Die Energiewirtschaft in Apps

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„Ich stelle mich mal kurz vor“, antwortet Ewald Hesse auf die Frage, wie er zu dem Thema Blockchain gekommen ist. „Ich bin Russlanddeutscher, und meine Eltern sind dem Kommunismus entflohen, als ich zehn war.“ Er hat Maschinenbau in Deutschland und Hongkong studiert und ist schon lange im Energiebereich aktiv.

Zu der Technologie kam der Gründer des Wiener Start-ups Grid Singularity per Zufall. Er war, nachdem er bei ABB Kommunikationstechnologie auch für Erneuerbare-Energie-Anlagen verkauft hat, Regional-Manager beim großen österreichischen Technologieunternehmen Andritz Hydro. Ein Freund fragte ihn, ob er nicht einen Mining-Computer kaufen wolle. Das war kurz bevor Bitcoins eine Preisexplosion erfahren haben. Die Kryptowährung Bitcoin basiert auf der sogenannten Blockchain-Technologie, die sich gerade zu einem Hype in der Energiewirtschaft entwickelt. Die sogenannten Miner, auf Deutsch Mineure, verifizieren auf ihren dezentralen Rechnern Transaktionen, die über Blockchains abgewickelt werden, zum Beispiel wenn ein Bitcoin-Besitzer einem anderen einen bestimmten Betrag überweist.

„Wenn man einmal anfängt, sich mit Blockchain zu beschäftigen, ist es wie eine Droge“, erzählt Hesse. „Ich sehe auf einmal die Möglichkeit, die Energiewirtschaft tatsächlich ändern zu können.“

Wenn man einmal anfängt, sich mit Blockchain zu beschäftigen, sei es wie eine Droge, meint Ewald Hesse, Gründer von Grid Singularity. (Foto: Grid Singularity)

Letzteres denken derzeit viele. Ethereum ist die Blockchain, die vor rund einem Jahr anlief und die es erlaubt, nicht wie bei Bitcoin Geld sondern beliebige Größen zu zählen, zu verarbeiten und mit automatisierten Verträgen zu verknüpfen (siehe „Hi we are here“. Das Ganze läuft verteilt auf den Rechnern der Mineure. Manche nennen das deshalb auch „Weltcomputer“. Für unproblematisch hält Hesse die derzeitigen Entwicklungen jedoch nicht. „Der Weltcomputer ist einfach sehr langsam, transparent und für die Anwendungen im Strommarkt noch nicht zu gebrauchen.“

Derzeitige Blockchain-Diskussion mit zu hohen Erwartungen

Das dürfte viele verwundern. In der Regel wird die Blockchain als eine Technologie gehandelt, die Vertraulichkeit zurückbringt, die anonymisierte Transaktionen erlaubt, und gerade Ethereum gilt als der große Meilenstein. „Das ist sie auch“, sagt Hesse. Aber wie gut eine Blockchain die Privatheit schützt, hängt sehr davon ab, wie sie konstruiert ist und was man mit ihr macht. Wenn an Ethereum zum Beispiel ein Stromzähler angeschlossen wird und dieser die Energiemessungen zählt, habe man gute Chancen zu sehen, was in dem Haushalt vor sich geht, wenn man „mit dem Code“ umgehen kann.

Das Thema Blockchain sei daher zurzeit komplett „overhyped“, sagt er, und wie bei jeder Technologie werde diese Erwartungs-Hype-Kurve kurzfristig wieder „abstürzen“. Das wird allerdings nicht das Ende der Blockchain sein.

Ewald Hesse kennt Vitalik Buterin und Gavin Wood, die Erschaffer von Ethereum, schon seit Längerem und gut. Sie haben Workshops zum Strommarkt gemacht, Kontakt zu dem österreichischen Regulator aufgenommen, Thinktanks beschäftigt und Businessmodelle erarbeitet. „Irgendwann war uns klar: Die Technologie ist noch nicht bereit.“ Ethereum sei ein Erfolg gewesen, weil sie neue Freiheitsgrade zur Gestaltung von Geschäftsmodellen schafft und man die Funktionalität für eine Problemlösung prinzipiell zeigen kann. „Die Box der Pandora wurde geöffnet“, benennt er das. Jetzt entwickeln sie aber zusammen die nächste Generation der Blockchain für die Energiewirtschaft, die die Privatheit schützt, die schnell genug ist und die die üblichen Schnittstellen zu Kraftwerksleitsystemen hat. Das nennt er die „Kerntechnologie“, die Plattform, auf der die Anwendungen funktionieren. Sie soll frei verfügbar sein und eine Community ermöglichen, damit sie große Verbreitung findet und den Energiemarkt wirklich verändern kann. Dazu wird sie von einer gemeinnützigen Stiftung verwaltet, der Energy Web Foundation, die vom ebenfalls gemeinnützigen Rocky-Mountain-Institut geführt wird.

