Die große Koalition würgt die Energiewende ab

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Ursprünglich wollte die SPD 70% bis 75% erneuerbaren Strom bis 2030 in den Koalitionsvertrag schreiben. Das wäre ein echter und machbarer Fortschritt gewesen. Aber jetzt steht dort „55% bis 60% bis 2035“. Damit wird das Tempo des bisherigen Ausbaus beim grünen Strom abgewürgt und ausgebremst. Eine Blamage für die beiden Chefunterhändler Angela Merkel und Sigmar Gabriel, die mal beide Umweltminister waren und wissen, dass die Energie- und Klimafrage die Überlebensfrage der Menschheit ist.  Und dass der Klimawandel weit höhere Folgekosten haben wird als eine intelligent organisierte rasche Energiewende.

In den letzten elf Jahren gab es hierzulande drei Jahrhunderthochwasser. Was einmal in einem Jahrhundert passieren sollte, erlebten wir dreimal in elf Jahren. So schnell vergeht die Zeit am Beginn des Klimawandels.

Im Sommer 2002 gab es Hochwasser in Sachsen und entlang der gesamten Elbe, im August 2005  im Alpenraum und jetzt 2013 in beiden Regionen zusammen sowie in Tschechien. Jedes Mal Tote, verzweifelte und vernichtete Existenzen, viele Tausende obdachlos, Schäden in Milliardenhöhe wie soeben wieder auf den Philippinen.

Die Zeichen für einen dramatischen Klimawandel mehren sich weltweit: In Bangladesch, wo die Inder eine 4.400 Kilometer lange hohe Mauer entlang der gesamten indisch-bengalischen Grenze errichtet haben, um Millionen Klimaflüchtlinge abzuhalten und in Afrika, wo in diesem Frühsommer nach UN-Angaben 18 Millionen Klimaflüchtlinge über den Kontinent irren. Tausende von ihnen versuchen Nacht für Nacht über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen – wohin sollten sie denn sonst?

Hier leben ja auch die Verursacher des Klimawandels, nicht in Afrika. Oder in Oklahoma, USA, wo in den letzten Jahren ein Taifun nach dem anderen Zerstörungen in Milliardenhöhe anrichtete. Oder auf den Philippinen, wo soeben wahrscheinlich über 10.000 Tote zu beklagen sind. Die Zeichen mehren sich.

Peter Altmaier rechnete im Sommer vor, dass die Stromverbraucher seit dem Jahr 2.000 über das Erneuerbare Energien-Gesetz 66 Milliarden Euro für die existierenden Ökostromanlagen bezahlt haben. Aber er verschweigt, dass wir für Atom und Kohle in den letzten Jahrzehnten über 400 Milliarden Steuergelder aufgewendet haben.

Was kostet übrigens ein Pförtner, der für 100.000 Jahre ein Atommülllager bewachen muss? Und was kostet ein Liter Heizöl oder ein Liter Benin in zehn oder 20 Jahren? Auch dann schickt die Sonne immer noch keine Rechnung.

Die Erfahrung zeigt, dass die fossil-atomaren Energieträger immer teurer und die Erneuerbaren Energien immer preiswerter werden. Die Kilowattstunde Solarstrom kostete 1990 noch einen Euro, heute zwischen neun und 15 Cent, in sonnenreicheren Ländern bereits unter vier Cent. In zehn bis 15 Jahren können wir hierzulande bei fünf Cent pro Kilowattstunde Ökostrom sein.

Eine finanziell abgeschriebene Fotovoltaik-Anlage wird dann Strom zu einem Cent pro KWH erzeugen. Das alles wird nicht mit berechnet. Dass ausgerechnet der Umweltminister nicht ökologisch rechnet, überrascht  sehr.

Die Energiewende-Planer der schwarz-gelben Bundesregierung hatten freilich eine soziale Schieflage in ihre Energiewende-Politik eingebaut. Private Verbraucher müssen nämlich die Ökostromabgabe für die Großindustrie mitfinanzieren. Es gibt noch immer zu viele Befreiungen von der Umlage des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Das ist ungerecht und sollte rasch geändert werden. Dann erhält die nötige Wende eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz.

Die Energiewende muss solidarischer gestaltet werden. Und sozial Schwache sollten und könnten von zusätzlicher Belastung befreit werden. Wer hindert die neue Bundesregierung daran, jedem Hartz-IV-Empfänger zehn Euro mehr im Monat als Ausgleich für höhere Strompreise zu überweisen?

Die Energiewende ist keine Last, sondern die größte ökonomische, ökologische und soziale Chance für den Industriestandort Deutschland. Das EEG ist und bleibt auf der ganzen Welt das  erfolgreichste Kostensenkungsinstrument für bezahlbare Energie.

Es ist kein Zufall, dass 67 Länder der Welt – darunter China und Indien sowie 17 EU-Staaten – dieses deutsche Gesetz in seiner Intention übernommen haben. In einer Großen Koalition besteht freilich die Gefahr, dass wir statt einer wirklichen Energiewende eine Kohlewende bekommen.

Als an Werten orientierter Christdemokrat – ich war von 1962 bis 1988 CDU-Mitglied – füge ich hinzu: Der Klimawandel und die Energiewende sind eine fundamental ethische Herausforderung und Chance. Der Klimawandel ist die Überlebensfrage der Menschheit. Es geht um die Bewahrung der Schöpfung.

Niemand kann uns als Bürgergesellschaft daran hindern, die Energiewende schneller voranzutreiben als es jetzt die neue große Koalition geplant hat. Engagierte Bürgerinnen und Bürger, Landwirte, Hausbesitzer, Handwerker, Energiegenossenschaften und Stadtwerke sind und bleiben die wahren Träger und Treiber der Energiewende.

– Der Autor Franz Alt ist Journalist, Buchautor und Fernsehmoderator. Er wurde bekannt durch das ARD-Magazin „Report“, das er bis 1992 leitete und moderierte. Bis 2003 leitete er die Zukunftsredaktion „Zeitsprung“ im SWR, seit 1997 das Magazin „Querdenker“ und ab 2000 das Magazin „Grenzenlos“ in 3sat. Die Erstveröffentlichung des Beitrags erfolgte aufwww.sonnenseite.com. Franz Alt schreibt dort regelmäßig. –

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