. Wenn sie tot umfällt, gibt es keine Möglichkeit des Melkens mehr.

Also muss dafür gesorgt werden, wieder für alte Verhältnisse zu sorgen und die augenblickliche Teilhabe und das Mitverdienen des Bürgers an der Stromerzeugung zu beenden und eine möglichst große Anzahl an Melkkühen zu erhalten. Und so soll die Energiewende über ein Quotenmodell ausschließlich in die Hände der bisherigen großen Energieversorger gelegt werden. Also in die Hände eines Strom-Oligopols, das dem Privatverbraucher dann noch stärker als bisher jegliches Preisdiktat  auferlegen kann und der Quersubventionierung der Industrie nochmals neue Möglichkeiten eröffnet.

Geht es um die Energiewende oder darum, wer an ihr verdient?

Man darf gespannt sein, wie sehr sich die Bürger weiterhin verschaukeln lassen oder ob sie die Mechanismen durchschauen.

– Tina Ternus ist Mitgründerin des photovoltaikbüros, das Endkunden unabhängige Beratung bietet, Bürgerkraftwerke projektiert sowie Gutachten und Fehleranalysen bei Mindererträgen erstellt. –

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