Die Energy Web Foundation verfolgt das Ziel, eine Gruppe von Playern zu finden, die Standards und eine skalierbare Blockchain entwickeln, die die Privatsphäre schützt. Im Strommarkt können diese Player zum Beispiel Regulatoren, internationale Energiekonzerne, im allgemeinen „Big Player“ sein. Dementsprechend verhandelt das Rocky-Mountain-Institut auch mit Unternehmen, die diesen Kriterien entsprechen, dass sie sich an der Stiftung beteiligen. Die neu angedachte Art der Blockchain funktioniert zwar anders als die bisherige und die Partner haben eine größere Rolle. Im Vergleich zu einem Serversystem werde sie aber immer noch den Vorteil haben, dass sie weniger fehleranfällig ist, weil sie ein verteilt laufendes System ist, das außerdem die Privatheit schützt.

Das Konzept der Energy Web Foundation

Die Technologie, die dahinter steht, ist schwerer zu erklären als das Geschäftsmodell. Kurz: Bei Ethereum ist es nötig, dass möglichst viele Mineure Transaktionen verifizieren, mehrere Transaktionen zusammenfassen und als Block verschlüsseln. Um ihnen einen Anreiz zu geben, wird das künstlich erschwert und gleichzeitig derjenige Mineur, dem die Verifizierung und Verschlüsselung als erstes gelingt, belohnt.

Das ist naturgemäß zeitaufwendig, außerdem schützt diese Blockchain nur die Privatheit, wenn man sie auf einem nicht öffentlichen Umfeld laufen lässt. Ansonsten ist sie nur pseudonym, ähnlich wie die IP-Nummer im Internet. Ist ein Akteur einmal identifiziert, sind seine Transaktionen zuordnenbar.

Lässt man die Blockchain dagegen in einem privatem Umfeld laufen, ist man sein eigener Mineur. Zu Testzwecken ist das gut, doch eigentlich kann man sich die Blockchain dann eigentlich auch sparen, da es dann keine dezentrale Kontrolle mehr gibt und sie keinen Vorteil hat gegenüber einem zentralen Server, auf dem die Transaktionen ablaufen. Viele der Apps, die jetzt entwickelt werden, laufen auf solchen privaten Blockchains, sagt Hesse.

Bei der Energy Web Foundation verfolgen sie daher ein anderes Konzept mit der Bezeichnung „Proof of Authority“, im Gegensatz zu dem „Proof of Work“-Konzept bei Ethereum. Bei „Proof of Work“ wird die Validierung durch besonders hohe Rechenarbeit, durch das Gewinnspiel unter den Mineuren geleistet. Bei dem „Proof of Authority“-Konzept wird dagegen die Zahl der Mineure begrenzt. Sie werden präqualifiziert und von dem tragenden Konsortium gestellt. Das erlaube, die Blockchain schneller zu machen und zu skalieren. Da auf die Belohnung der Mineure verzichtet werden kann, ist das Konzept auch weniger energieintensiv. Die Privatheit soll über die der Etherum-Blockchain hinausgehen. Das will Hesse durch ein zusätzliches Modul sicherstellen, das den Datenzugriff nur durch einen „Master-Key“ zulässt, den der Dateninhaber hat. Die Blockchain dient dazu sicherzustellen, dass die verschlüsselten Daten, die selbst nicht in der Blockchain gespeichert werden müssen, nicht nachträglich manipuliert werden und reguliert den Zugriff. Außerdem soll ein weiteres Modul erlauben, dass Daten mit einem Preis versehen werden. Damit können Dateninhaber davon profitieren, wenn jemand anderes sie nutzt.

Greifbarer Benefit für Anlagenbesitzer

An einem Beispiel für Investoren in Photovoltaikanlagen zeigt Hesse auf, wie diese neue Blockchain dann wirklich Transaktionskosten einsparen kann. Um Transaktionskosten zu reduzieren, muss das Misstrauen zwischen den Geschäftspartnern beseitigt werden. Zwischen Menschen läßt sich das Misstrauen nur beseitigen, wenn sie gegenseitig ihre Gedanken lesen könnten. „Das geht also nicht“, sagt Hesse, „es geht aber zwischen Maschinen.“ In der Blockchain hinterlässt jede Aktion einen Fußabdruck. Wenn dieser nachtäglich verändert wird, fällt das auf. Dadurch verhindert sie Betrug.

Der Energiemarkt in App-Form von Grid Singularity. Die Plattform basiert auf einer Blockchain, die die Daten schützt und gleichzeitig zur Verfügung stellt, wenn nötig anonymisiert. Grüne Apps sind einfache, sogenannte dezentrale Apps, die kostenlos benutzt werden können und nur die Daten nutzen. Rote Apps erfüllen Aufgaben im Stromnetz und müssen den Regulatorien entsprechend zugelassen werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Blaue Apps sind Dienstleistungen Dritter, die die Daten zur Verarbeitung nutzen können und gegebenenfalls kostenpflichtig sind. (Grafik: pv magazine/Harald Schütt)

„Stellen Sie sich vor, eine App teilt Ihnen permanent mit, was ihre Photovoltaikanlage im Vergleich zu anderen Assets wert ist“, sagt Hesse. „Wenn Sie das wissen und mit einer anderen Partei teilen können, sind Sie extrem flexibel. Sie können das Asset entweder veräußern, refinanzieren oder teilen.“ Damit übernimmt die Blockchain die Aufgabe der Verifizierung, die das Vertrauen zwischen den Akteuren schafft. Die Information ist jederzeit abrufbar, anders als heutzutage eine technische Due Diligence. Das ist noch eine teure Einmalaufgabe. „Man kann diesen Prozess komplett automatisieren“, sagt er. Zumindest für eine einfache Due Diligence. Alle Daten seien vertrauenswürdig, weil durch die Blockchain kontrolliert wird, dass sie nicht mehr verändert werden.

Grid Singularity muss natürlich auch Geld verdienen. Einerseits zahlt die Stiftung für die Entwicklung der Kerntechnologie. Das ist aber kein exponentielles Geschäft und aus Sicht eines VC-Investors vielleicht „nicht das Sinnvollste“, wie auch Hesse sagt. Das Unternehmen hat eine Pre-Seed-Runde hinter sich und 950.000 Euro eingeworben. Es sind die Apps, mit denen es später Geld verdienen will. Dazu präsentiert Hesse eine Matrix mit grünen, blauen und roten Feldern, jedes davon entspricht einer möglichen Anwendung.

Er stellt sich das wirklich ein bisschen wie bei Smartphones vor. Die grünen Apps könnten zum Beispiel umsonst und für eine große Gruppe interessant sein. Dazu gehört das „Asset Performance Monitoring“. Eine ähnliche Anwendung wäre die „Benchmark Performance“. In der Blockchain befinden sich die Stromerzeugungsdaten aller Solaranlagen, wobei bereits beim Anschluss an das System festgelegt wird, wer wie Zugriff hat. Das kann nachträglich nicht geändert werden, sodass die Daten wirklich sicher sind. Die App kann die Daten – wenn nötig anonymisiert – nutzen und feststellen, wie meine Solaranlage im Vergleich zu denen in der Nachbarschaft läuft. Dann weiß ich beispielsweise, ob auf meinen Modulen Schnee liegt, den man entfernen muss.

„Wir betrachten diese Technologie, mit der wir endlich wieder die Herren unserer Daten werden und die Privatsphäre wieder zurückkommt, als das fehlende Puzzlestück in dem ganzen Erneuerbaren-Bereich“, sagt Hesse. Gleichzeitig, und das ist das Besondere im Vergleich zur vordigitalen Zeit, sind diese Daten nutzbar und manchmal sehr hilfreich.

Andere der geplanten Apps nutzen die Daten, um das Energiesystem zu steuern. Etwa eine App mit dem Namen „Microgrid Management“ oder eine andere mit dem Namen „Energy Trading Platform“. Damit auch die „Governance“ dezentral wird, so Hessse, „und wir nicht nur wie heute 270 Stromhändler haben, sondern jeder Haushalt zum Stromhändler wird, braucht es diese Technologie“.

Nächsten Februar soll es richtig losgehen. Unter dem NamenEvent Horizon organisiert Grid Singularity in Wien eine Veranstaltung, auf der Energy Web Foundation die erste Testversion der neuen Blockchain vorstellt. Dort sollen sich Technologen, Start-ups, Regulatoren, Investoren und Energiewirtschaft treffen. Denn eines ist klar: Damit die neue App-Welt in der Energiewirtschaft Fuß fassen kann, müssen sich die Regulierungen ändern. (Michael Fuhs)

Dieser Artikel ist eine erweiterte Version eines Artikels aus der Novemberausgabe von pv magazine.

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